„Natürlich.“
Wal-Freya öffnete einen Beutel, der neben dem Diener stand. „Nun fehlt nur noch ein bisschen Rüstzeug“, erklärte sie und reichte Thea Arm- und Beinschienen, die ebenso golden schimmerten wie das Kettenhemd. Silberne Muster waren auf ihnen abgesetzt. Thea wagte kaum zu atmen, als sie das fremdartige Metall in den Händen drehte. „Aber Wal-Freya. Das ist doch alles viel zu kostbar für mich …“
„So ein Unsinn! Zieh sie an! Diesmal werden wir keine Baba Jaga bei uns haben, wenn du wieder Unsinn anstellst.“ Sie lächelte, doch Thea konnte sehen, dass es ein abgerungenes Lächeln war.
„Glaubst du, dass es sehr gefährlich wird?“
Wal-Freya holte tief Luft. „Ich weiß es nicht. Bisher war nichts einfach und ich wage mir gar nicht vorzustellen, was passiert, wenn Hel uns dabei erwischt, wie wir Balder aus ihrem Reich schmuggeln.“
Thea seufzte bekümmert. „Was meinst du, könnte sie dann machen?“
„Wer weiß das schon, ich kenne sie nicht. In diesem Fall werden du und Kyndill sehr wichtig für uns sein. Es ist also nur recht und billig, dir ein paar kostbare Geschenke zu machen.“ Wieder lächelte sie. Dann holte sie einen, in einer ledernen Tasche steckenden Dolch aus dem Beutel. „Es kann nicht schaden, wenn du eine Klinge bei dir trägst, die nicht brennt“, sagte sie mit einem Zwinkern und befestigte den Dolch am Gürtel auf Theas Rücken.
„Denkst du, dass wir das Richtige tun?“, fragte Thea, während sie die Beinschienen über den Stiefeln anbrachte.
„Keine Ahnung. Manchmal glaube ich ja, manchmal glaube ich nein. Aber es ist mühsam, darüber nachzudenken. Wir haben uns im Thing dafür entschieden, also werde ich alles daran setzen, dass wir Erfolg haben.“
„Vielleicht hätte Juli auch einfach nur die Klappe halten sollen“, raunte Thea und schloss bereits die letzte Schnalle der Armschienen.
Wal-Freya lächelte. „Vielleicht wäre auch ein anderer auf die Idee gekommen, Balder zu befreien.“
„Fertig“, verkündete Thea.
„Fast!“ Abermals griff Wal-Freya in den Beutel und zog einen Brillenhelm hervor. „Der wird aber nicht wieder verloren!“, sagte sie, während sie ihn Thea entgegen warf.
Thea fing den Helm auf. Wie auch die Beinschienen war er aus dem fremden, goldenen Material gefertigt und wies silberne Knotenverzierungen auf. Thea wog den Helm in den Händen und betrachtete die filigrane Arbeit. „Haben das Zwerge gemacht?“
„Lichtalben“, erwiderte Wal-Freya ungerührt. Sie lächelte und ging zurück in die Halle. „Vergiss den Umhang nicht!“
Thea nahm das Kleidungsstück und warf es sich über die Schulter. Es war aus dickem Stoff und hatte sogar eine Kapuze. Sie schloss es, rückte die Kapuze zurecht und eilte Wal-Freya nach, die unterwegs ihren eigenen blauen Umhang mit dem Fellbesatz schnappte und durch die Tür auf der gegenüberliegenden Seite der Halle trat. Hier befand sich die große Terrasse, die Folkwang und Sessrumnir miteinander verband.
Sigrún stand mit weiteren Walküren zusammen. Thea erkannte auch Hermodr, Tom und Juli, die sich alle nach Wal-Freya umdrehten, als sie ihre Schritte über den Platz hallen hörten. Djarfur, der mit den anderen Pferden neben der Gruppe wartete, fixierte Thea mit seinem Blick und nickte mehrmals. Thea hatte keine Zeit darüber nachzudenken, was das zu bedeuten hatte, denn schon stürzte Juli auf sie zu. Ebenso wie Tom war auch sie völlig neu eingekleidet, nur den Brillenhelm, den sie in der rechten Hand hielt, erkannte Thea wieder. Wie Thea waren ihre Freunde mit neuen Bein- und Armschienen ausgestattet, die kunstvoll verziert, aber offenbar aus gewöhnlichem Eisen gefertigt waren. Juli trug eine grüne Tunika und braune Hosen, Tom eine blaue Tunika und schwarze Hosen. Zu ihrer eigenen Verwunderung machte ihr Herz einen kleinen Sprung, als Tom auf sie zusteuerte. Die dunklen Kleider hoben seinen zarten Bart hervor, der sich um die Mundpartie dichter abzeichnete als im Rest des Gesichts. Die alte Baba Jaga hatte auch in Asgard des Öfteren gescherzt, dass es Mittelchen gäbe, um Toms Barthaare sprießen zu lassen. Im Vergleich zu Hermodr, dessen Bart so wild und lang um sein Gesicht quoll, dass er in der Lage war, ihn von der Oberlippe aus zu Zöpfen bis hin zur Brust zu flechten, wirkte Toms zarter Flaum tatsächlich welpenhaft. Aber für Thea hätte Tom gar nicht anders aussehen dürfen. Auch Juli löste sich sofort aus dem Kreis, nachdem sie ihre Freundin erblickte. Ein dicker Umhang mit Fellbesatz wehte um ihre Schultern, Tom trug den gleichen. Beide Freunde sahen stattlich aus, dennoch war weder Julis noch Toms Tunika mit dem Walkürensymbol verziert.
