„Aber Fräulein Berchta scheint's doch noch zu treiben?" sagte Bernhard. /130/
„Das ist ein tolles Mädel,“ meinte der Alte kopfschüttelnd, „die läßt's nicht bis in alle Ewigkeit. Aber geht nur hinauf, sie hat schon nach Euch gefragt, und der Hackelnberg ist auch oben und der Ebersberger; die ganze tolle Jagd hat sich versammelt, Ihr kommt gerade recht."
„Und darf ich da eintreten?"
„Geht nur gerade zu und sagt ruhig Euer „Waidmanns Heil". Derartige Leute sind immer willkommen, wenn ich's auch gerade keinem Andern rathen wollte, so ohne Weiteres zu ihnen herein zu brechen."
Oben an der Treppe war eine breite Flügelthür. Das ganze Haus sah überhaupt vornehm aus und hätte mit seiner innern Einrichtung eben so gut in einer großen Residenz liegen können - und als der alte Eckardt die Thür öffnete, fand sich Raischbach, fast verlegen, einer ziemlich großen Gesellschaft von Herren und Damen gegenüber, die theils um die Tische zerstreut saßen, theils im Zimmer auf- und abgingen.
Gerade an der Thür vorüber schritt ein stattlicher, hoher Mann in einem Jagdwamms mit hohen ledernen Kollerstiefeln, einen Hirschfänger an der Seite, während auf einem der kleinen Tische rechts ein breitkrämpiger grauer Hut mit Birkhahnfedern darauf, ein Paar große Stulpenhandschuhe und ein Hifthorn lagen. Er drehte sich rasch um, als die Thür aufging, als ob er Jemanden erwarte, und Raischbach sah in ein bleiches, aber edles Gesicht, mit langem schwarzen Schnurr- und Knebelbart und dunkeln blitzenden Augen - das mußte der Hackelnberg sein, und mit lauter unerschrockener Stimme sagte er sein: „Waidmanns Heil! Ihr Herren und Damen!"
„Hallo!" rief der wilde Jäger, auf dem Absatz herum fahrend - „wen haben wir da? Waidmanns Heil, Gesell! Wo kommst Du her?"
„Von droben, mit Verlaub," erwiderte Raischbach, „und wollte mich auch der Gesellschaft nicht aufdrängen, aber die freundliche Einladung der Dame da drüben -"
„Nur keine lange Entschuldigung!" lachte Fräulein Berchta, die am Fenster saß und an einem großen Jagdnetz zu flechten schien, indem sie ihre Arbeit bei Seite warf und auf ihn zu trat - „seid willkommen, Ihr findet hier lauter gute Freunde." /131/
„Spielst Du L'Hombre?" frug der Hackelnberg.
„Das thut mir leid, nein," sagte Bernhard; „weiter nichts als deutsch Solo -"
„Das soll der Teufel holen!" brummte der wilde Jäger ärgerlich, „und der verdammte Hans Jagenteufel verpaßt heute seine Partie. Ich möchte meinen Hals verwetten, der alberne Narr kann wieder einmal seinen Kopf nicht finden."
„Seinen Kopf?" sagte Raischbach verwundert.
„Na natürlich, weil er die dumme Gewohnheit hat, ihn unter dem Arm zu tragen. Wenn er ihn dann einmal ablegt, vergißt er immer, wo."
„Das ist recht gut," sagte eine alte würdige Frau, die jetzt auch auf Raischbach zukam und ihm freundlich zunickte, „daß Ihr einmal um Euer häßliches Spiel kommt und Euch der Gesellschaft widmen könnt; es giebt so nur immer Zank und Streit dabei."
„Bah, Gesellschaft widmen!" knurrte ein anderer baumlanger Gesell, auch in Jägertracht, aber mit wirrem Haar und Bart und tückisch blitzenden Augen; „das ewige Schwatzen und Klatschen bekommt man auch am Ende satt - Eckardt, schafft wenigstens Wein her, daß wir die Gurgeln nässen können!"
„Aber vorher muß ich unserem jungen Gast doch wenigstens die Gesellschaft vorstellen," sagte Fräulein Berchta, „damit er weiß, bei wem er sich befindet."
„Wir wissen ja selber noch nicht einmal, wie er heißt," knurrte der Alte wieder.
„Bernhard Raischbach, Forstgehülfe aus dem Spessart," sagte der junge Jäger, sich selbst vorstellend.
„Allen Respect," lachte der wilde Jäger - „nun denn, ich bin Graf Hackelnberg, um mich gleich zu beseitigen, das da Fräulein Berchta, Frau Holle hier - das hier der wilde Ebersberger, ein treuer Jagdgenosse."
