„Nein!“, sprach ich verwundert, „ich wurde zu dieser Befragung offiziell vorgeladen.“
„Was Sie offiziell ablehnen hätten können“, sprach er.
„Dann darf ich jetzt wohl gehen!“, entgegnete ich und stand auf.
„Dürften Sie, wenn Sie wollten.“, sagte er, schmunzelte.
Er trug keine Uniform. Im Gegenteil: Er hatte Jeans an, einen Nieten-Gürtel, schwarzes T-Shirt und Lederjacke. Er ermittelte wohl verdeckt, wahrscheinlich hatte er normalerweise in der Szene zu tun. „Sie vermuten jetzt, es ging um einen Drogendeal; die Kriminalpolizei denkt, deshalb wollte ich, dass die Täter unerkannt bleiben“, schoss es mir durch den Kopf.
Ich stand auf, ging auf die Tür zu, doch der Bulle stand auch auf, eilte zur Tür, versperrte mir den Weg.
„Hey!“, beschwerte ich mich, griff ihn an.
Doch plötzlich ließ ich wieder ab von ihm. Ich hatte vergessen wo ich war, wer er war. Es war mir, als wäre ich in gewohntem Umfeld, früher, vor dem Unfall. Ja, da war es noch spannend, mich mit den Männern anzulegen, die sich in den Weg stellten, wenn ich weg wollte, sie aber nicht wollten, dass ich gehe.
„Bevor du gehst:“, sagte er ernst, griff nach meinen Händen, „ich denke, dass das nächste Opfer deines Gewalttäters niemand anderer bist als du!“, rief er aus.
„Lassen Sie mich gehen!“, schrie ich ihn an.
An die Tür, welche er mit seinem Rücken versperrte, wurde von hinten geklopft. Seine Kollegen riefen ihn, sie waren nicht einverstanden mit seinem Verhalten.
„Er hat nicht bekommen was er wollte und du hast ihn an die Polizei verraten. Er wird sich rächen.“, erklärte der Mann eindringlich.
„Lass' mich los!“, rief ich verzweifelt und versuchte mich von seinem Griff zu befreien.
Das Trommeln hinter seinem Rücken wurde immer heftiger.
Er ließ mich los, ich wich nach hinten zurück.
„Bevor du jetzt durch diese Tür gehst, wollte ich nur, dass du es weißt. Sie wissen es alle!“, er deutete mit seinem Blick auf die Menschen hinter der Tür.
Nun wurde ich ruhiger, ich hatte die Befürchtung, es könnte die Wahrheit sein, was er sagt.
„Sie wollen dich nur nicht belasten damit, aber so ist es. Jeder, der nur einen Funken von Kriminologie versteht, weiß, dass der Täter sich mit seiner Niederlage bei dir nicht zufrieden geben wird. Wir reden jeden Tag darüber, dass ein weiterer Übergriff auf dich sehr wahrscheinlich ist. Deshalb wirst du auch überwacht.“
Nun glaubte ich ihm wieder nicht ein einziges Wort. Er wollte mich nur einschüchtern, denkt ich weiß mehr über den Täter als ich zugebe, es ist eine List. Wie dumm und primitiv diese Ermittler doch vorgehen!
„Ich kann aber nicht mehr über den Täter sagen als Sie schon wissen. Ich habe verdammt nochmal wirklich schon alles gesagt, was ich weiß. Selbst wenn ich es wollte, ich könnte Ihnen nichts über den Täter sagen, was Sie nicht schon wissen! Ich kenne ihn nicht! Verstehen Sie das doch endlich!“, rief ich nun lautstark und verzweifelt aus.
„Was denkst du, ist er für ein Typ von Mensch?“, fragte er weiter.
„Wie bitte?! Soll das ein Witz sein? Sehr komisch! Außerdem wüsste ich nicht, seit wann wir per Du sind! Lassen Sie mich jetzt endlich gehen!“, schrie ich ihn lautstark an.
„Ich meine Folgendes: Nehmen wir mal an, er hätte Ihnen etwas weniger Schlimmes angetan. Nehmen wir mal an, Sie hätten einen Rechtsstreit mit ihm. Er hat Sie mit dem Auto angefahren, behauptet aber, Sie wären ihm vors Auto gelaufen. Nun müssten Sie sich vor Gericht verteidigen gegen seine Behauptungen. Wie würden Sie vorgehen?“
„Lassen Sie mich gehen jetzt!“, rief ich aus.
