Ich verwarf meine Idee. Statt dessen rannte ich halb wahnsinnig vor Angst den Weg zurück.
Als ich am Haus ankam, spürte ich sofort, das etwas Schreckliches passiert sein musste. Stolpernd kam ich zum Stehen und blickte geschockt auf das Bild, welches sich mir bot.
Alle Lichter im Haus waren erloschen und die Eingangstür hing halb herausgerissen nur noch an einer Türangel. Die Stille im Haus stand im krassen Gegensatz zu der zerstörten Tür. Kurz hatte ich die Vermutung, es habe eine Gasexplosion gegeben. Da ich jedoch das Brüllen und die Schüsse gehört hatte, war mir klar, dass die zerstörte Tür wohl eine andere Ursache hatte. In der Nachbarschaft waren vereinzelt Lichter angegangen. Dies gab mir genügend Mut, um ins Haus zu gehen. Ich drückte den Lichtschalter im Flur, doch alles blieb dunkel. Ängstlich rief ich die Namen meiner Eltern und meines Bruders, doch nur Stille schlug mir entgegen. Langsam tastete ich mich vor. Auf meinem Weg zur Küche, stolperte ich über einen Körper. Erschrocken fasste ich nach ihm und tastete ihn ab. Als das wellige Haar durch meine Finger glitt, erkannte ich daran meine Mutter.
Verzweifelt rief ich ihren Namen und versuchte sie an ihrem Arm in sitzende Position aufzurichten. Etwas stimmte nicht, obwohl ich den Arm zu mir her zog, blieb ihr Körper reglos liegen. Es dauerte einen Moment, bis mir die Tragweite dieser Beobachtung bewusst wurde. Entsetzt lies ich den abgetrennten Arm fallen und wich schreiend zurück.
Dann überschlugen sich die Ereignisse. Etwas bewegte sich im Dunkeln auf mich zu und Schmerz explodierte in meinem Bauchraum. Mein Aufschrei blieb mir in der Kehle stecken, als ich ein Knurren neben meinem Gesicht hörte. Der Schmerz in meinem Bauch wurde immer schlimmer, etwas bohrte sich reißend in mich und ich war unfähig es aufzuhalten.
Fast zeitgleich wurden Schüsse abgegeben. Im Aufblitzen des Mündungsfeuers wurde eine massige unmenschliche Gestalt sichtbar, die unter den Einschlägen nach hinten gerissen wurde. Was immer dieses Monster mit meinem Bauch gemacht hatte, als es von mir weggeschleudert wurde, hatte ich das Gefühl sämtlich Innereien würden mir herausgerissen. Ich kippte kraftlos nach hinten und kam neben dem Schützen zu liegen.
Es war mein Bruder und doch sah er fremd aus. Seine Augen reflektierten das Licht des Mündungsfeuers, doch noch viel schockierender waren seine Zähne. Er hatte den Mund zu einem lautlosen Schrei geöffnet und lange Fangzähne waren sichtbar.
Sein Opfer, auf welches er geschossen hatte, verschwand unter lautem Gebrüll und ich hörte wie es aus dem Haus stürmte.
Der Schmerz in meinem Bauchraum wurde immer schlimmer. Zitternd und unter Schock tastete ich ihn ab und griff in blutige Nässe, glitschige Schläuche glitten durch meine Finger und mit Schaudern wurde mir bewusst, dass ich mein Gedärm in den Händen hielt.
Ich brüllte panisch auf und versuchte aufzustehen. Eine Hand drückte mich zurück auf den Boden und ich hörte die Stimme meines Bruders, der mir mit brüchiger Stimme befahl liegen zu bleiben. Ich konnte nicht erkennen was er tat, glaubte aber zu spüren wie er mein Gedärm zurück in den Bauchraum stopfte. Mein ganzer Körper zuckte und zitterte unkontrolliert, ich wollte sprechen, brachte jedoch keinen Ton hervor.
Mein Bruder beugte sich zu mir und ich hörte sein heiseres Flüstern an meinem Ohr. " Höre mir zu Stefan, das wird jetzt weh tun, aber ich werde nicht zulassen, dass du auch noch stirbst. Es ist nur wichtig, das du nachher trinkst. "
Ein stechender Schmerz raste meinen Arm hinauf und ich schrie gequält auf. Die erneuten Schmerzen waren zu viel, ich spürte wie ich in die Schwärze abzudriften drohte. Doch mein Bruder ließ es nicht zu, er schüttelte mich, schlug mir ins Gesicht und brüllte mich so lange an, bis ich gequält aufstöhnte.
Mein ganzer Körper war in ein Meer aus Schmerzen gebadet. Ich hätte am liebsten nur noch geschrien. Das Einzige was mich davon abhielt, war meine Lunge die Probleme hatte überhaupt noch genug Luft zum Atmen zu bekommen.
Zu allem Überfluss tropfte mir eine klebrige Nässe in den Mund. Ich hatte das Gefühl zu ersticken und wollte mich wegdrehen, doch mein Kopf wurde in Position gehalten und mein Mund weit aufgedrückt.
