Der ganze Traum bekommt ein anderes Gesicht. Es handelt sich um eine infantile Szene aus der frühesten Kindheit, bei der die Dame einen Koitus der Eltern beobachtet hatte. Eigentlich hörte sie nur die rhythmische Erschütterung des Bettes. Der viereckige Raum war das Schlafzimmer der Eltern und das Ehebett (In diesem Sinne „viereckig“ wird auch Tisch für Bett gebraucht. Beachte die Redewendung: „Trennung von Tisch und Bett.“), das auch vier Ecken hat. Die weiteren Zusätze „er war nicht geschlossen“ — Garten oder Hof — dienen teils als Traumentstellung, teils als Überdeterminierung, um das Zimmer als Bett zu charakterisieren. Ebenso wie zwei Verneinungen eine Bejahung ergeben, ebenso ist hier die Einschiebung (er war nicht geschlossenen) als Bejahung aufzufassen. Freud sagt sehr treffend: „Es gibt keine Verneinung im Träume“. Steht in einem Traum die positive Behauptung: „Meine Frau war nicht dabei“ — so bedeutet sie gerade das Gegenteil, dass nämlich die Anwesenheit der Frau peinlich empfunden und womöglich vertuscht werden soll.
Hier geht also eine Szene mit Schaukelbewegungen in einem Bette (oder Zimmer) vor sich. Was hat das mit einem im Wasser versinkenden Baum zu tun? Hier kommt uns die bekannte Traumsymbolik zu Hilfe. Das Wasser bedeutet immer einen Hinweis auf die Geburt. (Einer zusammenfassenden Darstellung der Geburtsträume ist ein späteres Kapitel gewidmet) Aus dem „Wasser“ kommen die Kinder, so lautet die erste infantile Sexualtheorie. Im Fruchtwasser schwimmen die Kinder, lernen wir Alten. Und der Baum? Was bedeutet er anderes als das lebenserhaltende Prinzip, als den Penis? Geburt und Tod, beide werden durch den Phallus symbolisiert. Beim Koitus verschwindet der Penis unter Schaukelbewegungen in der Vagina. Der Traum lautet also in der Übersetzung: „Ich war im Schlafzimmer der Eltern. Ich sah, wie der Vater seinen Penis in die Vagina versenkte und unter Schaukelbewegungen einen Koitus ausübte. Als ein frühreifes Kind dachte ich mir: So entstehen die Kinder!"
Die Mutter wird hier als Erde, als „Mutter Erde“ dargestellt. Die Veränderungen der Erdoberfläche (das Anschwellen des Bauches) symbolisieren die Gravidität.
Hier stoßen wir auf ein sonderbares Problem. Das Problem vom Leben und Sterben im Traume. Ist es nicht merkwürdig, dass Gegensätze dasselbe bedeuten sollen? Gravidität und Erdbeben? denn eine weitere Bedeutung des Traumes besagt, dass es sich um Tod handelt. Darauf wollen wir noch später zurückkommen.
Hier möchte ich nur aufmerksam machen, dass ein deutscher Gelehrter schon längst diese Zusammenhänge gekannt hat. Schubert („Die Symbolik der Traumes“. Leipzig, F. A. Brockhaus, 1840) sagt in der seiner Zeit eigentümlichen, etwas blütenreichen Sprache: „Dasselbe, was wir bei der Sprache des Traumes bemerken, jenen Ton der Ironie, jene eigentümliche Ideenassoziation und den Geist der Weissagung, finden wir denn auch auf ganz vorzügliche Weise in dem Original der Traumwelt, in der Natur wieder. In der Tat, die Natur scheint ganz mit unserem versteckten Poeten einverstanden und gemeinschaftlich mit ihm über unsere elende Lust und lustiges Elend zu spotten, wenn sie bald aus Gräbern uns anlacht, bald an Hochzeitsbetten ihre Trauerklagen hören lässt, und auf diese Weise Klage mit Lust, Fröhlichkeit mit Trauer wunderlich paart, gleich jener Naturstimme, der Luftmusik auf Ceylon, welche im Tone einer tief klagenden, herzzerschneidenden Stimme furchtbar lustige Menuetten singt. Die Zeit der Liebe und der Freude ist es, wenn die Nachtigall ihren klagenden Gesang am meisten hören lässt, worin sie nach einem dichterischen Ausdruck die Rose über Gräbern besingt, und alle Freudengesänge der Natur haben den klagenden Mollton, während umgekehrt ein ephemeres Geflügel den Tag seiner Hochzeit unmittelbar am Grabe, am Tage des Todes feiert. Tod und Hochzeit, Hochzeit und Tod liegen sich in der Ideenassoziation der Natur so nahe, wie in der des Traumes, eines scheint oft das andere zu bedeuten, eines das andere herbeizuführen oder vorauszusetzen; sie erscheinen öfters in der Sprache der Natur als zwei gleichbedeutende Worte, davon nach Gelegenheit eines für das andere gesetzt wird. Die Erzeugung und letzte Auflösung der Körper sind sich, wie schon anderwärts bemerkt worden, in der ganzen Natur, sowohl in Hinsicht der Erscheinungen als der dabei hervorkommenden Stoffe, unmittelbar verwandt und gleich; Phosphorus ist Morgen- wie Abendstern, Fackel der Hochzeit und des Todes, und während der eine Teil des immer kreisenden Rades sich zur neuen Zeugung emporhebt, geht der andere in demselben Verhältnis hinabwärts. Schmerz und Lust, Lust und Schmerz sind auf dieselbe Weise verbrüdert; das Kind der Freude wird mit Schmerzen geboren, auf den höchsten Grad der sinnlichen Unlust und Qual folgt, selbst schon im Zustande der Ohnmacht und des Scheintodes die höchste Lust; umgekehrt ist die sinnliche Lust eine Gebärerin des Schmerzes.
