„Enkelkinder.“
„Wie bitte?“
„Es werden Zwillinge“, erklärte Karim.
„Zwillinge?“ Selma riss verwundert die Augen auf.
„Ja. Zwei Jungs.“
„Woher willst du das wissen? Faizah ist fast zweitausend Kilometer entfernt!“
„Der Hades sagte es mir.“
„Du meinst deine Traumbilder aus dieser Halle?“
„Ja.“
„Du solltest nicht alles glauben, was du träumst.“
„Es war kein Traum, sondern die Läuterung durch den Hades.“
„Und du glaubst daran?“
„Ja ... es war so realistisch.“
„Die Realität entspricht nur selten der Wahrheit. Was sagte Faizah dazu?“
„Sie weiß es nicht. Es ist ihr auch egal, wichtig ist nur, dass die Kinder gesund geboren werden.“
„So sehe ich es auch.“
„Jetzt lass uns über andere Dinge sprechen. Gibt es Neuigkeiten von Obox-ob?“
Obox-ob, Herr der Geisterwelt, hatte den Geschwistern bei der Flucht aus der Türkei geholfen. Als Gegenleistung wurde von Selma und Karim das Versprechen geleistet, nach Ares, dem Gott des Kriegsgemetzels, zu suchen, der aus dem Hades geflohen oder entführt worden war. Selma besitzt die Gabe, mit den Wesen der Geisterwelt Kontakt aufzunehmen, zu kommunizieren und in deren Welt zu reisen. Sie hatte die Vereinbarung mit Obox-ob getroffen.
„Ares befindet sich nicht in der Welt der Geister, er bezweifelt auch, dass sich der Kriegsgott noch im Abyssos aufhält. Dort würde seine Anwesenheit schnell bemerkt werden. Ein Gott in der Unterwelt fällt auf.“
„Was glaubt er stattdessen?“
„Obox-ob vermutet, dass sich Ares in der Welt der Menschen versteckt hält. Er glaubt sogar, er würde sich hier in der Nähe von Athen aufhalten.“
„Warum glaubt er das?“
„Dieser Ares scheint ziemlich verliebt zu sein, sagte Obox-ob.“
„Ach ja? Wer ist die Glückliche?“, hakte Karim mit einem ironischen Klang in der Stimme nach.
„Aphrodite.“
„Und wer ist das?“
„Du ungebildeter Kerl!“
„Entschuldige bitte! Du scheinst vergessen zu haben, dass ich an der Stadtmauer stand, um Hesen Dera zu verteidigen, statt in der Schule zu sitzen und zu lernen.“
„Du hast recht. Aphrodite ist die Göttin der Liebe, der Schönheit und der sinnlichen Begierde.“
„Klingt aufregend.“
„Ja, scheint sie auch zu sein. Obox-ob meint, sie wäre das schönste Geschöpf, das er je zu Gesicht bekommen hat.“
„Gut, das heißt, dieser Ares hat einen guten Geschmack. Aber was hat das mit unserem Auftrag zu tun?“
„Diese Aphrodite lebt mit Hephaistos, ihrem Gemahl, in einer der zwölf Wohnungen des Olymps.“
„Aphrodite ist verheiratet?“
„Ja, mit Hephaistos, so erklärte es mir Obox-ob.“
„Und dieser Ares ist in Aphrodite verliebt, obwohl sie verheiratet ist?“
„Ja. Sie scheinen eine heimliche Affäre zu führen.“
„Diese Aphrodite geht fremd?“, rief Karim entsetzt.
„Ja. Obox-ob meinte, das täten fast alle Götter. Übrigens auch die Könige, Prinzessinnen und Fürsten der Unterwelt. Du erinnerst dich?“
„Ja, sicher. Prinzessin Targunitoth scheint auch regelmäßige Affären zu haben. Aber was ist mein Glauben noch wert, wenn selbst die Götter keine Vorbilder mehr sind, sondern die Ehe brechen?“
„Eine gute Frage, Karim. Wir sollten bei nächster Gelegenheit den Imam danach fragen.“
„Ja! Das werde ich tun. Aber nun erzähl bitte weiter, was Obox-ob noch sagte.“
„Er glaubt, dass sich der verliebte Ares in der Nähe der Aphrodite aufhalten wird, also in Griechenland. Außerdem meint Obox-ob, dass Ares nach seinem Schwert suchen wird.“
„Nach einem Schwert?“, erkundigte sich Karim und zog die rechte Augenbraue empor.
„Bevor Ares zur Läuterung in den Hades verbannt wurde, hat Zeus, sein Vater, von ihm verlangt, sein Schwert abzugeben.“
„Und? Hat er das getan?“
„Vermutlich. Aber Obox-ob kann nichts Genaues dazu sagen.“
„Wo vermutet er das Schwert des Ares?“
„Es gibt ein Gerücht, dass Ares es ins Meer geworfen hat. Jedoch kann niemand darüber eine sichere Aussage treffen.“
„Also wird sich dieser Ares in der Nähe seiner Geliebten aufhalten und nebenbei nach seinem Schwert suchen?“, stellte Karim als Vermutung auf.
„Das vermutet Obox-ob. Wir sollten die Umgebung vom Olymp überprüfen. Außerdem müssen wir recherchieren, von welcher Stelle Ares sein Schwert ins Meer geworfen hat.“
„Und wie sollten wir dieses Kunststück ausführen?“
„Dafür gibt es doch das Internet, Karim.“
„Dann brauchen wir einen Computer mit Internet-Zugang.“
„Keiner benutzt mehr einen Computer. Ich werde uns ein i-Pad besorgen, so sind wir ständig online, selbst wenn wir uns durch Athen bewegen.“
„Was ist ein i-Pad?“
„Ach, Karim ...“
„Ich kann dir erklären, wie man eine Kalaschnikow oder eine Panzerbüchse bedient und abfeuert!“
„Ja, schon gut. Ein i-Pad ist ein Tablet, ein kleiner, flacher, tragbarer Computer mit Internetzugang.“
„Dann besorg uns so ein Teil.“
„Ja, werde ich tun. Hast du bereits deinen Rucksack kontrolliert?“
„Nein, warum?“
„Es war Labolas. Während du im Koma gelegen bist, hat er deine Kalaschnikow mit in den Abyssos genommen. Er meinte, hier in Athen würdest du sofort mit einer Maschinenpistole verhaftet werden. Die Menschen scheinen in ständiger Angst vor Terroranschlägen zu leben, und du als Syrer stehst ganz oben auf der Gefährdungsliste. Du besitzt nur noch deine Makarow Pistole und den Jambia Krummdolch. Labolas sagte, du sollst die Waffen gut versteckt tragen, wenn wir uns in Athen bewegen.“
„Das erscheint mir vernünftig zu sein.“
„Du solltest mit Labolas Kontakt aufnehmen. Er wird dich über die Neuigkeiten informieren.“
„Ja, werde ich tun.“
Labolas ist ein koboldartiger Dämon aus dem Abyssos, der von Prinzessin Targunitoth den Auftrag erhalten hatte, die Geschwister auf der Flucht von Syrien nach Deutschland zu begleiten. Karim verfügt über die Gabe, mit den Dämonen im Abyssos Kontakt aufzunehmen, mit diesen zu kommunizieren und die Unterwelt zu betreten.
„Dann frage ihn bei dieser Gelegenheit, ob es im Abyssos Informationen über den Aufenthaltsort von Ares oder von seinem Schwert gibt.“
„Ja, werde ich tun.“
„Und du telefonierst mit unserem Vater! Er hat ein Recht darauf zu erfahren, dass er Großvater wird.“
„Ja,