Giftmord statt Goldschatz. Holger Rudolph. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Holger Rudolph
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847605850
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nichts dagegen, dass Bergner das Spielzeug mit nach Hause nimmt. Er sah davon ab, dem Pferdchen eine neue Lackierung zu verpassen. Danach hätte es zwar mit Sicherheit noch besser ausgesehen, doch sein Wert als Antiquität wäre gesunken. Ungenutzt herumstehen sollte das Holztier dann aber doch nicht. Bergners Kinder Maria und Björn vergnügten sich damit über Jahre hinweg.

      Heute geht es wohl um mehr als ein Holzpferdchen. Das Innere der offenbar sehr alten Schatulle ist mit Stoff ausgekleidet. Ungefähr 100 Münzen, jeweils etwa so groß wie ein Ein-Euro-Stück, scheinen aus purem Gold zu bestehen. Auf der einen Seite ist der Kopf eines Mannes mittleren Alters abgebildet. Sein Gesicht ist rundlich, obenauf eine Rokoko-Perücke, wie sie in herrschaftlichen Kreisen ab 1730 üblich war. Unter der bildlichen Darstellung auf dem Avers der Münze stehen die Initialen M. G. F., ohne dass es eine Erläuterung dafür gibt. Der Revers der sämtlich identischen Münzen zeigt Schloss Rheinsberg noch ohne jene Umbauten, die erst später realisiert wurden, als Prinz Heinrich von Preußen, Friedrichs jüngerer Bruder, dort bis zu seinem Tode lebte. Auch der Grienericksee, der das Schloss vom nahen Boberow-Forst trennt, ist erkennbar. Allerdings fällt Bergner auf, dass die Proportionen der gezeigten Objekte etwas ungewöhnlich dargestellt sind. Was ihm als falsch erscheint, könnte damals vielleicht als besonders kunstvoll gegolten haben, vermutet er rasch. Vielleicht wäre es auch eine sehr spezielle Note des Künstlers.

      Für ein paar Minuten dachte Bergner darüber nach, ob er den vermutlich sehr wertvollen Fund seinem Chef melden sollte. Dann stand für ihn fest, dass er den Schatz behalten würde. Die schnörkellose Schatulle misst nur ungefähr zehn mal vier Zentimeter und ließ sich daher bestens in der alten Leder-Arbeitstasche verstecken, die schon seinem Vater gute Dienste geleistet hatte. Zum Arbeitsschluss legte er sie in den Kofferraum seines Kleinwagens. Wieder einmal ist es spät geworden. Mehrfach war er im Verlauf des Nachmittags in Versuchung geraten, mit den Kollegen über den Fund zu sprechen. Doch er schwieg. So muss es Lottogewinnern gehen, die trotz Millionen auf dem Konto nach wie vor täglich arbeiten, um nur kein Aufsehen zu erregen, dachte er. Leicht war das nicht. Und es würde bestimmt noch sehr viel schwieriger werden. Nachher würde er es vielleicht Susanne sagen. Nein, besser doch nicht. Es reicht, wenn er sein eigenes Gewissen belastet. Seine Frau sollte besser nichts von dem Fund erfahren. Später würde er schon eine glaubhafte Ausrede erfinden, woher der zu erwartende neue Reichtum kommt. Verdient hätte seine Familie das Geld allemal, ist sich Bernd Bergner sicher.

      Suche

      Es hat über Nacht geschneit, das erste Mal in diesem Winter. In der Vorweihnachtszeit hatten die Rheinsberger nicht zum ersten Mal vergeblich auf ein bisschen Weiß gehofft. Der Weihnachtsmarkt wurde zum Desaster. Schnee und Kälte ließen auf sich warten. Stattdessen fegte ein Sturm über den Kirchplatz. Einige Stunden zuvor hatten die Meteorologen das Unwetter angekündigt. Gerade noch rechtzeitig konnte die Stadtverwaltung das Markttreiben absagen. Ohnehin waren bei derart misslicher Witterung nur wenige Tagestouristen angereist, die nun auch noch enttäuscht wurden. Jetzt hält Väterchen Frost doch noch im Städtchen Einzug.

      Hinter Bernd Bergner liegen unruhige Stunden, fast ohne Schlaf. Er hat seiner Suse nichts von den Goldmünzen erzählt. Mehrfach hatte sie ihn im Verlauf des Abends auf seine ungewöhnliche Schweigsamkeit angesprochen. Seine Antworten waren tatsächlich auffallend kurz. Mehr als vier Worte am Stück brachte er nicht heraus. Offenbar war ihr schnell klar, dass er etwas vor ihr verbarg. Auch ohne ihre berufsbedingten Grundkenntnisse der Psychologie wäre ihr das Außergewöhnliche in seinem Verhalten nicht entgangen. Ihr Ehemann saß zwar vor dem Fernseher, verinnerlichte aber nichts von dem, was ihm die Glotze bot. Seine Gesichtszüge waren maskenhaft erstarrt. Auch, wenn ihm nichts davon anzumerken war, grübelte er, wie es sich am besten anstellen ließe, einen Interessenten für die Münzen zu finden.

