Wir versuchen also, wie uns empfohlen, weiter unten unterzukommen, aber auf der uns angeratenen 4. Ebene gibt es eine Absperrkette mit der Beschriftung „Nur reservierte Plätze“, und dies wiederholt sich auch in den darüber liegenden Stockwerken. Im 8. Stock gibt es endlich eine Möglichkeit einzufahren – doch hier sitzt ein Bewacher, der uns gleich wieder weiter schickt. Im 9. wieder nur reservierte Plätze – so landen wir nun doch im 10. Stock und sind nach längerem Suchen sogar froh, überhaupt noch einen Platz gefunden zu haben.
Wir trösten uns auch damit, dass es im 10. Stock möglich ist, das Auto abzusperren, was sonst nicht erlaubt ist. Zweck ist wahrscheinlich, das Auto durch das Parkhauspersonal hin- und herschieben zu können, Ergebnis manchmal auch (wie uns erzählt wurde), dass man am Ende ohne Benzin dasteht, wenn der Tank per Schlauch entleert wurde.
Allgemein wurde uns geraten, bei einem abgestellten Auto die Fenster nicht zu schließen, damit erspare man sich bei der Rückkehr, sie eingeschlagen vorzufinden. „Italiener schließen nie ihre Fenster“, hieß es. Am sichersten sei es weiters, ein Säckchen mit Lebensmitteln oder Klopapier sichtbar liegen zu lassen. Dann würde vermutet, dass der Besitzer bald zurückkehrt.
Apropos Klopapier – aber davon später.
Das Parkhaus ist praktisch voll – ein Bombengeschäft, wenn man bedenkt, dass es pro Tag etwa soviel kostet, wie 13 Straßenbahnfahrscheine in Wien. Trotzdem ist es noch die günstigste Möglichkeit hier zu parken, in den umliegenden Parkhäusern kostet es noch mehr. Prinzipiell kann man das Auto mittels Fähre auch auf den Lido bringen, ich habe aber bisher nicht wirklich ergründen können, ob bzw. wo man auf dem Lido überhaupt länger als wenige Stunden parken darf.
Dieses Parkhaus könnte viele Geschichten erzählen. Verwandte berichteten zum Beispiel vor kurzem, sie seien am Wochenende in Venedig gewesen. „Wie seid ihr gefahren? War es schön? Was habt ihr alles gesehen?“
„Nun, wir waren mit dem Auto unterwegs. Da gibt es so ein Parkhaus, wir sind bis hinauf in den 10. Stock gefahren, weil nirgends Platz war. Oben war aber auch nichts frei.“
„Und, wo habt ihr dann geparkt?“
„Gar nicht. Wir haben umgedreht und sind wieder nach Hause gefahren.“
Nun, wir jedenfalls haben doch noch einen Parkplatz gefunden, und so geht es jetzt von der Piazzale Roma mit dem Vaporetto Richtung Zentrum mitten ins Herz von Venedig. Hier fährt unter anderen die Linie 1, die den Canal Grande entlang zockelt, einen prachtvollen Blick auf all die Palacci bietend, die diese Haupt(wasser)straße säumen.
Das Vaporetto ist eine Art Wasser-Autobus, viele Linien durchmessen Venedig in alle Richtungen und sorgen für rasche Verbindungen. Rasch im Sinne dieser Stadt, denn als Erstes, wenn man mit dem 1er losfährt, erkennt man, dass die Uhren hier anders gehen. Es ist wunderschön, den Canal Grande entlang zu fahren, im Zickzack immer wieder anzulegen, all die prachtvollen Sehenswürdigkeiten zu betrachten, die Atmosphäre dieser Stadt einzuatmen – doch man fürchtet bald, nicht mehr lebend am Ziel anzukommen. Das Vaporetto benötigt fast eine Stunde für die gar nicht lange Strecke bis zu San Marco. Ohne Gepäck wäre man zu Fuß wohl nicht langsamer.
Doch hier läuft das ganze Leben in diesem Tempo, getriggert davon, dass alles über das Wasser transportiert werden muss.
Von Station zu Station im Zickzack weiter gleitend kommt man rasch ins Grübeln. Nicht, dass man nicht im Vorüberfahren die großartigen Palacci bewundern würde, aber durch den allgegenwärtigen Verfall schweifen die Gedanken immer wieder ab zur Vergänglichkeit, zu der Einsicht, dass nichts, so schön es auch sein mag, Bestand hat.
