Dschungeltanz. Aurel Levy. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Aurel Levy
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738046649
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      Knapp drei Wochen blieben mir, bis ich dem Notar meine Entscheidung vorlegen musste.

      Sämtliche Argumente lagen auf dem Tisch, Benny und ich hatten alles zigmal durchgekaut. Was ich nun brauchte, war ein wenig Ablenkung.

      ZWEI

      Wie gebannt stand ich vor dem Glaskasten und drückte mir die Nase platt. Selbstverständlich nicht im eigentlichen Sinne dieses Wortes. Ich weiß, was sich gehört, noch dazu im altehrwürdigen British Museum. Und so hielt ich gebührenden Abstand. Aber so etwas hatte ich noch nie gesehen. Nicht einmal in der großen Tutanchamun-Ausstellung seinerzeit. Neben einer Katze und einem Hund lag dort ein zur Mumie verarbeitetes Babykrokodil in seinem Sarkophag. Selbst der Holzkasten war figurbetonend gearbeitet worden. Wie so etwas bei einem Krokodil ausschaut, muss ich wohl nicht groß erklären. Das schmeckte mir! Krokodilmumie war noch cooler als Bennys Hamster! Weil ich mich schon früh für die Welt der alten Ägypter interessierte, hatten wir Bennys erstes Haustier dereinst mit Bedacht ausgewählt. Zwar zeigte sich der elfjährige Rösler junior bereits mehr von Mädchen angetan als von Tieren oder Mumien, aber grundsätzlich war er für jeden Scheiß zu haben. Und da er die liberaleren Eltern hatte, marschierten wir schnurstracks ins Zoofachgeschäft. Selbstverständlich hatte ich mich vorher schlaugemacht. Goldhamster waren aufgrund ihrer niedrigen Lebenserwartung ideal. Zudem baten wir den Verkäufer um ein reifes Tier. Gerne eines, das eh weg müsse.

      Unser gemeinsamer Schulweg begann daraufhin stets mit dem gleichen Ritual, der Frage nach dem Wohlergehen des Hamsterbullen. Als es dann eines Tages so weit war, begleiteten wir den armen Kerl auf seinem Weg ins Jenseits. Benny im Osiris-Outfit, ich mit Anubis-Kappe. Da wir den Salzbedarf einer Hamster-Einbalsamierung unterschätzt hatten, musste leider die Himalaya-Salz-Lampe meiner Mutter dran glauben. Hauptkritikpunkt war, dass wir den Hamster für die Wochen seines Salzbades im Hochzeitsgeschirr meiner Eltern geparkt hatten und er dort ein gewisses Bouquet entwickelte.

      Solche Aktionen verbinden. Ohne zu zögern, würde ich Benny damals wie heute als meinen besten Freund bezeichnen!

      Ich verließ die Haustiermumien. Schon im nächsten Glaskasten erwartete mich ein weiterer Knüller. Die Frau eines Pharaos. Ihren Körper bedeckten ein paar Leinentücher, nicht flächendeckend jedenfalls. Es fiel mir wahnsinnig schwer, ihr Alter zu schätzen. Das geht mir bei Frauen meistens so.

      Sie war schlank. Sogar sehr schlank. Gegen ein bisschen schlank habe ich nichts. Wirklich nicht. Es kann sogar ganz schön aussehen. Aber extrem schlank ist nicht mein Fall. Besonders, wenn jemand zu viel Sonne abgekriegt hat. Dann ist das Gestell nicht nur klapprig, sondern auch noch faltig. Beine wie ein Storch und Haut wie ein Elefantenrüssel. So ein Fall lag vor mir. Selbst die Haut an den Schenkeln war runzelig. Und die ist bei einer Paarundzwanzigjährigen eigentlich immer straff. Behauptet Benny.

      Trotzdem, Mumien üben eine Wahnsinns-Anziehungskraft auf mich aus. Und die hier war auch noch hübsch! Da liegt jemand vor dir, der lange vor Jesus gelebt hat und man kann ganz genau erkennen, ob Frauen der höheren Gesellschaft im alten Ägypten einen Damenbart trugen oder sich die Augenbrauen zupften. Und erst die Frisur. Das Mädel hier hatte exakt die gleiche Frisur wie Uma Thurman in Pulp Fiction. Das Pony zwei Finger breit über den Augenbrauen quer abgeschnippelt. Dabei lagen dazwischen schlappe 3000 Jahre.

      Woran mochte das liegen? Ich meine, weshalb konnte ich nicht genug bekommen? Wieso wollte ich alles über das alte Ägypten in Erfahrung bringen, seitdem wir mit der Schule in dieser Ausstellung waren? Als Steppke machst du dir darüber natürlich keine Gedanken.

      Lag es vielleicht daran, dass eine Mumie ein Fenster in die Vergangenheit war? Oder war es der Gedanke an die eigene Unsterblichkeit? Die Faszination des Ewigen Lebens? Das leise Läuten des Universums?