„Oh, werdet nicht langweilig, oder ich geh' meiner Wege," knurrte dieser. „He, da kommt Wein! Eingeschenkt, Eckardt! So recht - hier, Herr Forstgehülfe, nehmt einmal den Humpen da und thut Bescheid. Könnt Ihr trinken?"
„Sollt' es denken," lächelte dieser, den riesigen Römer in dre Hand nehmend. Also Ihr Wohl, meine Damen und /132/ Herren!" und da ihm die Zunge ordentlich am Gaumen klebte, leerte er das ganze Gefäß auf einen tüchtigen Zug.
Der Graf Hackelnberg hatte ihn scharf im Auge behalten, aber sein Gesicht heiterte sich sichtlich auf, als er den Zug sah, und wie der junge Forstmann das Glas umdrehte, zum Zeichen, daß er dem Trunk Ehre angethan, schrie er mit lauter, donnernder Stimme: „Bravo, mein Junge, das hätte der Ebersberger nicht besser machen können, und der hat ebenfalls eine famose Saugkraft. Hier ein Wohl auf das edle Waidwerk, und daß die Aasjäger der Teufel hole!" und damit stürzte er seinen Humpen ebenfalls hinab.
Der alte Eckardt hatte jetzt kaum Hände genug, um nach allen Seiten einzuschenken, und auch das Gespräch wurde allgemein. Eben war auch die alte Urschel mit ihren jungen Damen eingetreten, ohne freilich selber Theil daran zu nehmen, denn sie schien nicht geselliger Natur, sondern setzte sich still und mürrisch in eine Ecke und holte sich ein großes Spinnrad vor, während eins der jungen Mädchen ihr eine große Tasse mit Kaffee brachte. Die drei jungen Nachtfräulein aber schienen ihr scheues, verschlossenes Wesen ganz abgelegt zu haben und plauderten jetzt so auf Reuschbach ein und wollten wissen, wie es „da oben" aussähe und was die Menschen dort trieben, daß er ihnen kaum alle Fragen beantworten konnte. Und wie hübsch - wie wunderhübsch sie waren und was für tiefblaue, treue Augen sie hatten - aber so hübsch wie seine Marie schienen sie doch nicht, wenn sie auch viel edler und vornehmer auftraten und weiße, außerordentlich feine Gewänder trugen.
Auch Fräulein Berchta plauderte viel mit ihm und frug ihn besonders nach dem jetzigen Wildstand da oben, nach den Hirschen und was sie „auf" hätten, nach den Bären, Luchsen und Wölfen, und wollte es gar nicht glauben, als er ihr sagte, daß von den letzteren Raubthieren gar nichts mehr droben im Wald zu finden wäre und sich nur dann und wann einmal ein einzelner Wolf in ihr Revier verlöre.
Aber die drei jungen Nachtfräulein kamen immer wieder auf die Moden an der Oberwelt zurück, und der junge Forstgehülfe, der sich darin vollkommen außer seinem Fahrwasser /133/ befand, sollte ihnen bald über Das, bald über Jenes Auskunft geben, wovon er nicht das Geringste wußte.
Da kam ihm der Hackelnberger zu Hülfe, der auch indessen die Geduld verloren hatte, weil sich der Hans Jagenteufel noch immer nicht zu seiner L'Hombrepartie einstellte, und mit der Faust auf den Tisch schlagend rief er aus:
„Nun hört, zum Donnerwetter, einmal mit Eurem Geklatsch auf; was weiß denn der Jägersmann von euren Falbeln und Stößen und Krinolinen und wie der Unsinn alle heißt. Komm, mein Herr Forstgehülfe, ich will Dir einmal meine Kneipe zeigen, da wirst Du Dich besser amüsiren - ich habe eine famose Sammlung drüben und ein paar Rehbocksgehörne dabei, gegen die der alte Bock da oben wie ein Spießer aussteht."
„Wirklich?" rief Raischbach, während Fräulein Berchta höhnisch lachte; aber der Ebersberger rief:
„Das ist recht, da geh' ich auch mit - ich habe neulich mit dem Hans Jagenteufel gewettet, daß der eine Sechsundzwanzig-Ender mit der Schaufel auf der linken Stange ein Ungerader wäre, und kann mich da gleich selber überzeugen.“
„Die hast Du verloren," lachte Hackelnberger, indem er sein Hifthorn umwarf, seinen Hut aussetzte und seine Handschuhe anzog. „Das ist ein voller, sogar noch mit einem Auswuchs an der rechten Stange, den man recht gut hätte einfeilen und einen ungeraden Achtundzwanziger daraus machen können."
Raischbach hatte auch