Jene seltsame Verschwisterung scheint die Vorwelt wohl verstanden zu haben, wenn sie den Phallus oder dessen kolossales Sinnbild, die Pyramide, als Malzeichen auf Gräber gestellt, oder das geheime Fest der Todesgottheit mit Vortragung des Phallus gefeiert; obgleich jene Aufopferung des Werkzeuges sinnlicher Lust der rohe Ausdruck auch noch eines anderen tieferen Verständnisses gewesen. Mitten unter den Todesfeierlichkeiten und Trauerklagen der Mysterien ertönte, wie in einer Shakespeareschen Tragödie, die Stimme des Lachens über Baubo (antike Fruchtbarkeitsgöttin) und Jacchus; mitten unter zum Teil komischen und heiteren Festlichkeiten blickte öfters ein sehr ernster und tragischer Sinn hervor.“ (Seite 38.)
Wir werden auch in unserem Traume nach tieferen Zusammenhängen forschen. Wir erfahren eine weitere Bedeutung des Traumes: Er ist eine Todesphantasie. Sie liegt im Grabe. Ein ihr gepflanzter Baum sinkt immer tiefer in die Erde, wie sie es auf Friedhöfen öfter gesehen hat. Der Raum, in dem sie liegt, der viereckig ist, ist das Grab ((26.) „Eine Dame träumt, sie gehe einer Dame ihrer wirklichen Bekanntschaft, welche sich an wirklicher langwieriger Krankheit dem Tode nahe befand, einen Krankenbesuch abstatten; wie sie hinkommt, erstaunt sie nicht wenig, dieselbe im Wochenbett zu finden, worüber sie im Hinblick auf das Alter der Patientin und ihres daneben stehenden erwachsenen Sohnes sich gar nicht zu fassen vermag. (Hier ist der Zustand der Bettlägerigkeit bei Sterben und Gebären das Assoziationsmoment.)“ (Das Leben des Traumes von Karl Albert Scherner. Berlin. Verlag von Heinrich Schindler, 1861. Seite 147).
Wie der Erdgeist im Faust verkündet:
„Geburt und Grab,
Ein ewiges Meer,
Ein wechselnd‘ Weben,
Ein glühend‘ Leben."
Sie liegt also im geschlossenen Grabe, am Friedhofe, wo Blumen blühen (Garten) und Bäume zum Gedenken gepflanzt werden und versinken.
Beim jüngsten Gericht öffnen sich die Gräber und die Toten steigen wieder auf. Wehe! Wie hat sie ihr Leben verbracht? War es nicht eine Kette von sündigen Gedanken? Hier sehen wir das tiefe Schuldbewusstsein, das sich am Schluss des Traumes als Angst entladen muss.
Damit ist die Deutung dieses Traumes noch nicht erschöpft. Das Wichtigste soll noch kommen. Die Angst am Schluss deutet auf unterdrückte Sexualität; auf Wünsche, die als unerreichbare, unerfüllbare, verbrecherische sich in Angst gewandelt haben. Wir erfahren, dass ihr Mann aus Angst vor dem Kindersegen viele Jahre den „Coitus interruptus“ gepflegt hat. Diese Angst vor der Gravidität drückt sich auch in diesem Traumbilde aus. Auch Befürchtungen, ihr Mann, der ein so gesunder kräftiger Mensch ist, könnte ihr plötzlich sterben, er könnte ihr untreu werden usw. (Die Angst, der Mann könnte sterben, verrät ihren geheimen Wunsch. Der Mann ist ein Gefangener und darf sie keinen Moment lang allein lassen. Wir können die Motive verstehen: Er soll nicht von ihr gehen d. h. sterben).
Hier führt eine Brücke zu den wichtigsten Traumgedanken. Sie hat ein einziges Kind, einen Sohn, der in den nächsten Monaten heiraten soll. Am Vorabend des Traumes kam ihre künftige Schwiegertochter zu ihr, und sie sprachen über die Ausstattung. Man legte Modelle verschiedener Hemden vor und das Mädchen meinte zu einem Modell, das vorne zu schließen war: „Das ist ja sehr bequem. Wenn ich einmal Amme sein werde, kann ich solche Hemden brauchen“. Sie staunte über die Freiheit, mit der die modernen Mädchen über diese Dinge sprechen können. Sie war als Mädchen ganz anders.