      Ich riss mich los und trat neben den Glaskasten. Auf einem Täfelchen stand:

       Sir Archibald Llewellyn Wooley

       01 April 1876 – 11 November 1951

       Archibald Llewellyn Wooley was a British Egyptologist.

       He was born in Staines-upon-Thames. His mother was named Caroline Wyatt

       and his father, Percy Stuart Wooley, was a lawyer. Wooley developed a strong

       attachment to botany in childhood and was also an excellent artist ...

      Wooley sah in seinem Tweed-Anzug so sehr wie ein britischer Gentleman aus, dass man fast meinte, Prince Charles singen zu hören. Ach, schau an, das war interessant: Wooley war auch nicht sofort Archäologe geworden, sondern hatte zunächst Jura studiert. Als Anwalt eine gutbürgerliche Existenz aufgebaut, anschließend umgeschult und mit Howard Carter im Tal der Könige gearbeitet. Zum Dank für seinen Dienst am Vaterland verlieh ihm Königin Victoria den Sir.

      Offensichtlich hatten Söhne vor hundert Jahren dieselben Probleme wie wir heute. Dass sie von ihren Schwiegervätern in spe zu hören bekamen: »Junge, mach was Anständiges. Vergiss die Flausen. Ägyptologie ist eine brotlose Angelegenheit. Das ist nichts für dich. Du willst doch Familie! Lern was Gescheites! Anwälte werden immer gebraucht ...«

      Genau diese Sprüche hat mir der alte Seizinger pausenlos reingedrückt.

      Und jetzt Archibald. Der hat es schlau angestellt. Erstmal anständig Geld verdient und alle waren happy. Waren das Parallelen, die ich erkennen musste? Hatte mich das Schicksal hierher geführt, weil es mich so verdammt gut kannte? Um mir zuzuraunen: »Psst, Topsi, lies mal: Archie hat es dir vorgemacht, es ist ganz leicht! Komm aus dem Sattel! Was ist schon ein Medizinstudium? Worauf wartest du?«

      Hey, stimmt, was brauchte ich noch? Sollte vielleicht die Schicksalsgöttin persönlich herbeigeritten kommen, um mich in ihrer Kutsche mit den acht geflügelten Schimmeln abzuholen?

      Und ob das alles nicht schon genug Anweisungen aus dem Off waren, drängte in meinen Saal nun auch noch eine Wagenladung wuseliger, japanischer Touris. Wie ein Bataillon Termiten. Zeit, mich vom Feld zu machen.

      Ich ließ die Mumien Mumien sein und trat kurze Zeit später auf den Vorplatz des Museums. Rosa Schleierwolken hingen in einem zartblauen Abendhimmel. Sehr hübsch. Und überhaupt fand ich gerade alles ziemlich gut. Eine Welle der Hochstimmung hatte mich erfasst und trug mich auf ihrem Kamm vor sich her. Ich war derart vergnügt, dass ich beinahe anfing, zu pfeifen. In dieser Verfassung bog ich in die Qxford Street und mischte mich in den Strom der Leute. Apropos Oxford Street: Was sich auf dieser Straße im Schein nachweihnachtlich illuminierter Kaufhausdekorationen tummelt, ist ein wahres Lehrstück der großen Völkerkunde. Sollte irgendwer leiseste Zweifel besitzen, was mit dem Begriff globalisierte Gesellschaft gemeint sein könnte – er besuche doch bitte die Londoner Oxford Street in den ersten Januartagen. Ich kam aus dem Staunen nicht heraus. Turbanisierte Inder feilschten mit einem schwarzafrikanischen Sonnenbrillenvertreter, eine Saudi-Familie stritt sich mit einer Gruppe kurzbehoster Amerikanerinnen um die besten Plätze vor einem portugiesischen Straßengitarristen und ein Tamilenpärchen interpretierte lauthals den Busfahrplan. Von allen Seiten flogen Sprachfetzen auf mich zu. Ich blickte in exotische Gesichter, erhaschte interessierte Blicke und bewunderte das kunterbunte Durcheinander. Was für eine Stadt!

      Ich blieb stehen, um all die Eindrücke aufzusaugen. Für einen Moment schloss ich die Augen und ... Halt! Was war das? Woher kam es? Der Wind hatte mir einen Duft zugetragen, der mich an meine Kindheit erinnerte. Wenn meine Oma mit mir den Münchner Christkindlmarkt besuchte und ich mir eine neue Figur für unsere Krippe aussuchen durfte. Dort hatte es genauso gerochen. Ich ließ meinen Blick wandern. Vis-à-vis stand ein altes Männchen hinter einem noch viel älteren Kanonenofen und schob mit ledrigen, braunen Fingern Maronen hin und her. Ich wechselte die Straßenseite und tauschte Pfundmünzen gegen ein braunes Tütchen. Keine fünf Minuten später saßen die Kastanien und ich auf einem Barhocker. Ich beobachtete voller Vorfreude, wie der Typ hinter dem Tresen die schwarze Flüssigkeit in das Glas schäumen ließ. Ich hatte ihn höflichst um Erlaubnis gebeten, die Maronen an der