Brockenhexe
Die Pyramide.
Im Zeichen des Orion.
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Inhaltsverzeichnis
Einführung
Am 28. August verließ ich morgens um 7.45 Uhr das Haus mit der festen Absicht, einen Menschen zu töten. Diese Vorstellung löste einen Adrenalinstoß in mir aus, der mich in einen Rauschzustand versetzte. Als die Haustür ins Schloss fiel, blieb ich einen Augenblick auf dem Treppenabsatz stehen. Die Sonne schob sich langsam den wolkenlosen Himmel hinauf. Über den liebevoll gepflegten Gärten lag ein leichter Morgendunst. In unserer Straße war es seit einigen Jahren zu einem stillen Wettbewerb gekommen, bei wem denn die schönsten Rosen blühten. Mir bot sich ein Bild wie ein Aquarell. Ich genoss es einen Augenblick lang, denn ich hatte das Gefühl, von etwas Abschied nehmen zu müssen. Hanne von gegenüber stand im geöffneten Fenster, Lockenwickler im Haar, und wienerte ihre Scheiben. Jeder wusste, dass dies ein Tick von ihr war. Sie selber wiederholte häufig, dass sie Flecken auf der Scheibe nicht leiden könne, und so hatte sie mit Abstand die saubersten Fensterscheiben in der Straße. Einige spotteten, sie putze nur deshalb so häufig, weil sie dann ungeniert alles Geschehen auf der Straße beobachten könne und nicht verstohlen hinter der Gardine stehen müsse. Hanne kannte die Mär und lachte:
„Ich weiß sehr genau, wer hinter der Gardine steht.“
Sie winkte mir zu und rief
„Guten Morgen“
Ich winkte und grüßte zurück. Während ich in Richtung Bushaltestelle lief, fiel mir plötzlich ein, dass heute Goethes Geburtstag war. „Go-ethe ist ein Pöt“, hatten wir in der Schule gealbert. Was für eine komische Einrichtung dieses menschliche Gehirn ist! Während ich mit dunklen Mordgedanken beschäftigt war, produzierte es sinnlosen Unfug. Gänzlich abwesend stieß ich mit Specki zusammen. Eigentlich hieß sie Heidrun. Da sie aber über ein fundamentales Hinterquartier verfügte und eine mächtigen Veranda vor sich herschob, hatte sie schnell ihren Spitznamen weg. Manche frotzelten und fragten sie, wann sie denn zuletzt ihre Füße gesehen habe.
„Mensch, Rosi,“ rief sie, „wo bist Du mit Deinen Gedanken? Welches Menschenleben rettest Du denn gerade?“
Ich schrak zusammen.
„Guter Gott, Specki, Du wucherst ja den ganzen Bürgersteig zu. Vielleicht solltest Du Dich entschließen, seitwärts zu gehen. – Obwohl.... ob das viel ausmacht, weiß ich nicht.“
Wir lachten, und sie seufzte:
„Ich versuch´s ja.“
Ich strich ihr mit dem Rücken meiner Finger über die drallen Wangen.
„Speckilein, Du schadest Deiner Gesundheit. Du solltest wirklich etwas Gewicht verlieren.“ Sie stieß noch einen tiefen Seufzer aus und zuckte die Achseln.
Eigentlich geht es mir doch gut, überlegte ich, und ich zweifelte einen Moment lang, ob ich meine finsteren Pläne verwirklichen sollte. Ich kam mit den meisten Nachbarn gut aus, ich fühlte mich in der Straße zu Hause, ich war hier glücklich mit Mann und Kind. Sollte ich wirklich? Und Goethe, würde er mein Leben spannend genug finden, um ein Drama darüber zu schreiben? Er hatte doch von seinen Liebeserlebnissen gezehrt und je mehr er litt, desto ergreifender gedichtet. Nun, er war dahin. Auf ihn konnte ich nicht mehr hoffen.
Vor der Bushaltestelle gab es ein Grundstück, dessen blühende Pracht in diesem Jahr alle anderen Gärten in den Schatten stellte. Die Morgensonne, die auf die Tautropfen in den Spinnweben und Rosen fiel, verwandelte den Garten und das kleine gepflegte Fachwerkhäuschen in ein Märchen. Man sollte meinen, das perfekte irdische Glück wohne in dem Haus hinter dem Blütentraum. Bei näherem Hinsehen wurde man aber gewahr, dass die ersten Anzeichen von Verwelken und Tod sich bemerkbar machten. Einige Rosensträucher hatten Rost, andere Mehltau. Die Blüten hatten ihre schönste Zeit hinter sich. Es roch leicht nach Herbst. Der Tod kündigte sich an. Ich trug ihn in meiner kleinen Kühltasche bei mir. Der Bus kam, den ich im Laufschritt noch erwischte. Ganz benommen von diesem herrlichen Morgen kamen mir Zweifel an meinem Vorhaben. Als ich jedoch die Eingangshalle der Klinik durchschritt, kehrte der feste Entschluss zurück, ein für allemal mit den Gespenstern aus meiner Vergangenheit aufzuräumen. Ich würde diesen perfekten Mord begehen.
Kapitel I
Als sich die Zellentür hinter mir schloss und der Riegel vorgeschoben wurde, sah ich zuerst die unscheinbare kleine Frau, die auf dem Bett saß. „Graue Maus“ stellte ich fest. Haare grau, Haut grau, Augen grau. Sie trug einen verwaschenen Jogginganzug; könnte auch mal grau gewesen sein. Auf der Brust die Aufschrift „University of Cambridge“. Gütiger Himmel! Sie sah mich erwartungsvoll an.
„Ich bin Anne-Kathrin“.
Klang irgendwie nach wohlhabenden Eltern, fand ich.
"Man nennt mich Ännchen", fügte sie hinzu.
„Ännchen von Tharau“ fiel mir ein.