KOPFKINO. Gina Hemmers. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Gina Hemmers
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738000832
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das nicht die Antwort, die mein Lehrer haben wollte? Ich wartete sehr lange, bis Jake sich endlich aufrichtete und mir seine ganze Seite rüber schob. Ich öffnete erstaunt den Mund, denn wie du weißt, habe ich nicht mal eine ganze Zeile geschafft. Mein Blick heftete sich auf sein Blatt, aber nicht, ohne ihn vorher noch einmal verliebt gemustert zu haben.

       Ich denke, dass man nicht wirklich sterben wird. Es gibt viele Möglichkeiten, was nach dem Tod mit einem geschieht. Ich glaube nicht daran, dass man für ewig in seinem Grab ist. Möglicherweise wird man wieder geboren, als jemand anderes. Vielleicht als Tier oder als Mensch. Vielleicht als Engel. Zunächst wird die Seele in den Himmel gehen, wo sie Gott begegnen wird. Gott lässt einen selbst entscheiden, ob man wieder geboren werden möchte. Wenn man ja sagt, ist man am nächsten Tag wieder auf der Erde. Als Mensch oder Hund, Fisch oder vielleicht Käfer. Wenn man nicht wiedergeboren werden möchte, bleibt man da oben und hat die Möglichkeit, seine Freunde und die Familie zu beobachten und zu unterstützen. Man sieht, wie sie ohne einen weiterleben. Wie sie trauern und wie sie lachen. Wenn jemand traurig ist, dann kann man sich daneben setzen und denjenigen trösten. Man kann Familie und Freunde schützen, wenn sie in Gefahr sind. Ich denke, ich würde oben bleiben und nicht wieder zurückkehren. Wenn man stirbt, wird sich Gott schon etwas dabei gedacht haben. Alles hat einen Sinn. Ich hätte schon ein glückliches Leben gelebt und würde lieber für alle da sein und auf sie aufpassen. Ich würde meiner Mutter und meiner Freundin helfen. Sie brauchen mich eher so und nicht als ein Hund oder was auch immer. Dort oben könnte ich über sie wachen. Außerdem würde ich meinen Vater, meinen Opa und meine Oma wiedersehen. Dort oben trifft man dann all jene, die schon vor einem die Welt verließen. Man kann verstorbenen Verwandten und Freunden begegnen und sich mit ihnen unterhalten. Ich würde zwar meine Familie und Freunde schrecklich vermissen, aber in einer gewissen Weise wäre ich auch noch bei ihnen.

      Sein Vater starb bei einem Arbeitsunfall als Jake fünf Jahre alt war. Seitdem war kein Mann so lange in der Familie Summer geblieben, dass man sich seinen Namen hätte merken müssen. „Du schreibst so schön, mein Schatz“, flüsterte ich und fühlte, wie sich einige Schmetterlinge in meinem Bauch erhoben, um wieder Kreise fliegen zu können. „Du solltest öfter schreiben. Ich lese so gerne etwas von dir.“ Jake lächelte mir zu und sagte ironisch: „ Du hast dir ja auch sehr viel Mühe gegeben.“ Er gab mir meinen Zettel zurück. Ich grinste verschmitzt und unter dem Tisch griff ich nach seiner Hand. Er bemerkte es und aus dem nichts, schloss sich seine um die meine. „Glaubst du wirklich daran, dass etwas nach dem Tod passieren wird?“ „Natürlich. Sonst wäre ja alles umsonst gewesen. Das eigentliche Paradies ist nämlich der Himmel.“ Meine Gedanken kreisten und plötzlich wurde ich blass. „Hoffentlich muss ich niemals erleben, wie du gehst“, wisperte ich ernst. „Das wirst du nicht“, versicherte Jake mir, „Ich bin zwar älter als du, aber ziemlich zäh. Wir werden einfach irgendwann zusammen entscheiden, dass wir gehen“, er lachte, „mit siebzig oder so, bevor es eklig wird. Wir legen uns zusammen ins Bett und schlafen einfach gemeinsam ein.“ Ich grinste schelmisch und fuhr zärtlich mit einer Hand über sein Gesicht, „Das klingt nach einem super Plan. Bleibst du denn auch so lange bei mir?“ „Wenn du nicht so oft sagen würdest, dass es eh nicht hält, würde ich auch nie auf den Gedanken kommen, dass wir uns irgendwann trennen könnten.“ Er zwinkerte mir zu. „Das tut mir Leid. Ich kann einfach nicht glauben, dass ich so ein Glück habe.“

      „Wenn die zwei Turteltauben endlich fertig sind, könnte ich meinen Unterricht dann fortsetzen?“ Der Spitzel stand vor uns und sah uns ein wenig amüsiert, ein wenig genervt an. „Natürlich“, erwiderte ich lächelnd, doch Jake lief purpurrot an und ließ sofort meine Hand los. Der kleine Feigling.