Venedig wird laufend erneuert und wirkt trotzdem immer verfallen. So, wie man täglich in einen neuen Fluss steigt, der doch derselbe bleibt, ändern die Renovierungen eigentlich nichts an der fast unwirklichen Kulisse, die einerseits voll von Ästhetik und Harmonie die Seele erfreut und andererseits doch auch einen morbiden Zug beinhaltet. Aber das ist ja die wahre Kunst, durch Veränderungen das Schöne nicht zu zerstören – eine Kunst, die in vielen Gegenden leider nicht (mehr) beherrscht wird.
Sehen Sie sich um in Ihrer Stadt – gibt es dort ein spannendes Zusammenspiel von Alt und Neu? Hat man Kulturbauten errichtet und erhalten, oder sind nur Wellblech-, Platten- und Garagensilos übrig geblieben? In Venedig ist es anders als in vielen anderen Städten, und falls Venedig versinkt, dann wirklich prachtvoll und mit Stil...
Was ist Zeit?
Vor kurzem habe ich ein Haus wieder angesehen, das gute Bekannte vor vielen Jahren errichtet haben. Ich erinnere mich noch an die Ideen zum Bau, zur Ausführung der Räume, an die Pläne, die zur Ausgestaltung geschmiedet wurden. Viele Vorstellungen waren nicht sofort und leicht umsetzbar, etliches musste aus Kostengründen vereinfacht oder auf später verschoben werden.
Dann schlug bei dem Mann plötzlich ein Herzinfarkt zu, und auch trotz weitgehender Rehabilitation waren die großen Zukunftsträume verflogen. Alles ging nur mehr langsamer, die Möglichkeiten und Mittel waren nun noch stärker beschränkt als zuvor, viele Wünsche wurden erst gar nicht mehr ausgesprochen.
Es ergaben sich bald weitere Einschränkungen, der langsame Verfall des Körpers schritt weiter fort, bis der Tod ein gänzliches Ende setzte. Zwei Jahre später folgte auch seine Frau, die das Haus bis dahin bewohnt und soweit es ihr möglich war erhalten hatte.
Weitere zwei Jahre waren seither vergangen, das Haus, nun nicht mehr bewohnt, verfiel. Ohne Pflege, ohne dass laufend Energie in Erneuerung gesteckt wird, ist alles auf Zerstörung ausgerichtet – die Entropie, die Unordnung, nimmt zu. Strukturen gehen zugrunde, Beton zerbröckelt, Rohre brechen, Formen zerfließen, Farben verbleichen, Schönheit vergeht.
Das ist die Zeit – – – und wo wären solche Überlegungen angebrachter als in Venedig?
Versunken in solch philosophische Betrachtungen haben wir unser Ziel S. Zaccharia nahe San Marco erreicht. Wir steigen aus.
Nach der genauen Beschreibung durch unsere Freunde finden wir mühelos die schmale Gasse, die sich dann nach etwa 100 Metern zu einem Platz erweitert, und gelangen über eine der vielen Brücken zu einem Haus, das tatsächlich die angegebene Hausnummer trägt. Das verschafft uns Erleichterung, da wir gehört hatten und nun auch sehen können, dass Hausnummern hier keine wirkliche Orientierungshilfe darstellen, da sie keine Systematik erkennen lassen. Wahrscheinlich sind die Nummern historisch vergeben worden, so wie es bei uns in manchen Dörfern ja auch durchaus üblich ist, dass die Häuser bunt durcheinander nummeriert sind. Für eine Stadt erscheint es dennoch ungewöhnlich, und wie ein Briefträger je die richtige Adresse finden kann, bleibt Fremden rätselhaft.
Wir läuten, unsere Freunde öffnen und führen uns in den ersten Stock des Hauses, wo sie eine Wohnung besitzen.
Der erste Stock ist wirklich die beste Lage für eine Wohnung in Venedig, da das Erdgeschoß meist durch immer wieder auftretende Hochwasser in Mitleidenschaft gezogen wird. Man sieht an den Außenwänden deutlich, wie hoch das Wasser bereits gestiegen war, und die Schäden, die das Hochwasser hervorgerufen hat. Aber mehr über „Aqua alta“ später.
Hans, ein Rechtsanwalt aus Wien, seine Frau Sabine, eine Unternehmerin, die kauft und verkauft und immer im Stress ist, und ihre Tochter Miriam, Studentin der Technischen Chemie, klug und hübsch, kommen jeden Sommer mehrmals nach Venedig. Meist reisen