«Sie haben doch jetzt alles, was Sie wollen?» sagte Herr Hamann, nun auch endlich ungeduldig werdend.
«Haha, nichts für ungut», rief der Ire, «wenn ein Gentleman den anderen traktieren will, ist das eine Höflichkeit und muß auch als solche betrachtet werden, aber never mind – wenn Sie nicht wollen, so viel besser, und nun good bye, Gentlemen.» Und die Hände in die Taschen schiebend, während er sich eine seiner irischen Jigs pfiff, verließ Patrick, mit vollem Grund höchst zufrieden über seinen Erfolg, das Zimmer, und eine Viertelstunde später, mit seinem Bündel unter dem Arm, auch das Haus, in dem er sich fast drei Wochen Kost und Logis durch ein paar Tage leichte Arbeit ertrotzt hatte.
«Sie sollten einen Constabler rufen und den Burschen arrettieren lassen», sagte Herr Messerschmidt ärgerlich, wie der Ire das Zimmer verlassen hatte.
«Daß mir die Schufte nachher das Haus oder den Schenkstand demolieren», knurrte Herr Hamann, «nein, der Lump mag laufen, fällt mir vielleicht einmal wieder auf andere Art unter die Hände; aber eine Warnung soll mir’s für die Zukunft sein, keine Iren wieder in mein Haus zu nehmen. – Es ist trunkenes, rauflustiges, betrügerisches Volk; da lob ich mir die Deutschen, die nehmen Vernunft an und haben vor der Polizei Respekt. Aber, lieber Gott, mir ist der Ärger ordentlich in die Glieder geschlagen, und Sie täten mir einen großen Gefallen, Herr Messerschmidt, wenn Sie mir durch einen der Leute unten ein Glas Wein heraufschickten.»
«Mit Vergnügen», sagte Herr Messerschmidt, seinen Hut aufgreifend und im Begriff, das Zimmer zu verlassen, «apropos, Herr Hamann – die Aktien, die Sie im vorigen Jahr gekauft haben, sind ja in den letzten Wochen fabelhaft gestiegen – Sie müssen ein rasendes Geld daran verdient haben.»
«Wenn ich sie hätte behalten können», entgegnete mürrisch der Wirt, «glauben Sie, ich verdiene hier Kapitalien zum Hinlegen? – Gott sei’s geklagt, meine deutschen Landsleute, mit den Verlusten, die ich allein an Auslagen für Proviant und Getränke habe, machen mich, wenn ich noch länger das Geschäft fortsetze, zum Bettler, und ich bin mehr als je gesonnen, mich ganz zurückzuziehen und es meinem Sohn zu übergeben, um dem ewigen Ärger und Skandal zu entgehen. Wäre mit dem törichten Gesellen nur ein vernünftiges Wort zu reden – bitte, den Wein, lieber Herr Messerschmidt.»
«Guten Morgen, Herr Hamann.»
«Guten Morgen, Herr Messerschmidt.» Und der Alte ging mit auf dem Rücken gekreuzten Händen und fest und ärgerlich zusammengezogenen Brauen wieder in seinem Zimmer auf und ab, bis der Barkeeper, einen kleinen Präsentierteller in der Hand, auf dem eine Karaffe mit Rotwein und ein Wasserglas standen, hereinkam und diesen auf den Tisch setzte. Hamann sah ihn an, nickte ihm zu, daß es gut sei, und setzte seinen Marsch im Zimmer fort, während Jimmy jedoch auf seiner Stelle stehenblieb und – einer leidigen Gewohnheit nach einen seiner Finger nach dem anderen abknackte, daß es klang, als ob er sich die Glieder vom Leibe bräche.
«Nun, was giebt’s noch?» sagte Herr Hamann, mürrisch vor ihm stehenbleibend. «Was wollen Sie?»
«Verdammt feines Mädchen unten, S ü r ! » sagte Jimmy, zog die Augenbrauen in die Höhe und streckte, die Schultern zurückpressend, den Kopf soweit nach vorn, als er nur möglicherweise konnte.
«Verdammt feines Mädchen?» sagte Herr Hamann erstaunt. «Was, zum Teufel, schiert denn das m i c h ? – Sind Sie betrunken?»
Jimmy behielt seine Stellung bei, zog aber den Mund, wie in freundlicher Anerkennung des huldreichen Scherzes, von einem Ohr bis zum anderen, ohne übrigens auch nur eine Silbe weiter zu erwidern.
«Nun, zum Wetter noch einmal, was wollen Sie denn von mir? Stehen da und ziehen das Maul breit, als ob Sie eine Schlehe verschluckt hätten; glauben Sie, daß ich Zeit habe, Ihren Albernheiten zu folgen?»