       Noch neunundzwanzig Tage

      Jake und ich schauten einen Horrorfilm. Die Entscheidung hatte er bei sich zu Hause schon gefällt, noch ehe er mit mir ein Wort darüber sprach. Als er zu mir kam, rief er schon beim Betreten des Hauses, noch bevor er mich zur Begrüßung küsste: „Ich habe mir einen neuen Film gekauft, den müssen wir unbedingt zusammen sehen.“ Natürlich überging er meine schwachen Proteste und mein Werben um einen neuen Liebesfilm, den ich mir vor zwei Tagen kaufte. „Du weißt, ich mag keine Horrorfilme“, quengelte ich, als ich das Cover sah. Darauf befand sich der blutverschmierte Körper einer Frau, der leider ein gewisses Körperteil abhanden gekommen war: Nämlich ihr Kopf. „Ach komm, jetzt stell dich nicht so an“, umgarnte er mich mit einem honigsüßen Lächeln und zwickte mich in meine Seite.

      Selbstredend überzeugte er mich, innerhalb der nächsten fünf Minuten, dass der Film BESTIMMT gut für meine Allgemeinbildung sei und wir ihn unbedingt zusammen sehen müssten. Ausschlaggebend dafür, dass ich zusagte, war allerdings auch das Versprechen auf eine Massage.

      Um es kurz zu machen, fasse ich dir den Abend zusammen: Ich hielt mir während der Hälfte des Filmes die Augen zu, während Jake immer wieder meine Hände wegzog und sagte: „Du musst auch hinschauen, sonst verpasst du das Beste.“ Insgesamt lachte er vier, fünf Mal und sagte: „Wie unrealistisch“ oder „Das ist doch klar, dass man sich nie trennen darf!“ Das einzige Mal dass ich hinschaute und etwas Gruseliges passierte, schrie ich so laut auf, dass sich Jake die Ohren zu hielt und meine Mutter ins Zimmer eilte und bestürzt fragte, was denn passiert sei. Ein Gutes hatte der Film jedoch: Ich konnte mich die ganze Zeit an Jake festkrallen und mein Gesicht, in den Untiefen seines Pullis verstecken. Außerdem bekam ich nach dem Film eine Massage, die fast alles wieder gut machte. Dennoch saß ich die halbe Nacht kerzengerade im Bett, aus Angst, die Frau mit dem abgehackten Kopf, könne herein kommen. Jake schlief tief und fest und hielt mich die restliche Zeit umklammert, auch in den Momenten, in denen ich zusammenzuckte und die Augen plötzlich aufriss.

      Ich kuschelte für mein Leben gern mit ihm, denn es gab einfach nichts Schöneres auf der Welt. Wenn wir beide zusammen waren, war alles Weitere unwichtig. Alltagsstress, Müdigkeit, Genervtheit verflogen und ich war einfach glücklich. Nur er zählte.

      Und meine Eltern akzeptierten das.

      Sie hatten auch gar keine andere Wahl.

       Noch achtundzwanzig Tage

      „Das geht nicht mehr“, sagte er zu mir. Tränen liefen mir über das Gesicht. „Warum?“, fragte ich. „Bist du denn überhaupt noch glücklich?“, stellte er mir die Gegenfrage, mit leidendem Blick. „Jetzt schieb das nicht auf mich!“, heulte ich, „Ich will nicht Schluss machen!“ Er dachte lange nach und sagte dann: „Ich denke nicht mehr an dich, wenn du nicht da bist.“ Es fühlte sich an, als hätte er mir einen Schlag in den Magen verpasst. Ich würgte.

      Schweißgebadet, saß ich kerzengerade im Bett und meine Hand tastete fahrig, auf der rechten Seite entlang. Sie ergriff etwas, dass Körpertemperatur besaß. Ich atmete erleichtert auf, denn es war nur ein Traum gewesen. Ich fasste Jakes Hand und kuschelte mich nah an seine Schulter.

       Noch siebenundzwanzig Tage

      Jake lud mich ein, mit ihm und seiner Mutter Abend zu essen. „Sie fragt ständig nach dir. Wahrscheinlich, weil du jetzt schon so lange nicht mehr da warst“, sagte er und verdrehte die Augen. Ich lächelte.

      „Das haben Eltern nun mal so an sich. Meine wollen auch immer alle Neuigkeiten von uns beiden erfahren.“

      Es war Montag. Ich hasste Anfänge der Woche, aber dass ich mit Jake Essen ging, hellte den Tag um einiges auf. Ich legte meine Hand auf die seine und wir fuhren mit seinem Wagen zu dem Ort, an dem ich mich am liebsten aufhielt. Er befand sich tief im Wald und doch wusste ich genau, wo wir hin mussten. Es war eine riesengroße Wiese, hinter der sich eine Jagdhütte versteckte. Man konnte sie nicht sehen, da die Blätter der Bäume sie verdeckten. Anscheinend wurde es früher bewohnt, denn es gab sogar einen intakten Kühlschrank. Das Häuschen war jetzt jedoch unbewohnt und schon vor einiger Zeit in Vergessenheit geraten. Ich war darauf gestoßen, als ich für ein Schulprojekt nach seltenen Pflanzen suchen sollte.

      Die Wände waren vollständig bemoost und so war es für jemanden, der es nicht kannte, nur schwer zu entdecken. Seit letztem Jahr hatten wir allerlei Sachen angeschleppt und dass, obwohl damals noch keiner von uns einen