Die Beschwörungsformel. Hildegard Grünthaler. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Hildegard Grünthaler
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742780669
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die Musik, die bisher im ganzen Gebäude zu hören war und es ertönte eine laute Männerstimme: »Heute in Ihrem Superkauf für Sie im Angebot: Südafrikanische Trauben, süß und kernlos, das Kilo zu nur zwei neunundneunzig; rote Paprika aus Spanien, knackig, frisch und vitaminhaltig, das Kilo zu nur eins neunundvierzig! Und in unserer Textilabteilung finden Sie Tennissocken für Damen und Herren, drei Paar für sage und schreibe nur drei Euro und neunundneunzig Cent!« Kalatur konnte den Ausrufer nirgendwo entdecken.

      »In der Haushaltwarenabteilung führen wir diese Woche Kaffeemaschinen der Marke Multifix zum sagenhaften Preis von nur 23 Euro!« Die Stimme schien irgendwo von rechts oben zu kommen. Kalatur schwebte etwas höher und flog nach rechts.

      »Den berühmten Superflora Blumendünger bekommen sie diese Woche für nur drei Euro und neunundvierzig Cent!« Nein, die Stimme kam aus allen Ecken gleichzeitig. Sie pries Tiefkühlhähnchen und Teflonpfannen, Babywindeln und Haarshampoo, Kinderanoraks und Gewürzgurken. Kalatur musterte die Decke. Dort oben waren allerlei Gitter, Rohre und Trichter montiert und an langen Fäden waren Reklametafeln aufgehängt, die ebenfalls von Super- und Sonderpreisen kündeten. Er flog ganz dicht an der Decke entlang, um hinter das Geheimnis des unsichtbaren Sprechers zu kommen.

      »Der beliebte Hansen Filterkaffee, fein gemahlen und Magen schonend veredelt, kostet diese Woche nur …«, der Preis ging in einem durchdringenden Hupton unter. Die Kunden sahen sich erschrocken um. Gleich darauf meldete sich eine andere Stimme: »Meine Damen und Herren, dies ist ein Alarm unseres Rauchmelders. Zu Ihrer Sicherheit bitten wir Sie, alle unbezahlten Einkäufe im Laden stehen zu lassen und sich unverzüglich durch die Ausgänge ins Freie zu begeben. Wir sind sicher, dass es sich nur um eine kleine Störung handelt, und Sie in wenigen Minuten Ihren Einkauf fortsetzten können!«

      Die Leute begannen zu rennen, drängelten sich schreiend zum Ausgang, schoben und schubsten, zerrten ihre Kinder hinter sich her ins Freie. Kalatur verstand nicht, was geschehen war und schwebte verwundert über den Köpfen der Flüchtenden hinweg auf den Parkplatz hinaus.

      »... Große, rote Autos kamen mit blinkenden Lichtern angerast und machten einen entsetzlichen Lärm.«

      »Na klar, das war die Feuerwehr mit Blaulicht und Martinshorn«, erklärte Philipp.

      »Männer in derben, blauen Anzügen sprangen in Eile aus den Autos. Auf dem Kopf trugen sie Helme, sodass sie beinahe wie Krieger aussahen. Sie wickelten von großen Walzen lange Schläuche ab und zogen sie zum Einkaufszentrum.«

      »Und - haben sie mit Wasser oder Schaum gespritzt?«

      »Nein, aus dem Gebäude kam ein Mann, der erklärte, es müsse sich wohl um einen Fehlalarm gehandelt haben. Nirgendwo gäbe es einen Brand oder eine Rauchentwicklung. Der Hauptmann der Feuerwehrleute meinte daraufhin, dass wohl irgendein technischer Defekt den Alarm ausgelöst hätte. ›Sie müssen die gesamte Anlage überprüfen lassen!‹, mahnte er den Chef des Einkaufszentrums.«

      »Da hast du ja einen ganz schönen Wirbel verursacht!«

      »Glaubst du wirklich, dass ich der Auslöser dieses Schlamassels war?« Kalatur war zutiefst zerknirscht. Er saß auf Philipps Bett, und seine riesige Gestalt schrumpfte zusehends zusammen.

      »Das ist doch ganz logisch. In allen öffentlichen Gebäuden müssen zur Sicherheit Rauchmelder installiert sein, damit sich die Menschen im Falle eines Brandes rechtzeitig in Sicherheit bringen können. Und wenn du nun kommst und als feine, weiße Rauchgestalt da oben an der Decke herumwirbelst, wo die meisten dieser Rauchmelder angebracht sind, dann schlagen die natürlich Alarm!«

      »Ich wollte ja nur die Sitten und Gebräuche der heutigen Menschen kennenlernen«, seufzte Kalatur. »Aber die Welt der Menschen ist sehr kompliziert geworden«, stellte er betrübt fest.

      »Ja, es wird wohl doch besser sein, wenn ich dich heute Nachmittag samt deiner Flasche in den Wald bringe.«

      »Weißt du, wenn es Dir nichts ausmacht, würde ich gerne noch ein oder zwei Tage hierbleiben. Es gibt so vieles, was du mir noch erklären und beibringen musst. Und außerdem«, Kalatur zögerte einen Moment, bevor er weitersprach, »möchte ich morgen einen Ausflug in materialisierter Menschengestalt machen!«

      »Oh nein«, rief Philipp erschrocken, »was glaubst du wohl, welchen Wirbel du erst verursachst, wenn du in deinem roten Lendenschurz in der Stadt auftauchst, – als Riese und mit dröhnender Stimme. Nein, Kalatur«, mahnte Philipp, »das lass lieber bleiben!« Und nach einer Weile fügte er hinzu: »Aber hierbleiben kannst du trotzdem. So langsam fange ich nämlich an, mich an dich zu gewöhnen.«

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