Wie man mit einem einzigen Ruck einen Tabaksbeutel zusammen und in zahllose Falten legen kann, so zuckte das Gesicht des eben noch so freundlichen Mannes nach dem Mittelpunkt der zu einer Spitze vorgeschobenen Lippen, von denen sich die Augenbrauen womöglich noch weiter entfernten, und eine halbe Minute vielleicht in dieser Stellung bleibend, sagte er ruhig:
«Setzt jemand irgendetwas in irgendeine Zeitung, wenn jemand von irgendetwas etwas nachher nichts wissen will?»
Herr Hamann wollte noch heftiger darauf erwidern, als ihm plötzlich einfiel, daß er allerdings eine Annonce hatte in das deutsche Blatt einrücken lassen, wonach er ein junges, deutsches Mädchen suchte, um die Aufwartung bei Tisch, das Einschenken des Kaffees und Tees und die Überwachung seines Geschirrs und seiner Wäsche zu übernehmen. Jimmy aber, als er merkte, daß sein Prinzipal jetzt wußte, was er wollte, begann wieder, seine Fingergelenke zu revidieren und überzuknacken, als ob er sich von der Brauchbarkeit derselben zu überzeugen wünsche.
«Sie bringen einen noch zur Verzweiflung mit Ihrem verfluchten Gesichterschneiden und Fingerbrechen», sagte Herr Hamann aber ungeduldig. «Können Sie das nicht gleich und gerade heraus sagen?»
«Verdammt feines Mädchen unten, S ü r ! » begann Jimmy wieder, genau wie im Anfang, seine Rede, um den Prinzipal vielleicht zu überzeugen, daß er eben gar nichts anderes gleich gesagt habe.
«Wird wieder so ein Rüpel mit Holzschuhen sein, wie sich schon ein Dutzend gemeldet haben», brummte der Alte.
«Venus!» sagte Jimmy, und drohte wirklich, sich seine Finger zu verrenken.
«Esel – hätte ich bald gesagt», zischte Herr Hamann zwischen den Zähnen durch, und setzte dann lauter hinzu: «Und warum schicken Sie mir sie nicht herauf?»
Jimmy hielt darauf eine Antwort für unnötig und verschwand blitzschnell durch die noch offene Tür, um wenige Minuten später mit der Angemeldeten zurückzukommen, die er aber, da in diesem Augenblick unten nach ihm gerufen wurde, allein oben mit seinem Herrn zurücklassen mußte. Aber schon in der Tür drehte er sich noch einmal nach dem jungen, in seiner dunklen, einfachen Tracht wirklich bildhübschen Mädchen um, starrte ihr vielleicht eine halbe Minute lang stier in die Augen, und war dann in wenigen Sätzen die Treppe hinunter.
Vor Herrn Hamann indessen, mit von der Erregung des Augenblicks etwas gebleichten Wangen, stand Hedwig Loßenwerder und sagte mit noch ein wenig zitternder, aber bald wieder fest werdender Stimme:
«Sie haben, mein Herr, eine Wirtschafterin für Ihr Hauswesen gesucht, und ich bin gekommen, um mich Ihnen dafür anzubieten.»
«Hm», sagte Herr Hamann, dicht vor dem jungen Mädchen stehenbleibend, und sie so fest und aufmerksam von Kopf bis zu Füßen betrachtend, daß dem armen Kind das Blut in Stirn und Schläfe stieg, und es verlegen den Blick zu Boden senkte, «hm – nicht übel, aber – Sie sind zu jung, mein Kind.»
«Ich habe in ähnlicher Weise schon drei Jahre in Dienst gestanden», sagte sie leise.
«Drei Jahre? Und wie alt sind Sie jetzt?»
«Ich werde im nächsten Monat sechzehn Jahre.»
Hamann schüttelte mit dem Kopf und setzte, die Fremde dabei dann und wann von der Seite ansehend, seine Wanderung im Zimmer wieder fort, während Hedwig indessen still und regungslos stehenblieb, um eine entscheidende Antwort des Mannes zu erwarten.
Die letzten Wochen hatten eine große Veränderung in Hedwigs ganzem Äußeren hervorgerufen, und das ängstlich schüchterne, fast kindliche Mädchen, das sie noch an Bord gewesen, war in der kurzen Zeit zur ernsten, selbständigen, selbsthandelnden Jungfrau herangereift. Schwere Stunden waren es aber gewesen, die das bewirkt, schwere, herbe Stunden, in denen die selber so unglückliche Clara ihr alles vertraut, was das eigene Herz bedrückte, von dem ersten Verdacht des Diebstahls an, bis zu dem Augenblick, wo sie die Gewißheit in Mark und Seele traf, daß der eigene Gatte der Verbrecher sei und, weit schlimmer und entsetzlicher als ein bloßer, feiger Dieb, nicht allein den treuen, schuldlosen Diener ihres Vaters, nein, auch ihr eigenes Glück und Leben kalt und meuchlerisch gemordet