Delfinschlaf. Andreas Knierim. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Andreas Knierim
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847622192
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Strasse mit ihrer Schwärze. Die Laternen sind kaputt oder abgestellt, hier kommt doch sowieso niemand mehr hin, wer will hier denn leben? An meinen dunkelsten Stellen?

      Wenn du glaubst, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her. Hat mal jemand Kluges gesagt.

      Mein Lichtlein erscheint in Form einer Retro-Neonreklame. Heimat steht drauf. Ist irgendwie auch gar nicht Retro sondern Original: Ich sehe durchs Fenster: Helle Tische, antike Tische, abgebeizt. Hier liebt jemand seine Tische, abgebeizt wahrscheinlich durch tagelanges, genüssliches Streicheln. Eine Rose auf jedem Tisch! Eher Rosenknospen! In winzigen Vasen!

       Innen. Heimat. Nacht.

      Ich stoße die Tür auf. Ich ergebe mich meinem Schicksal. Jedes Molekül meines Körpers sprengt in eine andere Richtung, fliegt durch diesen Raum, kreist und verweilt und kommt zum Eingang zurück. Dann setzen sich alle Moleküle wieder zum Mia-Körper zusammen.

      »An die Bar stellen« hämmert es mir in den Kopf.

      Der Barkeeper schaut mich an: »Guten Abend. Gibt es irgendetwas, was Ihnen fehlt und wir Ihnen hier und heute geben könnten?«

      Eine Frage wie in Mister Magorians Wunderladen (http://de.wikipedia.org/wiki/Mr._Magoriums_Wunderladen). Ich bin die süße Natalie Portmann, hinter der Theke lächelt Dustin Hoffmann. Tapfer denke ich meine Dialogzeile: »Ja, das gäbe es schon was: Endlich mal ein Fünkchen Anerkennung für das, was ich bin und tue.«

      Ich fasse es nicht. Keinen Kino-Talk jetzt. Ich glaube, ich dreh jetzt vollkommen ab. Bleib cool, Mia. Das hier ist eine Bar: »Ich hätte gern ein Glas Rotwein.«

      »Irgendwelche Vorlieben?«

      »Haben Sie Rioja?«

      »Habe ich. Kommt sofort.«

      Ich trinke.

      Ich stelle mein Glas wieder hin.

      Ich schaue mich um: Heimat trifft es ganz gut. Warme Farbtöne an den Wänden. Gedämpftes Licht. Angenehm warm.

      Danke für den Wein. Ist gut. Tut gut. Der Barkeeper widmet sich seiner Arbeit. Spricht nicht. Tut gut.

      Ich darf bleiben.

      Dann gehe ich. Nach Hause.

       Dienstag

       Innen. Mias Arbeitskoje. Tag.

      Weiter im Existentialismus. Gibt mir meine Arbeit Sinn? Ich stehe morgens auf, ich dusche mich, ich schminke mich, ich nehme den Bus, ich grüsse freundlich, ich stürze mich in meine Aufgaben. Ohne diesen Alltag wäre ich nichts. Ich freue mich auf meine Karriere.

      Mit dem Delfinschlafen kann ich jetzt plötzlich was Besonderes, habe aber trotzdem überhaupt nicht das Hier-Bedürfnis.

      Telefon klingelt. Ich bin Roboter-Mia und gebe mit meiner Roboter-Stimme tolle Auskünfte zu unserem Unternehmen. Am anderen Ende der Leitung ist sicher ein Journalisten-Roboter, so wie der gerade spricht.

      Unser Büro mit den lieben KollegInnen: Autistisches Cocooning nennen das dann wohl die Experten = Isolation in feindlicher Umgebung. Alle erzählen, dass sie immer mit allen kommunizieren. Stimmt aber nicht, Leute. Die wichtigsten Infos werden hier gehandelt wie seltene Erden.

      Es war ganz klar mein Traumjob. Super klar. Nach all dem Theorie-Shit im Studium, nach all den Karriere-Tussis, den Ego-Taktikern, die vor mir im Hörsaal gesessen hatten. Bachelor und Master einfach nur so raushauen und dabei mit den Wimpern klimpern in Richtung Professor. Meine Geschlechtsgenossinnen: die Laura-Maries, die Lenas, die Hannahs. Vornamen, bei denen sich die Eltern was gedacht haben. Ist nämlich wichtig, wie das Kind heißt. Gibt ihnen einen besseren Start ins Leben und ebnet die Karriere. Ist wissenschaftlich erwiesen. Nicht solche Loser wie Jennifer oder Kevin.