Er hatte nach meinen Armen gegriffen, drückte meine Oberarme schmerzhaft zu.
„Aua!“, beschwerte ich mich, „Sie tun mir weh!“
„Das scheinst du doch zu mögen, wenn dir jemand Schmerz zufügt oder warum riskierst du freiwillig erneut den Tod?“, fragte er und riss an mir.
Plötzlich fühlte ich Schmerzen und Angst. Dieser Mann wollte mir Angst machen, warum nur? Mein Blick war verzweifelt, er ließ mich los. Erschrocken wich ich zurück.
„Du musst dich schützen lassen, verstehe das endlich! Warum kapierst du das nicht?“, sagte er, lässig an der Tür lehnend.
Ich überlegte einen Moment lang was hier passierte. Es war höchst ungewöhnlich, wie sich dieser Polizist verhielt. Vielleicht sollte ich mich auch so verhalten.
Dann lief ich auf ihn zu, wollte ihn von der Tür wegschieben oder gegen die Tür schlagen, damit seine Kollegen ihn zur Vernunft bringen. Da wich er auf die Seite, ließ mich vorbei. Er wollte mir seine Karte geben, doch ich schlug sie ihm aus der Hand.
„Scheiß-Bulle“, sagte ich und lief nach draußen.
„Deinen Mut möchte ich haben“, rief er mir abfällig nach.
Die Beamtin von vorhin fragte mich besorgt nach meinem Wohlbefinden, wollte mich unbedingt nach Hause bringen, doch ich wollte nur noch weg von allem was mit Polizei zu tun hat.
Ich erzählte Christian von dem Vorfall bei der Polizei.
„Ich glaube auch, dass das nur ein Trick war. Ich verstehe nur nicht, dass der Beamte etwas Derartiges einfach mit dir machen kann. Also legal war das nicht.
Du könntest ihm eine Dienstaufsichtsbeschwerde aufhalsen wenn du willst und würdest gewinnen.“, erklärte er.
Es schien ihn selbst zu verärgern, dass der Polizist mir derart Angst machen wollte.
Ich versuchte die Sache einfach zu vergessen.
Ein Gutes hatte es wenigstens: Die Polizei konnte mir gar nichts mehr. Dank dieses Mannes, dessen Namen ich nicht mal kannte, wies ich die Beamten fortan strikt ab.
„Sie dürfen mich nicht zwingen zu diesem Gespräch, ich kenne meine Rechte“, sagte ich immer, wenn sie vor meiner Tür standen. Auf einen weiteren Brief mit einer Vorladung zur Befragung antwortete ich per Einschreiben mit demselben Satz. Es funktionierte, sie gaben immer nach.
Als die Beamtin von damals am Telefon sagte, so etwas würde nicht mehr vorkommen wie damals in der Inspektion mit dem Kollegen Koffner, wurde ich hellhörig.
„Der Polizist, der mich gegen meinen Willen festgehalten hat?“, fragte ich nach.
Ich wollte seinen Namen wissen. Vielleicht hätte ich doch die Karte nehmen sollen. Es ist immer gut, wenn man weiß mit wem man es zu tun hat.
„Nun ja, Herr Koffner wollte Sie nicht gegen Ihren Willen festhalten, er wollte Ihnen nur etwas begreiflich machen, bei dem Sie immer gerne weg hören.“
Er war es also, Koffner hieß er. Ich googelte ihn, fand ihn aber nicht. Er tauchte nirgendwo auf, kein Koffner in ganz Deutschland wohnte in der Nähe, war so alt wie er oder sah auch nur annähernd so aus. Er war dasselbe Phantom wie mein Attentäter.
Der Täter
Drei Monate später hatte ich Koffner längst vergessen. Er war ein übereifriger Bulle, der mir ein Geständnis entlocken wollte, das es gar nicht gab, das war alles. Wenn er ein nur halb so schlauer Kriminologe war, wie er von sich glaubte zu sein, dann hätte er sicher gewusst, dass ich keine weiteren Fakten kannte, als jene, die ich gesagt hatte. Durch meine anfängliche Verschwiegenheit bezüglich des Täters hatte ich mich unglaubwürdig gemacht. Vielleicht hätte ich doch von Anfang an die Wahrheit sagen sollen, in diesem Fall wäre es einfacher gewesen.
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