Charley Fischer lief ungesäumt mit dieser ,guten Nachricht’ an Bord zurück, wo Fräulein v. Seebald eben in ziemlicher Ungewißheit war, ob sie die Karte des Herrn Charley Fischer benutzen oder ihr Gepäck in ein anderes Gasthaus schaffen lassen sollte, dessen riesige Firma sie schon über die Straße herüberleuchten sah. Des kleinen, gefälligen Mannes Erscheinen entschied dies zu seinen Gunsten; die Koffer und Kisten wurden aufgeladen, und die junge Dame befand sich bald darauf in einem kleinen, kahlen, unbehaglichen, nicht überreinlichen Gemach auf Pinestreet, in dem sie jedoch bald von der freundlichen Wirtin selber aufgesucht und unterstützt wurde, ihre Toilette zur Abendtafel vorzubereiten, die aus einem recht guten, kompakten Mahl mit Tee bestand.
Charley Fischer hätte nun gar zu gern diese Gelegenheit benutzt, um aus seinem Gast alles nur mögliche über ihre Lebensverhältnisse und besonders den Zweck ihrer Reise herauszubekommen; denn daß eine junge Deutsche eine solche Fahrt a l l e i n unternommen, hatte jedenfalls auch etwas ganz Absonderliches zu bedeuten. Nun sagte ihm Fräulein v. Seebald allerdings ganz einfach, daß sie nur nach Arkansas gekommen wäre, um ihre an den Grafen Olnitzki verheiratete Schwester zu besuchen, aber das glaubte er ihr natürlich nicht und suchte nun erst recht etwas Geheimnisvolles unter dem Besuch. Je bereitwilliger und freigebiger er dabei mit seiner eigenen Lebensgeschichte war, desto mehr verdroß es ihn natürlich, wenn andere nicht Gleiches mit Gleichem vergelten wollten. Fräulein v. Seebald war aber sowohl ermüdet von der Reise, als sie sich auch angegriffen von der Aufregung der letzten Tage fühlte, und suchte deshalb zeitig ihr Lager. Charley Fischer versprach ihr übrigens, sie wecken zu lassen, wo sie das Frühstück bereitfinden und immer noch zeitig genug zur ersten Fähre kommen sollte. Der Fuhrmann hatte dabei zugesagt, bei seinem Hause, wo er überdies seinen gewöhnlichen Morgentrunk nahm, vorzufahren, und eine Versäumnis war deshalb gar nicht möglich.
Der Morgen kam, die Sachen wurden vor das Haus geschafft und für die beiden kleinen Kisten besonders wieder die größte Vorsicht empfohlen, da sie zerbrechliche Sachen enthielten, Fräulein v. Seebald hatte ihre Reisetoilette wir ihr Frühstück beendet, ihre nicht übermäßige Rechnung bezahlt, ein Glas Brandy und Zucker, das ihr ihr freundlicher Wirt auf das Hartnäckigste gegen die rauhe Morgenluft aufzudringen suchte, wieder und wieder verweigert, der Wagen kam, die Sachen wurden aufgeladen, und Charley Fischer ließ es sich nicht nehmen, Fräulein v. Seebald seinen Arm zu reichen und sie zur Fähre hinunter zu begleiten.
Allerdings hätten die beiden Figuren nach unseren deutschen Begriffen vielleicht ein wenig wunderlich zusammen ausgesehen, und Fräulein v. Seebald selber fühlte sich auch so unbehaglich als möglich in der Begleitung, die sie nicht gut verweigern konnte. Die Dame nämlich war ganz modern, ja sogar modisch angezogen, mit einem hellen Kleid von roter Seide, feinem Strohhut auf, und einer dunkelroten, seidenen Schärpe um, während Charley dagegen in einem etwas kurzen und auch nicht übermäßig reinen leinenen Röckchen prangte, unter dem ein Paar ebenfalls sehr kurze, gestreifte, wollene Hosen hervorsahen. Er trug dabei Schuhe und gelbwollene Strümpfe oder vielmehr Socken, die nicht oben blieben, wie er erklärte, er mochte dagegen tun, was er wollte, und der alte Strohhut deckte noch immer seinen Scheitel, wie auf dem Schiff; nur ein reines, gelb und rot gestreiftes Hemd hatte er heute Morgen angezogen und ein saftblaues, seidenes Tuch darum geknüpft. In Amerika fällt etwas Derartiges aber nicht auf; man sieht sogar, selbst in den größten Städten, die Damen sehr häufig an dem Arm eines Herrn, der in kurzer, weißleinener Jacke geht, in Sammet und Seide nebenher rauschen. Das Kleid macht dort nicht den Mann, sondern der Mann das Kleid.
