Die zweite, schon ganz reife Frucht von Rathenaus zähem Bemühen um die Anschaulichkeit der Welt ist die 1901 in Hardens „Zukunft“ erschienene „Physiologie der Geschäfte“; ein Werkchen, das sich in Geist und Form eng an die der französischen „Moralisten“ anschließt, witzig, treffend, Schlag auf Schlag Einblicke und Ausblicke eröffnend, teilweise so fest geprägt, dass einige seiner Sätze schon klassisch wirken:
„Bedürfnisse erkennen und Bedürfnisse schaffen ist das Geheimnis alles ökonomischen Handels.“
„Eine Organisation soll ihr Gebiet bedecken wie ein Spinnennetz: von jedem Punkt soll eine grade und gangbare Linie zur Mitte führen.“
„Geschäfte müssen monarchisch verwaltet werden. Kollegien arbeiten selten schlecht, aber im besten Fall mittelmäßig.“
„Kollegialität heißt Feindschaft.“
„Denke dich beständig an die Stelle deines Gegenüber. Proponiere, was du selbst in seiner Lage annehmen würdest, und erwäge bei allem, was man dir sagt, die Interessen, die dahinter stecken. Denke nicht nur für dich, sondern auch für den anderen.“
„Bei gescheiten Menschen, die in Verhandlungen erfahren sind und sich kennen, genügen wenige Worte, um wichtige Dinge zu entscheiden. Ein unerfahrener Zuhörer würde kaum erkennen, dass sie mit der Frage im Zusammenhang stehen und oft nicht einmal fühlen, ob eine Ablehnung oder Zustimmung erfolgt ist.“
„Wenn man erwägt, wie oft ein Spaziergang, ein Mittagessen, ein Kopfnicken oder ein Gähnen über das Entstehen und Schicksal großer Unternehmungen entscheidet, so ist es zweifelhaft, ob man über die Stärke oder über die Schwäche der Menschen erstaunen muss.“
„Ich pfeife auf das, was man die ‚großen Ideen‘ nennt. Sie liegen auf der Straße. Sie kommen zu Dutzenden, dieses Gesindel, wenn wir träumen, wenn wir verdauen, oder wenn wir Erholung suchen. Und das ist ihre rechte Zeit und ihr rechter Ort ... Ich stelle mir vor: ein Industriekönig liest in seiner eigenen Biographie, wie der ‚große Gedanke‘ seines Lebens erklärt, erläutert und gefeiert wird. Wie muss der Ehrliche über die Gläubigkeit der Chronisten lachen! Denn die große Idee war, als er sie aufgriff, eine zehnmal breitgetretene Plattheit, ein Erbstück, ein Gemeingut aller Vernünftigen gewesen: was gefehlt hatte war der Mann, der Wille, der Fleiß, die Ausdauer. Und war Genialität dabei nötig, so war es die Genialität der tausend Mittel, der tausend Auswege und Umwege, der Überzeugungskraft und der Halsstarrigkeit.
Ich hasse die geistreichen Gedanken und misstraue den brillanten und paradoxen Worten.“
„Wenn du Menschen findest, die sich mit Erfolg in eine Organisation einfügen, so sind es Germanen oder Angelsachsen. Von allen Rassenüberlegenheiten erscheint mir diese die wichtigste. Juden sind niemals Beamte. Selbst in der unbedeutendsten Stellung sind sie Unternehmer und Geschäftsleute auf eigene Faust.“
„Ein junger Mann aus guter Familie lobte mir seine Begabung und fragte mich, was er im kaufmännischen Beruf verdienen könne, unter der Bedingung, dass er täglich nur fünf Stunden arbeite. Ich antwortete ihm, dass in Geschäften die Arbeitszeit nur von der siebenten Stunde aufwärts bezahlt werde und veranlasste ihn, in den Staatsdienst zu treten.“
Entscheidend für die weitere Entwicklung von Rathenaus Ideen sind die Anschauungen, die in den letzten Aphorismen der kleinen Sammlung formuliert sind:
„Plutokratie. („Reichtumsherrschaft“ – Geldherrschaft – Geldadel) Es gibt nichts Betrübenderes als die Erkenntnis, dass wir der Plutokratie rettungslos verfallen sind. Noch widerstehen ihr drei oder vier germanische Staaten; auf wie lange?“
„Auflehnung. Ich sehe die Herrscher der kommenden Zeit und ihre Kinder. Hässliche Menschen mit großen Schädeln und stechenden Augen, Menschen, die beständig sitzen, sitzen und zählen, rechnen, beraten. Jedes Wort eine Tatsache, jeder Blick ein Urteil, jeder Gedanke auf das gerichtet, ‚was ist‘. Vielleicht werden sie etwas mehr Kultur als ihre Brüder von heutzutage besitzen, wahrscheinlich weniger Gesundheit. – Und ihre Nachkommen! – Alles hat sich vererbt, nur nicht Geist und Kraft. Ein mattes, nervenschwaches Gesindel, krankhaft, verwöhnt, launisch und willenlos. Eine Drachenbrut, liegen sie auf überkommenen Schätzen, zu faul, sie zu mehren und zu schwach, sie zu erhalten. Und die von ihnen werden die Besten sein und sich den Dank der Besonnenen erwerben, die durch Spiel, Verschwendung