«Aber was hat Euch nach Bremen geführt?» wiederholte Kellmann, durch das wunderliche Benehmen des jungen Burschen fast etwas mißtrauisch gemacht.
«Ja, Herr Kellmann», sagte der reiche Bauerssohn, wirklich jetzt verlegen seinen Hut um den Zeigefinger der linken Hand drehend, «das hat – das hat so eine eigene Bewandtnis – ich bin – ich bin zu einem Entschluß gekommen – ich will – ich will auswandern.»
« W a s will er?» schrie Schollfeld, der die Worte nicht ganz verstanden, den ungefähren Sinn aber etwa erraten hatte. Jedenfalls schöpfte er Verdacht, und ehe Kellmann nur imstande war ein Wort darauf zu erwidern, rief nochmals laut: « W o will er hin?»
«Nach Amerika», sagte jetzt der junge Mann entschlossen und wollte noch etwas hinzusetzen, aber der Apotheker schlug dermaßen auf den Tisch, und fing so an zu schimpfen und zu fluchen, niemand wußte eigentlich auf was und gegen wen, daß Mathes gar nicht gleich wieder zu Worte kommen konnte und vielleicht auch eben nicht böse darüber war.
«Hallo, was haben wir da wieder?» rief aber in dem Augenblick Lobsich, der mit dem bestellten Bier für einen seiner besten Kunden selber ankam. «Daß Dich die Milz sticht, was ist denn dem Apotheker eigentlich in die Krone gefahren?»
«Dem Apotheker nichts», nahm da Kellmann kopfschüttelnd das Wort, «doch hier dem Dingsda, dem Mathes – was meint Ihr, Lobsich, was er vorhat?»
« H e i r a t e n ? » sagte dieser, und ein breites, vergnügtes Schmunzeln über den so richtig und schnell geratenen Vorsatz zog sich über sein dickes, gutmütiges Gesicht.
« H e i r a t e n ! » schrie aber der Apotheker dazwischen, indem er sich seinen Hut in die Stirn drückte und seinen Rock anfing zuzuknöpfen. «Heiraten ! Ja prost die Mahlzeit, a u s w a n d e r n will der Kerl, wie ein blindes Pferd, das durch die Stallwand bricht, in einen Teich zu fallen.»
« A u s w a n d e r n ? » schrie aber auch jetzt Lobsich in unbegrenztestem Erstaunen. «Na, das ist mir aber doch wahrhaftig ‘was U n bedeutendes!»
«Oh hol’ mich der Teufel mit Eurer albernen Redensart!» rief der nun einmal ärgerliche Apotheker und nahm seinen Stock unter den Arm – sein stetes Zeichen, daß er fertig zum Gehen sein. «Was Unbedeutendes, jawohl, wenn der Raptus15 erst einmal in s o l c h e Köpfe und Geldbeutel fährt, nachher werden wir sehen, was wir hier anrichten. Ich will mir aber mein Abendbrot nicht verderben – gute Nacht Ihr Herren.»
«Halt, Schollfeld!» rief aber Kellmann, ihn am Arm fassend und zurückhaltend. «Brennt mir nicht durch, ich gehe auch gleich mit und wollte nur erst hören, was Mathes den Gedanken in den Kopf gesetzt hat. Hol’s der Henker, er macht sich entweder einen Spaß mit uns, oder es ist nur so eine Idee von ihm, die wir ihm wieder ausreden können.»
«Wenn ich das wüßte, blieb ich die ganze Nacht hier», sagte Schollfeld, seinen Stock wieder auf den Tisch legend und zu dem verlassenen Stuhl zurückgehend. «Mensch, Mathes, seid Ihr denn rein vom Teufel besessen, oder habt Ihr nur heute in irgendeiner Kneipe ein wenig des Guten zu viel getan, daß Ihr so tolles Zeug zusammenfaselt?»
Mathes blieb aber bei allen diesen Ausdrücken des Erstaunens, die erste Erklärung nun einmal überstanden, vollkommen ruhig und zog nur, statt jeder weiteren Antwort, einen Brief aus seiner Brusttasche, den er langsam auffaltete und vor sich legte, als ob er ihn vorlesen wollte.
«Nun, was soll’s mit dem Wisch?» rief der Apotheker ärgerlich. «Ihr habt Eure Seele doch noch nicht dem Gottseibeiuns verkauft?»
«So schlimm noch nicht», lachte der junge Bursche, «das hier ist nur ein Brief von Caspar Lauber, den Sie ja alle kennen und der vor etwa sieben Jahren nach Wisconsin auswanderte.»
«Der w a s tat?» rief der Apotheker, die Augen zusammenkneifend und das linke Ohr zu ihm hindrehend. «Nuschelt nicht so in den Bart, daß Euch ein Christenmensch noch verstehen kann, ehe Ihr unter die Heiden geht.»
