Erwähnenswert ist allenfalls die Tatsache, dass ich seit meinem 13. Lebensjahr in der örtlichen Jugendfeuerwehr aktiv war und in konsequenter Folge seit dem Alter von 17 Jahren Mitglied der freiwilligen Feuerwehr bin. Ich erwähne dies nicht etwa wegen des dahinter stehenden, vermeintlich herausragenden sozialen Engagements im Ehrenamt, denn dies zeigen erfreulicherweise auch heute immer noch sehr viele Menschen in Deutschland.
All diesen Menschen gebührt große Anerkennung.
Vielmehr hatte dieser Weg aber allgemein einen großen Anteil an meiner Lebenseinstellung und hielt, wie sich im Weiteren zeigen wird, die ein oder andere Begebenheit für mich bereit, die mich fordern, berühren und teils bis an meine Grenzen führen sollte.
Weiterhin eröffneten mir meine pflegerische Aushilfstätigkeit in der Notaufnahme eines Krankenhauses während des Studiums und unterschiedliche, für das Medizinstudium notwendige Praktika ebenfalls noch vor dem Eintritt in das eigentliche notärztliche „Arbeitsleben“ Einblicke, die in dieser Form Otto Normalbürger verwehrt oder eben erspart bleiben.
Die so entstandene Mischung unterschiedlichster Einflüsse macht mein heutiges Ich und vor allem mein Bild von Leben und Tod aus. Aber folgen Sie mir doch gerne von Anfang an auf meinem Weg.
Meine ersten Erfahrungen mit dem Tod machte ich – wie wohl die Allermeisten von uns – in der Familie.
Meine Großeltern
Opa
Wie wohl beinahe jedes Kind habe ich meine Großeltern geliebt, zumindest die, die ich kennen lernen durfte. Mein Großvater väterlicherseits starb bereits vor meiner Geburt, was ich in meiner Kindheit nie hinterfragte. Insgesamt war ohnehin die familiäre Bindung an meine Großeltern mütterlicherseits deutlich enger als das Verhältnis zu meiner Großmutter väterlicherseits, das von gewissen zwischenmenschlichen Spannungen zwischen meinen Eltern und ihr geprägt war. Viele schöne Sommerurlaube verbrachte ich mit meinen Eltern auf dem gepachteten Bauernhof von Opa und Oma. Mein Opa und der benachbarte Landwirt brachten mir das Landleben, die Landwirtschaft und den Umgang mit den Tieren näher und ließen mich gar eine ganze Weile lang das Berufsbild „Bauer“ als meinen Zukunftstraum erleben.
Leider war mein Großvater der Erste in der Familie, an dessen Beispiel ich das Thema Tod erfahren musste. Er starb an Darmkrebs als ich sieben oder acht Jahre alt war.
Altersbedingt hatte ich weder seine Krankheit noch den Verlauf derselben bewusst wahrgenommen und so erlebte ich seinen Tod schlichtweg als „Nicht-mehr-da-sein“, härter gesprochen als „Nie-wieder-da-sein“.
Ein Absolutum, das mir in diesem Alter nicht so recht begreiflich und schon gar nicht akzeptabel war.
Ich erinnere mich, dass in relativ nahem zeitlichen Zusammenhang dann auf dem Hof meiner Großeltern mein Lieblingspony „Meike“, auf der ich dank meiner Tante reiten gelernt hatte, ebenfalls verstarb.
So makaber und unpassend diese gedankliche Verbindung erscheinen mag, so führte mich doch am ehesten dieses Zusammentreffen der Ereignisse zum ersten Mal zur bewussten Wahrnehmung der Endlichkeit des Seins. Sehr klar habe ich noch meine Reaktion darauf vor Augen. Weinend angesichts der unausweichlichen Tatsachen lag ich auf meinem Bett in meinem Kinderzimmer als meine Mutter zu mir kam, um zu erfahren, was los war und um mich zu trösten. Ich erklärte es ihr mit den Worten und der Sichtweise eines Grundschulkindes: „ Das ist so gemein, dass wir alle sterben müssen!“
Beherrschend war vor allem die Unbeeinflussbarkeit des Todes, die ich total unfair fand, denn eines war mir schon damals klar: Weder Opa noch Meike hatten sich ausgesucht, dass sie sterben wollten.
Die Tatsache, dass für ihren siebenjährigen Sohn nicht etwa der Verlust des Großvaters im Vordergrund stand, sondern die hieraus bereits resultierte Angst vor dem Sterben anderer Menschen, allen voran meiner Eltern, dürfte meine Mutter rückblickend nicht wenig erstaunt haben.