Nichtsdestoweniger und trotz der frühen Morgenstunde war Fräulein v. Seebald fest davon überzeugt, daß die Augen sämtlicher Einwohner von Little Rock, an deren Fenstern sie vorübergingen, in Spott und Neugierde auf sie geheftet wären, und dankte ihrem Gott, als sie das Fähr- oder Ferryboot endlich erreichten. Dort verabschiedete sich Herr Charley Fischer auf das Angelegentlichste von ihr und ersuchte sie nur noch, ihn ihrer Frau Schwester, wenn auch unbekannterweise, freundlichst zu empfehlen.
Die kleine Fähre dampfte über den ziemlich breiten Strom, auf dem noch der leichte Morgennebel in dünnen, hier und da von einem blitzenden Sonnenstrahl geteilten Schwaden lag und auch den gegenüberliegenden Uferrand bedeckte. Nur eine Reihe niedriger, hell angestrichener, viereckiger Holzhäuser wurden da sichtbar, die, mit riesigen Schildern bedeckt und, wenn das möglich gewesen wäre, verunstaltet, den oberen Rand der steilen Uferbank krönten, und wieder ihrerseits von den hohen und majestätischen Wipfeln riesiger Baumwollenbäume überragt wurden. Diese kleine Stadt hier, die dem wachsenden Little Rock ihren Ursprung verdankte, bestand fast einzig und allein aus Schenkständen – sogenannten ,groceries’ und ,provision stores’20, in denen, neben allen möglichen Lebensbedürfnissen, die spirituösen Getränke den Hauptbestandteil bildeten. Aber sie sah neu und häßlich aus, wie eine Schachtel frisch ausgepackter Nürnberger Spielwaren in eine Reihe gestellt, über die der darüber wohnende Urwald den Kopf schüttelte und seufzend dabei den Krebsschaden erkannte, der sich weiter und weiter in seine Seite fraß.
Fräulein v. Seebald wurde von den Leuten an Bord neugierig betrachtet, da sie eine einzelne und dabei so elegant gekleidete fremde Dame nicht so oft und früh zwischen sich sahen. Sie hüllte sich übrigens, ohne mit irgendjemand zu verkehren, fester in ihren Shawl21 – die Morgenluft wehte frisch und kühl über den Strom – und schaute unverwandt nach dem anderen Ufer hinüber, dem sie rasch entgegenstrebten.
Die ersten, einfachen Fähren waren lange Zeit in Arkansas im Einsatz. Über den breiten Arkansas River setzte man nach den einfachen Flatboot-Fähren bald kleinere Dampfer mit Heckradantrieb ein.
Ha, was war das! – Unten am Strand – dicht unter der hohen, steilen, wohl sechszehn Fuß schroff emporsteigenden Lehmbank, und bis jetzt von dem tief streichenden Nebel verdeckt, der sich, wie sie dem Land näherkamen, teilte oder doch durchsichtiger wurde, breitete sich eine Szene vor den erstaunten Blicken der jungen Dame aus, wie sie ihre kühnste, romantische Phantasie nur imstande gewesen wäre, heraufzubeschwören.
«Indianer!» rief sie fast unwillkürlich laut aus, denn das ganze Ufer dort war bedeckt, belebt von einem wilden Schwarm brauner, halbnackter Gestalten, die teils unter niedrigen ledernen Zelten, teils nur an kleinen Feuern kampiert haben mußten. Pferde wieherten und galoppierten am Ufer hin, Kinder sprangen und jauchzten in und neben dem Wasser, an dem sie badeten und spielten, Frauchen kochten oder trugen Holz herbei, das andere oben von der Uferbank herunterwarfen, und die Männer saßen teils still und teilnahmslos an den Feuern, ihre Pfeife rauchend, oder standen am Ufer, um die Ankunft des Dampfers zu erwarten.
«Leben hier noch Indianer?» frug Fräulein v. Seebald erstaunt einen der neben ihr stehenden Leute, der auf dem das Deck umschließende Lattengitter lehnte und ebenfalls nach den Eingeborenen hinüberschaute.
«Nein, Madame», sagte der Mann, ohne seine Stellung zu verändern, «Gott sei Dank, daß wir die Rotfelle los sind. Würden uns weiter nichts als Teufelseier in die Nester legen. Hole sie alle miteinander der Böse!»
«Aber was tun diese hier?»
«Die da? – Die wandern aus – das sind Seminolen, die Onkel Sam22 nach dem Territorium schickt, um sich dort mit ihren Kameraden, den Creeks und Cherokesen, den Choktaws und Kickapuhs und wie sie alle heißen, so gut zu vertragen, wie sie eben können – oder noch besser, sich einander die Hälse abzuschneiden – das Gescheiteste, was sie auf der Gotteswelt tun könnten.»
Seminole
«Sie lieben die Indianer nicht?»
«Ich?