      Bei den was-gedacht-Vornamen bin ich keine Ausnahme. Mia sollte es sein - spätestens in den 1990er Jahren der beliebteste Vorname. Ist meinen Eltern einfach so eingefallen, sie hatten keine Vorbilder. Sagen sie, lügen sie.

      Meines Google-Wissens gibt es da eine Musik-Band (http://www.miarockt.de/), dann eine englische Sängerin – alles vor meiner Geburt. Dann einen Song (na gut, der heißt Mamma Mia und hat irgendetwas mit Griechenland zu tun, keine Ahnung was) und eben mich, die Kurzform von Maria: Mia.

      Ich bin die Projektion meiner Eltern, würden deren Therapeuten sagen. Sie hatten sich das freie Kind gewünscht, herausgekommen ist - welche Schande - das Duckmäuserkind. Also genau das Kind, was sie selbst auch schon waren.

      Ich schaue mich um: Hier im Büro sind wir alle Feinde. Meine lieben KollegInnen schauen mich so an, als wären sie schon jetzt meine Chefs. Das müssen sie auch, denn die Chance, Führungsverantwortung zu übernehmen, ist mit 30 am höchsten. Dann nimmt es Jahr für Jahr ab – jedes Jahr um zehn Prozent. Glaubt den Studien! Hängt euch rein. Mit 40 seid Ihr Müll! Go big or go home!

      Wir sind immer da. Und wenn wir mal nicht da sollten, entschuldigen wir uns dafür:

      »Entschuldigung, ich gehe mal aufs Klo.«

      »Entschuldigung, ich hol' mir mal schnell einen Kaffee.«

      »Entschuldigung, ich geh' mal kurz nach Hause zum Schlafen.«

      Wir arbeiten. Besser: Wir tun so, als ob wir arbeiten. Unsere Facebook-Pinnwand will doch weiterleben! Wir müssen posten! Der Chef liest doch sowieso online mit, ist froh über die Details unseres erbärmlichen Daseins. Holt sich darauf einen runter. Meine ich nur so symbolisch.

      Bei uns ist es nicht so wie in den Büro-Serien. Wir sind dafür zu blöd. Wir sind nicht richtig böse. Gibt es nur im Fernsehen.

      Wir sind irre. Meine Kollegin hat um ihren Schreibtisch herum eine Kuscheltiersammlung aufgebaut. Wir lachen mit ihr darüber. Wenn sie nicht dabei ist, lästern wir ab.

      Ein anderer Kollege hat eine Bechersammlung von Coffeeshops weltweit. Nein, eigentlich nur von Starbucks weltweit. Er lässt sich die Becher immer von Anderen mitbringen. Alle sehen gleich aus. Nur er kennt die Herkunft. Er macht Führungen durch seine Bechersammlung: »Aus Paris!« »Oslo!« »Neuseeland!« Ich freue mich schon darauf, wenn er mein Chef wird.

      Was produzieren wir eigentlich? Ach, ja richtig: Kommunikation. Das machen wir. Im Team machen wir das. Dauernd. Prokrastinativ. Mein Arbeitsplatz ist ein Holodeck. Mit Borgs.

       Innen. Yanas Loft. Nacht.

      Als ich die schwere Lofttür hinter mir zudonnere, sehe ich Yana auf dem Colosseum-Sofa von Tappezzeria Rocchetti (http://www.homedit.com/colosseum-sofa-from-tappezzeria-rocchetti/). Das Ding ist mir absolut bekannt. Yana spricht seit Wochen davon, zeigt mir massenhaft Bilder auf ihrem Handy. Jetzt raucht sie, jetzt sitzt sie, jetzt lacht sie sich kaputt.

      Ich stelle die Frage, die sie selbstverständlich erwartet: »Wo hast du das denn her?«

      Rauch dampft ihr aus den Nasenlöchern: »Vom Meister persönlich. Ich soll in meinem Blog darüber schreiben. Er würde sich darüber freuen. Molte grazie, Tappezzeria! Nehmen Sie doch Platz, Frau Schütz, hier bedeutet Grandezza noch etwas.«

      Ich flöze mich drauf, klaue Yana die Zigarette. Inhaliere. Huste. Lache. Wir beiden lachen.

      »Komm' Mia, du fängst an.«

      »Och nö. Ich hab' keine Lust. Ich bin so was von kaputt.«

      »Nicht Rumzicken. Ich sage H und du beginnst unten.«

      Ich hasse dieses Lifestyle-Spielchen, Yana liebt es. In ihrer Loft gelten ihre Regeln. Na gut: »Für deine süßen Füße natürlich Schuhe von Hermès. Ich arbeite mich an deinen langen Beinen in Strümpfen von Hudson langsam innen an den Schenkel nach oben. Ah, was ist das? Dessous von huit. Ein knallenger Rock, der