      Später, als seine Frau schon schlief, setzte er sich an den Computer in der Hoffnung, im Internet Näheres über die Münzen und ihren vermutlichen Wert zu erfahren. Vergebens, es fand sich dort kein Exemplar, das jenen von der Baustelle auch nur ähnlich war. Um Geldstücke konnte es sich kaum handeln, fehlte ihnen doch jegliche Wertangabe. Vielleicht sind sie eine Sonderprägung, die nicht als Zahlungsmittel vorgesehen war, denkt Bergner. Unklar blieb auch, wer der dargestellte Mann ist und was die Buchstaben M. G. F. bedeuten sollen. Handelte es sich tatsächlich um reines Gold, dürfte allein der Materialwert nicht unerheblich sein, glaubt er. Doch das Abbild des Schlosses auf den 100 Exemplaren lässt ihn mutmaßen, dass es sich um einen echten Schatz handeln könnte, der in einem engen Zusammenhang mit dem preußischen Königshof steht. Eine Hinterlassenschaft des Kronprinzen und späteren Preußenkönigs Friedrich II. vielleicht, oder die seines Bruders Heinrich, der weit länger in der Residenz am Grienericksee lebte?

      Er hatte im Internet zwar nichts Konkretes über seine Münzen gefunden, zumindest aber einige brauchbare Informationen entdeckt, wem der Fund nach den Buchstaben des Gesetzes am ehesten gehören könnte. So hatte 1984 ein Baggerfahrer in Schleswig-Holstein bei Abbrucharbeiten eine große Menge sehr wertvoller Gold- und Silbermünzen aus dem Mittelalter gefunden. Der Bundesgerichtshof entschied, dass jeweils die Hälfte der Geldstücke dem Land Schleswig-Holstein und dem Arbeiter zustünden. Anders wäre das Urteil ausgefallen, wenn der Arbeitgeber den Baggerführer konkret dazu aufgefordert hätte, neben seiner üblichen Tätigkeit auch nach Schätzen zu suchen. Dann wäre der Auftraggeber zum Entdecker geworden, weil die Idee zum Suchen von ihm stammte. Er hätte die Hälfte des Fundes erhalten, die andere das Land. Der Bauarbeiter aber wäre leer ausgegangen. Nein, Firmenchef Kegel hatte ihm keinen solchen Auftrag erteilt. Trotzdem würde Bergner selbst im Höchstfall die Hälfte des Fundes zustehen. Den Rest bekäme das Land. Auch der Eigentümer des Gebäudes würde unter bestimmten Umständen 50 Prozent der Goldmünzen erhalten. Das alles kommt für Bergner nicht in Frage. Er will endlich einmal zu den ganz großen Gewinnern zählen. Lange genug hat er geschuftet. Viel zu oft bestand sein Leben in den zurückliegenden Jahren vor allem aus Arbeit: Aufstehen, 12 bis 13 Stunden malochen, danach ein bisschen fernsehen, meist aber vor der Glotze einschlafen, etwas Sex, schlafen – und schon wieder aufstehen. Eine echte Tretmühle. Auch die freien Wochenenden wurden seltener. Immer häufiger nahm der Chef keine Rücksicht darauf, dass seine Mitarbeiter auch mal Ruhe brauchen und viele von ihnen Familie haben. Sie sollten sich in dieser wirtschaftlich schwierigen Zeit für das Unternehmen aufopfern, forderte der Fettwanst. Tatsächlich, den Begriff aufopfern hatte Kegel allen Ernstes verwendet, als ginge es darum, die letzte Schlacht der Gerechten zu gewinnen.

      Auf dem Weg zur Baustelle fabuliert er. Sollte sich der Fund zu Geld machen lassen, dann könnte die Familie aus der kleinen Doppelhaushälfte am Stadtrand ausziehen. Ein eigenes Haus ganz ohne direkte Nachbarn wäre traumhaft. Absolut real aber ist der dicke rotbraune Kater, dessentwegen Bernd Bergner voll auf die Bremse seines Autos tritt. Der Wagen kommt wenige Zentimeter vor dem Tier zum Stehen, das Bergner von der Straßenmitte her einen unwirschen Blick aus gelbgrün leuchtenden Augen zuwirft. Glück im Unglück, der Kater hat überlebt. Vielleicht gibt es schon bald noch mehr Grund zur Freude, denkt Bergner und grinst dabei. Er erinnert sich an das alte Sprichwort, das auf die Straße rennenden Katzen eine Wirkung auf ihre menschlichen Betrachter zuspricht: „Rechts nach links, Glück bringt's“. Eine Glückssträhne sollte man zumindest nicht ausschließen. Erfreulicherweise kam die Katze nicht von links, denn „Links nach rechts, bringt's Schlecht's“. Nein, er glaubt nicht an die in dieser kleinen Stadt auch im 21. Jahrhundert vor allem bei den älteren Einwohnern noch immer beliebten Sprüche. Sind sie doch nicht mehr als Aberglaube, entlehnt aus nicht oder falsch verstandener Religion, der zu einer ganz eigenen Form der Religiosität führt. Statt sich bis ins Detail in der Bibel auskennen zu müssen, zimmerten sich die einfachen Leute schon vor Jahrhunderten ihre schlicht-schöne Glaubenslehre. Nur nicht mit dem Bösen einlassen, schon eine schwarze Katze könnte etwas unerwartet Übles bedeuten, ist sie am Ende gar eine Hexe? Er lacht über solchen Unsinn. Bergner braucht keine Religion. Er glaubt ja nicht einmal an Gott, ganz anders als seine Susanne, die als Katholikin an jedem Sonntag zur Kirche geht. Vor fast 20 Jahren hatte sie sich noch darum bemüht, auch aus Bernd einen gläubigen Christen zu machen. Doch er hatte mit Religion nichts am Hut. Sie war und ist für ihn nur ein Leitfaden für alle Mitmenschen, die nicht ohne so ein Gängelband auskommen. Und er findet es alles andere als erstrebenswert, dem Pfarrer auch intimste Geheimnisse beichten zu sollen, falls man