Dass wir uns über den unvermeidlich herannahenden Winter keinen Kopf machten, mag daran gelegen haben, dass man schließlich im Leben auch noch über andere Dinge nachdenken muss. Jedenfalls kamen Schnee und Eis schneller und früher, als wir angenommen hatten. Wir trafen unseren Teich mit einer Schicht Eis an und sahen mit Entsetzen, dass einige der Frosch-Winzlinge offenbar überhaupt keine Ahnung davon gehabt hatten, dass es Winter geben würde. Jedenfalls lagen sie erfroren am Rande. Sie hatten keinerlei Anstalten gemacht, sich irgendwohin zu verkriechen.
Und der Fisch? Wohin sollte der sich verkrümeln? Da er unterm Eis nicht zu erkennen war, trugen wir uns mit der Hoffnung, dass er wenigstens tief genug abgetaucht war. Freilich würde es da ein Problem geben. Unser Becken war nämlich so tief nicht, wie in sachkundigen Büchern zu Recht empfohlen wird. Wahrscheinlich waren die Becken-Hersteller davon ausgegangen, dass man seine Fische vor Ausbruch des Winters herausfischt. Auf die Idee waren wir einfach nicht gekommen.
Andererseits, wenn wir jetzt darüber nachdachten: Unser Fisch war ja gar nicht geeignet für ein Aquarium oder irgendein Wasserglas. Das war ja ein Naturbursche. Der musste selber sehen. Was ihm offenbar nicht gelang. Denn als wir im Frühjahr bei erstem Tauwetter nachschauen wollten, wie es ihm ergangen war, sahen wir das Elend. Unterm Eis, das durchsichtig geworden war, lag er quer in voller Länge. Er war der erste Fisch, der uns gestorben ist. Es sollte leider nicht der letzte gewesen sein.
3. Kummer mit Moderlieschen
Als die Trauer um unsere Rotfeder abgeklungen war, begannen wir, neue Pläne zu schmieden. Irgendwie fehlte etwas in unserem Teich. Schließlich hatten wir ihn nicht als Frosch-Pool angelegt. Durch den plötzlichen Besitz von Rotfeder hatten wir gar nicht das machen können, was unser Wunsch gewesen war: ein paar kleine Fische hineinzusetzen, die vielleicht sogar Nachwuchs produzieren würden. Ob dies Fröschen genehm sein würde, wussten wir nicht, wollten wir aber ausprobieren.
Als wir unternehmungslustig das Garten-Center aufsuchten, um unseren Traum zu verwirklichen, erlebten wir erst einmal eine herbe Enttäuschung. Es gab noch gar keine Fische! Für ein Aquarium schon, aber nicht für die freie Natur. Man vertröstete uns auf Mitte Mai. Auch andere Fisch-Handlungen, bei denen wir telefonisch nachfragten, hatten noch nichts im Angebot. Wir wurden angesehen wie Leute, die offenbar keinerlei Ahnung haben. Was ja zutraf. Aber man lernt halt nie aus!
Jede Woche riefen wir an. Endlich wurde uns Bescheid, dass Moderlieschen eingetroffen seien. Für diese kleinen Fische hatten wir uns entschieden. Die würden, fanden wir, zumindest von der Größe her, gut in unseren Frosch-Pool passen. Auch waren sie, was das Futter betraf, relativ anspruchslos. Schließlich hielten wir uns – außer im Sommer – in der Regel nur zum Wochenende auf unserem Grundstück auf, würden also nicht jeden Tag füttern können.
Wir hatten zwar irgendwann und irgendwo einmal Fotos von Moderlieschen gesehen, aber als wir nun im Garten-Center vor dem Aquarium standen, in dem sie sich tummelten, schienen sie uns denn doch arg unscheinbar. Diese dünnen, kaum sieben Zentimeter langen silbrigen Fische würden ja von oben kaum zu sehen sein, denn ihr Rücken, das ließ sich erkennen, war nüchtern grau gefärbt. Und zwischen Männlein und Weiblein war offenbar auch kein Unterschied. Ratlos standen wir und überlegten.
Der Verkäufer, dem wir unsere Bedenken gestanden, empfahl Stichlinge oder Bitterlinge. Alle anderen Fische wie Koi oder Goldorfen würden letztlich größer wachsen und außerdem erst in der kommenden Woche eintreffen. Die Stichlinge und auch die Bitterlinge, fanden nun wir, sahen kaum anders aus als die Moderlieschen. Da wir ausgesprochene Zierfische nicht wollten, vor allem aber auf gar keinen Fall ohne Fische die Handlung verlassen, fiel die Entscheidung schließlich für Moderlieschen. Zumal der Händler versprach, uns zwei Weibchen und ein Männchen einzufangen. Das war übrigens das erste und zugleich letzte Mal, dass sich ein Händler für fähig erklärte, weil es ja sein Beruf sei, die Fisch-Geschlechter unterscheiden zu können.