Auch Juli bemerkte das. „Wie immer eine Extrawurst“, kommentierte sie lachend.
Thea legte unwillkürlich die Hände über das Zeichen und senkte betreten den Blick.
Juli gab ihr einen Knuff. „Das war ein Witz, Thea! Du bist die Hüterin des Zauberschwerts, schon vergessen? Es ist völlig in Ordnung, dass du eine Extrawurst bekommst. Es sieht toll aus!“
Thea fiel Juli um den Hals und drückte sie fest an sich. Sie war unendlich dankbar, solch eine Freundin an ihrer Seite zu haben.
„Das finde ich auch! Und der Helm erst!“, stimmte Tom zu.
„Ich weiß nicht, womit ich euch verdient habe“, erwiderte Thea mit dünner Stimme, da ihr vor Rührung die Tränen in die Augen stiegen.
„Jetzt rede mal nicht so einen Unsinn!“ Juli löste sich aus der Umarmung. „Weißt du, es ist verdammt cool, eine so besondere Freundin zu haben. Wer hat das schon?“
Thea presste die Lippen zusammen. „Ich bin nichts Besonderes. Ich habe nur vor vielen hundert Jahren den Fehler gemacht, mich auf ein Geschäft mit Loki einzulassen.“
„Ach, jetzt hör schon auf! Du zauberst, führst ein magisches Schwert, das selbst Odin nicht berühren kann und wer weiß, zu was du sonst noch alles in der Lage bist. Wenn du mich fragst, ist da noch viel mehr in dir. Wahrscheinlich hat Loki dich genau aus diesem Grund ausgewählt. Er hätte damals jeden anderen Schmied in Midgard aufsuchen können, aber er kam zu dir! Hast du darüber schon einmal nachgedacht? Sicher hätte niemand anderes dieses Schwert schmieden können.“
Wieder erstickte Thea ihre Freundin in einer Umarmung. Für einen Moment erwiderte Juli diese, dann löste sie sich von Thea und klatschte mit den Füßen tänzelnd in die Hände. „Jetzt los! Ich kann es kaum erwarten, dich vor Angst schreien zu hören, wenn Djarfur losgaloppiert.“
„Oje, da war ja noch was“, erwiderte Thea trocken.
Als sich Thea im Kreis der Versammelten einreihte, spürte sie die Blicke aller Walküren auf sich ruhen. Sigrún lächelte Thea vielsagend zu. Plötzlich erklang ihre Stimme in Theas Geist:
„Du siehst aus wie eine von uns. Ich bin so stolz auf dich!“
Beinahe hätte Thea vergessen, dass sie und Wal-Freya nicht die Einzigen waren, die die Kunst der Gedankensprache beherrschten. Sie lächelte verlegen.
„Das habe ich wohl dir zu verdanken.“
„Ganz richtig, aber die anderen waren auch dafür. Herja hat sich leidenschaftlich für dich eingesetzt, als Thrud leise Bedenken äußerte.“
„Thrud? Warum?“
„Weil du nun mal ein Mensch bist, eine Tochter Midgards. Am Ende war sie auch dafür, dass du Trägerin unseres Zeichens wirst.“
„Du hast mich schon einmal damit ausgestattet. Nach meinem Abenteuer in Niflheim, als du mir den Tornister gegeben hast, in dem ich Kyndill verstecken kann.“
Sigrún lächelte. „Wirklich? Das ist mir gar nicht aufgefallen.“
„Natürlich nicht“, scherzte Thea.
Ein Stoß in ihren Rücken ließ Thea herumfahren. Djarfur hatte sich genähert. Als sich ihre Blicke trafen, wieherte der Hengst und warf den