Ich schluckte und schluckte doch es kam immer mehr. Letztendlich entschied sich mein Körper für die einzige Möglichkeit dieser Folter zu entkommen. Ich wurde ohnmächtig.
Als ich mein Bewusstsein zurück erlangte, lag ich auf der Rückbank eines Autos. Ein blutgetränktes Laken war um meinen Bauch gewickelt. Der Schmerz war höllisch und ich schrie gequält auf.
Mein Bruder der am Steuer saß, drehte sich hektisch zu mir um und befahl ich sollte liegenbleiben.
Ich ließ mich zurücksinken und atmete in kurzen hechelnden Zügen. Der Schmerz war kaum auszuhalten und ich wunderte mich, wieso ich mit dieser Verletzung überhaupt noch lebte. Mit zittriger Stimme fragte ich ihn nach unseren Eltern, sein Schweigen war Antwort genug.
Tränen stiegen mir in die Augen und ich wollte von ihm wissen, was das für ein Wesen war, welches ich in unserer Wohnung kurz gesehen hatte.
Er schwieg ewig und ich dachte schon er würde mir die Antwort schuldig bleiben. Als er dann sprach war ich nicht überrascht. " Es war ein Werwolf "
Ich hatte im Dunkeln wenig erkennen können, aber bei seinen Worten fielen alle die Dinge, die ich gesehen hatte, an ihren Platz. " Oh mein Gott und du bist ein Vampir! " Er nickte nur und flüsterte. " So wie auch du bald einer sein wirst! "
Erneut schwanden mir die Sinne.
Als ich das nächste Mal erwachte, hörte ich einen Streit vor dem Wagen. Ich hatte nicht die Kraft, mich auf das Gesagte zu konzentrieren, spürte jedoch, dass es sich wohl um mich drehte. Die Tür wurde aufgerissen und jemand beugte sich zu mir in den Wagen. Nach einem kurzem Blick auf mich verschwand er und ich hörte eine Stimme sagen.
" Das ist doch Schwachsinn, der Kerl krepiert sowieso! "
Nach diesem Satz wurde es richtig laut. Es ging einige Zeit hin und her, ehe die Tür erneut aufgerissen wurde. Man zerrte mich heraus und legte mich auf eine Trage. Die Stimme meldete sich erneut zu Wort. " Verdammt, der ist ja fast auseinandergerissen. Hole mal Blutbeutel, sonst wird das nix! Wie sollen wir den fast einhundert Kilometer weit transportieren, ohne dass er uns abkratzt? "
Eine zweite Stimme meldete sich zu Wort. " Du hast gehört was er gesagt hat, also mach endlich und quatsch hier nicht rum. "
Ich glitt erneut in die Bewusstlosigkeit. Mein nächstes Erwachen fand auf einer Krankenstation statt. Der Raum um mich herum war mit allerhand Maschinen angefüllt und unzählige Schläuche und Kabel führten zu meinem Körper. Ein Mann mit Arztkittel stand neben mir und überprüfte Werte an einer der Maschinen. Kaum hatte er bemerkt, dass ich bei Bewusstsein war, kam er zu mir ans Bett. " Na, wie fühlen sie sich? " Da ein Schlauch in meinem Rachen steckte, blieb ich ihm eine Antwort schuldig. Er hatte wohl auch mit keiner gerechnet, denn er sprach munter weiter. " Es ist ein richtiges Wunder, dass wir sie durchbekommen haben. Sie hatten einen total zerrissenen Bauchraum und ihr Magen sowie ihr Gedärm hatte mehr Löcher als eine Gießkanne. Wir mussten sechs Stunden operieren und es gingen vierzehn Blutkonserven drauf! Danach stand es noch zwei Tage auf der Kippe, aber sie sind ein zähes Bürschchen. "
Er klopfte mir begeistert auf die Schulter, was eine Schmerzwelle durch meinen Körper jagte. Als er meine Reaktion bemerkte, hob er entschuldigend die Hand. " Sorry, das war dumm von mir, doch ab jetzt gehts aufwärts, das verspreche ich ihnen. "
Mit diesen Worten begann meine schmerzhafte Rückführung ins Leben. In den folgenden zwei Tagen verschwanden immer mehr der Maschinen aus dem Zimmer und am dritten wurde ich aus dem Bett geholt und musste kurze Strecken laufen. Als mir am Abend dieses Tages die Binden vom Bauch entfernt wurden, blickte ich erstaunt auf die Narben.
Ich hatte einen wilden Flickenteppich erwartet. Statt dessen zogen sich nur drei feine Narben über meinen Bauchraum. Eine verlief quer über meinen Bauch und verschwand fast auf meinem Rücken, eine weitere prangte diagonal oberhalb meines Bauchnabels, die letzte zog sich vom Brust- bis hinunter zum Schambein. Diese war fast kaum noch zu