Junas Bestattung
Nach den ersten Worten Ainsleys weiß Cloe, dass sie richtig gehandelt hat. Obwohl, oder gerade, weil ihre Tante schon wirklich alt ist, bleibt sie bei dem Bericht ihrer Nichte ruhig. Auch sie muss einige Tränen wegwischen, aber dann ergreift sie entschlossen die Initiative.
»Wir werden Juna so bestatten, wie sich das gehört. Wenn du möchtest, können wir zwei das allein machen oder auch einige Elfen hinzuziehen. Ich könnte dafür bestimmt Unterstützung von Lennard, dem Obersten unseres Volkes, bekommen.«
»Wenn wir zwei das auch ohne andere schaffen, möchte ich keine weitere Hilfe. Meine Mom lebte sehr zurückgezogen, darum glaube ich, dass ihr ein großes Aufgebot nicht recht wäre.« Diese Entscheidung ist nachvollziehbar und wird ohne Widerspruch von Ainsley akzeptiert.
»Nimmst du mich dann mit zu ihr? Du weißt, dass meine magischen Fähigkeiten nicht so groß sind. Außerdem habe ich sie seit vielen Jahren nur noch selten genutzt und bin lediglich zwei- oder dreimal bei euch gewesen.« Sie blickt Cloe an und fügt hinzu: »Eurer Katze wird es hier sicher gefallen. Schau nur, sie hat schon Freundschaft mit meiner geschlossen. Sie kann gerne bei mir bleiben, wenn du dich auf die Suche nach diesem Drachenwesen machst.« Tatsächlich liegen beide Stubentiger völlig entspannt nebeneinander auf der Ofenbank.
»Das ist gut. Ich weiß noch nicht, wie lange ich suchen muss und leider auch nicht wo.«
»Das wird schon«, entgegnet Ainsley und tätschelt aufmunternd die Hand der Nichte und lässt ihre dann darauf ruhen. »Aber zuerst bestatten wir Juna! Wenn du soweit bist, sollten wir nun beginnen.« Sie blickt Cloe an, die einen Moment zögert. Die junge Elfe würde das Schwere, das jetzt auf sie zukommt, gerne verschieben. Da das nicht geht, wie sie genau weiß, atmet sie tief ein und strafft die Schultern. »Portaro!«
Nach Elfenbrauch sollte die Bestattung innerhalb von drei Tagen stattfinden, weiß Cloe jetzt von Ainsley. Daher müssen sie sich beeilen, wenn sie diese Frist einhalten wollen. Der Rest des Tages vergeht mit den erforderlichen Vorbereitungen. Cloe wählt für die Zeremonie, die am kommenden Morgen stattfinden soll, einen Platz in der Nähe des Hauses. Hier hat Juna gerne an späten Sommerabenden gesessen. Die kleine Wiese ist mit Wildblumen übersät und Bienen summen geschäftig. Der Blick auf ihr bisheriges Heim ist von hier besonders schön und gleichzeitig fällt Sonne auf die ausgewählte Stelle.
Die beiden Elfen haben einen Glassarg herbeigezaubert, in dem Juna ruht. Sie hält einen kleinen Strauß Gänseblümchen in den zusammengelegten Händen, die auf ihrem Schoß ruhen. Die Elfe wirkt so, als schlafe sie. Ainsley und Cloe stehen rechts und links neben dem Sarg, den sie schließen, als es Mittag ist. Schwere Tränen der Tochter fallen auf den durchsichtigen Deckel. Jetzt legen beide ihre Hände darauf, direkt über den Kopf Junas. Während Ainsley die erforderlichen Worte murmelt, versagt es Cloe die Stimme, obwohl ihre Gedanken sie mitsprechen. Deren Bedeutung ist im nächsten Augenblick zu erkennen. Plötzlich ist es gleißend hell und ein hohes Sirren erklingt. Sobald die Helligkeit verschwunden ist, scheint tiefe Dunkelheit zu herrschen. Aber es ist nicht völlig finster. Dort, wo der Sarg stand, leuchtet es hell. Es sieht aus, als ob dort über dem Grün der Wiese ein kleiner Stern schwebt, der jetzt mit zunehmender Schnelligkeit nach oben steigt und kurz darauf im wiedererscheinenden, blauen Himmel verblasst.
»Mach’s gut, Mom. Und grüße Dad!« Cloe bekommt die Worte kaum heraus, so fest sitzt der Kloß in ihrem Hals. Obwohl auch Ainsley kaum zu sprechen vermag, fordert sie ihre Nichte nach einer Weile auf, ihnen im Haus einen Pfefferminztee aufzubrühen. Sie weiß aus Erfahrung, dass die prickelnde Frische genau das ist, was jetzt benötigt wird.