«Der nach Wisconsin auswanderte», sagte der junge Bauer lächelnd. «Er hatte mir damals versprochen zu schreiben, wie es ihm ginge, schlecht oder gut – wenn schlecht, wollt’ ich ihm helfen, wenn gut, vielleicht nachkommen. Aber er schrieb n i c h t , Jahr nach Jahr, und da er überhaupt nichts von sich hören ließ, glaubte ich schon, er sei da drüben gestorben oder untergegangen in dem weiten Reich, bis ich vor vier Wochen etwa einen Brief von ihm erhielt, und seit der Zeit habe ich keine Ruhe gehabt bis zu dem heutigen Tag.»
«Nun ja, natürlich», brummte der Apotheker.
«Aber so laßt ihn doch nur reden», rief jetzt auch ärgerlich der Aktuar dazwischen. «Ihr raisoniert nur in einem fort und glaubt nachher, wenn Ihr recht geschrieen habt, Ihr hättet Recht.»
«So lest den Brief einmal!» sagte Kellmann, die Arme auf den Tisch stützend. «Nachher wissen wir ja gleich, woran wir sind.»
«Aber erst muß ich noch Bier haben», rief Schollfeld dazwischen, «ich mag die Lügen wenigstens nicht trocken mit anhören.»
Lobsich winkte einem der nächsten Kellner, die indes leer gewordenen Gläser wieder zu füllen, denn der Brief interessierte ihn selbst zu sehr, den Tisch jetzt zu verlassen, und Mathes sagte wie entschuldigend:
«Der Brief ist sehr kurz, aber es steht alles darin, was ich zu wissen verlangte, und er lautet:
,Lieber Mathes – ich habe bis jetzt mein Versprechen nicht gehalten, Dir zu schreiben, weil es mir sehr schlecht gegangen ist…’ »
«Naja», fiel ihm hier der Apotheker in das Wort. «Und nun müßt Ihr Hals über Kopf machen, daß Ihr auch hinüber kommt.»
Kellmann wollte dem ewigen Einredner etwas erwidern, aber Mathes fuhr, lächelnd die Hand gegen ihn aufhebend, wieder laut fort:
« ,Ich wollte aber nicht gern, daß mich jemand anderes unterstützen sollte, weil das hier im Lande eine Schande ist, ich wollte mir selbst helfen, und habe mir kümmerlich, aber ehrlich und fleißig durchgeholfen. Jetzt habe ich eine kleine Farm von achtzig Acker, und vierundzwanzig Stück Rindvieh und dreißig Schweine und zwei Pferde, und es geht mir gut. Ich habe hart arbeiten müssen, aber ich komme durch. Wenn Du mit Geld hier herüber kommst und willst mich aufsuchen, daß ich Dir mit Rat und Tat an die Hand gehen kann, dann brauchst Du keine Angst zu haben, daß Du nicht durchkommst. Wenn Du eine Frau hast, bringe sie mit; Kinder sind ein Segen hier, kein Fluch, wie für manchen armen Mann in Deutschland. Wer arbeiten will, kommt fort, wer faul ist, geht zugrunde. Es grüßt Dich zehntausendmal Dein Caspar Lauber – Lauders Farm bei Milwaukie, Wisconsin.»
«Und auf d e n Brief wollt Ihr auswandern?» rief aber auch Kellmann jetzt erstaunt. «Mathes, ist Euch denn das Auswanderungsfieber so plötzlich in die Glieder geschlagen, daß Ihr die Seekrankheit für das einzige Mittel haltet, die es kurieren könnte?»
Mathes schüttelte aber gar ernsthaft mit dem Kopf, faltete den Brief zusammen, den er zurück in seine Tasche schob, und sagte mit fester und entschlossener Stimme :
«Lange im Sinn hab’ ich’s schon gehabt, und der Brief hat es zuletzt zum Ausbruch gebracht.»
«Aber, Mathes, Ihr vor allen anderen habt doch Euer Auskommen hier im Land», rief jetzt auch Lobsich, während der Apotheker das ihm eben gebrachte Glas auf einen Zug hinuntergoß, wie um seinen Ingrimm damit niederzuspülen. «Wenn I h r nach Amerika auswandern wollt, wer soll denn noch dableiben?»
«Ich b l i e b e auch», sagte Mathes rasch und mit vor innerer Bewegung fast erstickter Stimme. «Ich bliebe auch, wenn mich mein Vater ließe, aber – der will nicht in die Heirat eiligen mit Roßners Käthchen, des Häuslers16 Tochter aus Rodnach. Hier hält er mich dabei unter dem Daumen mit seinem Gut und Geld, und das Mädchen stirbt mir indessen in Arbeit und Gram; dort drüben aber ist ein Platz, wo fleißige Menschen auch durchkommen können mit Gottes Hilfe o h n e Geld, o h n e Ansehen. Der Lauber hatte gar nichts, wie er hinüberging,