Die kostbare Fuhre in einem Plastikbeutel, sorgfältig mit Sauerstoff gefüllt, mussten wir zunächst nach Berlin-Pankow transportieren, wo wir damals noch wohnten. Dort wurde sie in der Küche abgestellt, und wir beobachteten, wie die völlig konfusen, scheuen Fische sich alle Mühe gaben, sich irgendwie zu verstecken. Sie waren regelrecht in Panik. Hoffentlich würden sie durchhalten. Noch hatten sie ein paar Stunden auszuharren. Wir verfrachteten sie in eine undurchsichtige Tasche, damit sie, auf diese Weise abgeschirmt, etwas Ruhe finden konnten.
Auf dem Grundstück angekommen, wurden die Fische in die Freiheit entlassen. Später lernten wir, dass man Neulinge noch in ihrem Beutel geraume Zeit in das Wasser legen soll, in das man sie geben will, damit sich die Wassertemperaturen angleichen. Auch soll man zunächst etwas von dem neuen Wasser in den Beutel gießen, damit eine Gewöhnung stattfinden kann. So viel Sorgfalt ließen wir nicht walten. Kurz entschlossen wurde mit einer Schere der Gummiknoten durchgeschnitten, und die Fische ins Wasser ausgekippt. Damit waren sie für diesen Tag verschwunden.
Dass aus der Besichtigung nichts wurde, hing auch damit zusammen, dass sich das Wasser im Becken ärgerlich grün gefärbt hatte. Eine Erscheinung im Frühjahr und im Sommer, die uns noch manchen Ärger machen würde. Jetzt standen wir ratlos davor und gaben es auf, unsere drei Fische so schnell wieder zu Gesicht zu bekommen. In ihrer panischen Angst waren sie gewiss tief nach unten abgetaucht und hatten keinerlei Lust, an die Oberfläche zu kommen. Nur dort hätten wir sie sehen können.
Ein bisschen Trost fanden wir dadurch, dass sich unerwartet ein Frosch-Winzling vom Vorjahr blicken ließ. Übereinstimmend stellten wir fest, dass er ein bisschen gewachsen, also nicht mehr nur daumengroß war. Aber er würde kräftig futtern müssen, um unsere volle Anerkennung zu finden. Andererseits war seine Größe eine gewisse Garantie dafür, dass er unsere drei Moderlieschen in Ruhe lassen würde. Denn so genau stand in keinem Buch, ob die Frösche nicht doch, einfach weil ihnen der Magen knurrt, auch mal nach einem Fisch schnappen. Bei unserer Rotfeder hatten wir da keine Sorge gehabt. Sie war selbst für einen ausgewachsenen Frosch zu groß gewesen. Aber ein Moderlieschen? Bahnte sich neuer Kummer an? Das Elend war, dass wir uns nicht ständig an den Teich hocken konnten.
Welche Genugtuung denn also, dass eine Woche später nicht nur das Wasser etwas durchsichtiger geworden war, sondern sich sogar alle Fische blicken ließen. Natürlich setzte sich die Familie um den Teich herum und studierte, wie die Drei so ihren Tag bewältigten.
Zunächst einmal schwammen sie offenbar sehr gern in kleiner Gruppe, sich oft irgendwie herauslösend, als wolle jeder seiner Wege gehen, aber immer wieder zusammenfindend. Das war von echter Harmonie und Grazie. Man konnte ewig zugucken. Sobald man sich unbedacht rührte, gar eine heftige Bewegung machte, übertrug sich das sofort ins Wasser. Wie elektrisiert verschwanden die Moderlieschen flugs unter der Pflanze. Und es brauchte seine Zeit, bis sie darunter hervorkamen. Wenn sie dann wieder ihre kleinen Runden zogen, denn mehr Platz hatten sie nicht, machte es Spaß zuzuschauen. Es entspannte.
Einige Wochen waren vergangen, und die drei Fische bereits etwas aus der besonderen Aufmerksamkeit geraten, als es eine Sensation gab. Im Wasser tummelten sich etliche winzig kleine Fische! Wohl kaum sechs Millimeter groß. Aber welch Tragödie! Als wir uns ans Wasser gesetzt hatten, um das kleine Wunder möglichst genau bestaunen zu können, machten wir eine schlimme Beobachtung. Die Eltern der Minis schwammen munter zwischen ihren Kindern herum und schnappten sich, was sie kriegen konnten. Das durfte doch nicht wahr sein! Diese Banausen fraßen ihren eigenen Nachwuchs! Was war zu tun? Keine Ahnung. Hätten wir irgendein Ersatzbecken gehabt, hätten wir versucht, wenigstens ein paar Winzlinge herauszufischen. Jetzt blieb keine andere Wahl, als den Dingen ihren Lauf zu lassen.
Eine Woche später war die große Frage, ob von dem Nachwuchs etwas übrig geblieben sein würde. Tatsächlich, so ein gutes Dutzend unmerklich gewachsener Mini-Lieschen hatte sich behauptet. Sie schwammen in Gruppe und machten um ihre Eltern meist einen gehörigen Bogen. Aber in dem kleinen Teich war das gar nicht so leicht. Allerdings, schien uns, hatten sich die drei Erwachsenen mit der Anwesenheit von Neulingen abgefunden. Jedenfalls sah es nicht so aus, als würden sie nach ihnen schnappen.