Und wirklich, nach einiger Zeit blickt die junge Elfe ihre Tante an.
»Danke!«, ist jedoch alles, was sie im Moment herausbekommt.
»Ist schon gut. Das habe ich gern gemacht.« Beide sitzen längere Zeit schweigend beisammen, in Gedanken in der Vergangenheit versunken. Nur gelegentlich nehmen sie einen Schluck vom Tee. Dann seufzt Cloe einmal tief und kehrt in die Gegenwart zurück.
»Ainsley, ich danke dir wirklich sehr! Allein hätte ich das nicht geschafft. Aber jetzt muss ich überlegen, wo ich Informationen über diesen Drachen oder den Drachengeist bekommen kann. Kannst du mir einen Tipp geben?«
»Leider nicht. Ich habe zwar auch von diesem Wesen gehört, jedoch nicht, wo es zu finden ist. Es muss etwas mit den Dubharan zu tun haben, ist sozusagen einer ihrer Verbündeten. Vielleicht kann dir Lennard …« Plötzlich unterbricht sie sich, um dann fortzufahren. »Ich bin doch wirklich nicht ganz gescheit. Du solltest Cian oder auch Kayleigh fragen. Sie sind die Obersten aller Zauberer, ja nun, Cian ist es schon einige Jahre nicht mehr. Trotzdem werden beide am ehesten etwas über diese Kreatur wissen.«
»Darauf hätte ich auch selbst kommen können. Danke, das mache ich. Fragt sich nur, wo ich sie treffen kann.«
»Cian hat sich meines Wissens aus der Öffentlichkeit zurückgezogen, so dass es nicht einfach sein wird, ihn zu finden. Kayleigh solltest du jedoch in Serengard antreffen. Falls sie nicht dort ist, können die Elfen dir sagen, wo sie sich aufhält.«
Schweren Herzens beschließt Cloe nun, ihre Heimat zu verlassen, zumindest so lange, bis sie ihre Aufgabe erfüllt hat. Sie schaut in alle Zimmer des Hauses, atmet noch einmal den Duft der verschiedenen Räume, besonders aber den des Schlafzimmers ihrer Mutter ein. Sie schließt die Augen und sieht Juna vor sich, die ihr aufmunternd zulächelt.
»Gut gemacht, mein Kind. Ich werde immer bei dir sein!« Sie kann die Stimme fast hören, obwohl sie weiß, dass das unmöglich ist. In ihrem Schlafraum schaut sie sich nur kurz um. Es gibt nichts, was sie von hier mitnehmen möchte, da es sie an ihre Kindheit und Jugend erinnert. Im Flur des Erdgeschosses nimmt sie einen geflochtenen Gürtel von einem Haken, dessen Muster fast dem ihres Armreifs gleicht. Allerdings besteht das Band aus festem Leder und nicht aus Bronze. An ihm hängt eine Scheide, in der ein typisches Elfenmesser steckt. Es ist etwas länger als Cloes Unterarm und sehr scharf, wie sie früher schon festgestellt hat. Sie zögert zuerst, ob sie es tatsächlich mitnehmen soll. Gegen das Drachenwesen wird diese lächerlich kleine Waffe nichts ausrichten können, wie sie weiß. Allerdings sind andere Situationen als ein Kampf gegen eine feuerspeiende Kreatur möglich, in der es durchaus hilfreich sein kann. Sie nickt entschlossen, legt den Gürtel um und zieht das Ende durch den Verschluss, der einem Drachenkopf nachgebildet ist.
»Wie seltsam. Das ist mir bisher nie aufgefallen. Juna hat mir auch nichts davon erzählt. Ob Ainsley dessen Bedeutung kennt?« Doch diese schüttelt nur den Kopf, als sie ihn betrachtet.
»Es sieht so aus, als ob ein Drache seinen Schwanz im Maul hat, wenn der Gürtel geschlossen ist. Was das bedeuten soll, kann ich nicht sagen, vermutlich ist es einfach nur eine Verzierung.«
Die junge Elfe überzeugt sich, dass alle Türen und Fenster geschlossen sind. Sie murmelt erneut einen Schutzzauber und seufzt schwer. Nun ist es soweit. Sie wird einen Lebensabschnitt hinter sich lassen und einen neuen beginnen. Sie ist von jetzt an eine Drachenjägerin! Entschlossen tritt sie zu Ainsley, nimmt ihren Arm und spricht »Portaro!« Die Luft flirrt und das Haus ist verlassen.
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