Oma Hertha
Wie bereits geschildert, war mein Verhältnis zu meiner Großmutter väterlicherseits von vornherein durch andere Einflüsse geprägt, ohne dass ich diese im Kindesalter eindeutig hätte identifizieren können.
Regelmäßig war das Klima zwischen meinen Eltern angespannt, schon bevor es zum Besuch bei ihr ging und bereits die Fahrt zu ihrem Wohnort (der mit ca. einer Stunde Fahrtzeit gerade mal halb so weit entfernt war wie der Hof meiner Großeltern) war immer wieder irgendwie problembelastet. Es gab Streit bis hin zu Unwohlsein und empfundener Kreislaufschwäche meines Vaters.
Diese Umstände und die Tatsache, dass Oma Hertha allgemein deutlich weniger vital wirkte, dies auch selbst eindeutig so empfand und regelhaft kundtat, mögen meinen Umgang mit ihrem Tod beeinflusst haben, so dass ich diesen vollkommen anders wahrnahm als den meines Großvaters fünf Jahre zuvor:
Oma Hertha wirkte einfach (und war biologisch auch objektiv) älter und weniger aktiv als meine andere Oma. Gefühlt klagte sie eigentlich immer über körperliche Gebrechen, Schwäche und Einschränkungen.
Sie starb als ich 13 Jahre alt war.
Teils sicher dank meines Alters, vor allem aber wegen der gefühlten Gewissheit, dass sie „jetzt an einem besseren Ort“ war und dort mutmaßlich unbeschwert ihr jetziges Sein genießen könnte, empfand ich ihren Tod kaum als etwas „Schlimmes“.
Dies ging so weit, dass ich mich an einzelnen Punkten schwer tat, die ungewohnt emotionale Reaktion meines Vaters zu verstehen.
Rückblickend ist objektiv klar, dass er gerade seine Mutter verloren hatte - ungeachtet aller zuvor dagewesenen Probleme einer der größten möglichen Verluste im Leben eines Menschen. Und doch fiel es mir irgendwie schwer, seine Trauer zu verstehen, war ich doch überzeugt und beseelt von dem sicheren Gefühl, dass es Oma nun besser ging als zuvor.
Angesichts seiner Situation und meiner Position in der Familie als gerade beginnend pubertierender Jüngster fand ich jedoch nicht den Mut, ihm das zu sagen.
Auch, dass sie mir im Traum begegnet war und ich dort den Eindruck hatte, dass es ihr ungewohnt gut ging, fand ich unpassend, ihm gegenüber zu erwähnen.
Für derlei Esoterik war mein Vater - seines Zeichens Berufssoldat der Bundeswehr - nie der Typ gewesen.
Oma Rosa
Mit meiner Großmutter mütterlicherseits verband mich, sicher auch aufgrund des deutlich intensiveren Erlebens während der Urlaube und der längeren gemeinsamen Lebenszeit, die engste emotionale Bindung.
Sie war eine liebevolle, tatkräftige, schlicht nicht klein zu kriegende Person, die auch im zunehmenden Alter noch immer ihren Haushalt und das „Drumherum“ selbst erledigte, Brennholz für den Ofen in ihrer Stube vom Speicher holte, Einkäufe selbst mit dem Auto erledigte und gefühlt immer lachte und zu allem einen Rat wusste. Eine „echte Oma“ eben.
Noch im Grundschulalter, nach dem Tod meines Großvaters, wusste sie mir – ungefragt – den Rat zu geben, bloß keine ältere Frau zu heiraten.
Hintergrund war offenbar die Idee, dass man sonst beim mutmaßlich früheren Ableben des älteren Partners schlichtweg allein zurück bliebe, wie es ihr widerfahren war.
So weit hinterblickte ich diese Äußerung zu jener Zeit allerdings noch nicht, schließlich war meine damalige Grundschulliebe, von der ich natürlich überzeugt war, dass ich sie später heiraten würden, gerade mal ein Jahr älter als ich. Also – „alles safe!“
Oma Rosa starb, als ich 23 Jahre alt war.
Inzwischen studierte ich seit 8 Semestern Medizin und arbeitete neben dem Studium als Aushilfe im Krankenhaus.
Damit hatte ich auch bereits einige Erfahrung in der medizinischen Praxis sammeln können und den ein oder anderen Kontakt mit dem Tod und Sterben hinter mich gebracht, von dem ich später noch berichten werde.
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