Räderwerk. Paula Wuger. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Paula Wuger
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738063837
Скачать книгу
mir ganz abgesehen“, sagte Judith.

      „Es ist beachtlich, wieviel Leben der Fluss in die Stadt bringt“, schwärmte Hans Waldheim, während Schnauzer Erwin die Enten in Ufernähe mit Interesse betrachtete.

      Doch ein Pfiff seines Herrn genügte, um ihn von etwaigen Jagdabenteuern abzubringen.

      „Erwin ist ein wohlerzogener Hund“, bemerkte Judith.

      „Wir haben uns so sehr aneinander gewöhnt, dass einer dem anderen gehorcht.“

      „Frau Mardein hat anklingen lassen, dass ein Gespräch mit Ihnen wichtig wäre“, kam Judith zum eigentlichen Thema des Treffens mit ihrem Chef.

      „Die gute Gretel. Auch sie ist eine Seelenverwandte. Wie Erwin, obwohl ihr der Vergleich nicht recht wäre.“

      Judith schmunzelte, betrachtete den Riesenschnauzer eingehend und fand letztendlich, dass der Schnauzer eher Manuel ähnelte, in seiner athletischen Gestalt. Aber das durfte sie ihrem Freund nicht sagen. Das würde er ihr übel nehmen.

      „Ich habe Ihnen beim letzten Mal nicht alles gesagt“, sagte Waldheim, „aber Sie wissen jetzt, dass Hajo mein Sohn ist. Mein einziges Kind.“

      „Es tut mir sehr leid, was mit ihm geschehen ist.“

      „Danke, Judith. Sie haben das gut formuliert. Was mit ihm geschehen ist. Ich weiß es nicht, zweifle aber daran, dass es sich so verhalten hat, wie man behauptet. Gretel hat von einem Opferlamm gesprochen. Ich weiß nicht, ob es stimmt, doch möchte ich Gewissheit.“

      „Das ist der Auftrag, den Sie mir gegeben haben. Ich werde mich bemühen, die Wahrheit herauszufinden.“

      „Danke, Judith.“

      „Gretel Mardein hat von einer möglichen Verschwörung böser Menschen gesprochen.“

      „Die gute Gretel!“

      „Teilen Sie diese Vermutung?“

      „Ich bin mir nicht sicher. Die Verbindung zu Hajo war abgerissen. Damals, als ich ihm noch nahe war, war das auszuschließen. Undenkbar. Aber Menschen verändern sich. Wobei ich es mir nicht vorstellen kann, was er mit einem kleinen Jungen hätte anfangen sollen.“

      „Was für ein Mensch war ihr Sohn zu der Zeit, in der Sie ihn kannten?“

      „Er war einmalig. Ein freundliches, ausschließlich positives Kind. Nicht so wild wie die anderen, tierlieb. Etwas zart, oft krank.“

      „Und später?“

      „Zu zart, zu weich.“

      „Kein richtiger Junge?“

      „Das war lange Zeit ein schwieriges Thema für mich. Aber jetzt … kein Problem mehr.“

      „Sie meinen seine Homosexualität.“

      Waldheim zuckte mit den Schultern. „Ich vermute, dass er schwul war. Allerdings hat er sich nie für kleine Kinder interessiert. Er hatte immer gleichaltrige Freunde, so lange ich das verfolgen konnte. Und er war oft allein. So allein, dass wir uns einen Hund zulegten. Einen ersten Riesenschnauzer. Erwin ist der dritte.“

      Bei der Erwähnung seines Namens ließ der Hund den Stock fallen, lief zu seinem Herrn und ließ sich streicheln.

      „Und er schwamm wahnsinnig gern. Eine richtige Wasserratte, wie man so sagt. Wir erwarben damals das Haus bei Himberg für die Wochenenden und die Ferien. Und dort hatte er Kontakt mit Nachbarskindern.“

      „Ich verstehe“, sagte Judith und fragte dann ihren Chef, was Gretel Mardein mit dem Begriff Verschwörung gemeint haben könnte.

      „Die Medienvermarktung um Ben Wesely verläuft etwas zu glatt, zu perfekt.“

      „Manuel hat erzählt, dass der junge Mann heute einen Termin mit einem Filmproduzenten hat.“

      „Zwei Wochen nach seiner Selbstbefreiung. Er wird perfekt gemanagt. Die Frage ist nur, was es ihm bringt, abgesehen vom Geld, von dem auch andere profitieren.“ Als Judith schwieg, fuhr er fort. „Ich rede nicht gerne darüber, weil ich keinen Beweis habe. Und ich möchte nicht meinen Konkurrenten verunglimpfen, nur weil er in dieser Sache erfolgreicher ist als ich.“

      „Aber …“, versuchte Judith, ihren Chef zu verleiten, weiterzumachen.

      „Ist das Aber so deutlich aus meiner Rede herauszuhören?“, fragte Waldheim und schmunzelte zum ersten Mal.

      Judith nickte und betonte, Waldheim könne ihr gegenüber ganz offen sein.

      „Gut. So sei es denn“, sagte er und steuerte ein Bank an. „Ich brauche eine kurze Rast“, erklärte er.

      Sobald sie saßen, begann Judith den Hund mit den mitgebrachten Frolic-Ringen zu füttern. Waldheim überlegte einige Minuten, bevor er begann.

      „Es gibt einen Herrenclub – und jetzt lachen Sie nicht – in der Herrengasse, im ersten Stock des Café Bades. Ihm gehören neben Cramar auch noch der Jugendpsychiater …“

      „Holzmeister.“

      „Und der Chefermittler, ein Oberst Gerhartinger, an.“

      „Das schaut tatsächlich nicht besonders gut aus.“

      „Nein“, bestätigte Waldheim. „Der Schönheitsfehler daran ist die Tatsache, dass es sich um eine noch ungeprüfte Behauptung handelt. Ein anonymes Schreiben, das mich am Dienstag erreicht hat.“

      „Sie haben dieses Schreiben noch?“

      „Natürlich“, sagte Waldheim und griff nach seiner Brieftasche, der er ein mehrfach gefaltetes Stück Papier entnahm.

      „Eine Kopie. Das Original liegt im Safe“, erklärte er noch. „Falls wir eines Tages Fingerabdrücke vergleichen können.“

      Judith nahm das in Computerschrift bedruckte Blatt und studierte den knappen Text.

       Der Herrenclub hat Wesely gerettet. Kinderpornos, nein danke! Medienlügen, nein danke! Hans-Josef Hebenstreit ist unschuldig!

      Judith dachte nach. Sie hatte den Eindruck, der Verfasser wollte an den Stil des Bombenbauers Franz Fuchs erinnern, der im Gerichtssaal ähnlich formulierte Sätze gebrüllt hatte, bis er sich in der Gefängniszelle erhängte.

      Judith fragte sich, was hier gespielt wurde und blickte ihren Chef forschend von der Seite an.

      Dieser wandte sich ihr zu und sagte ernst: „Das Schreiben ist authentisch. Es stammt nicht von mir.“

      Judith nickte und schwieg.

      „Ich weiß nicht“, fuhr Hans Waldheim fort, „ob mein Sohn tatsächlich unschuldig ist. Natürlich wäre es mir lieber, obwohl es bedeuten würde, dass man ihn getötet – geopfert – hat.“

      „Wenn man diesen Gedanken weiter verfolgt, müsste er in einer Beziehung zu den Mördern gestanden haben. Ansonsten wären sie nicht auf ihn gekommen.“

      „Oder sie wollten mich treffen“, sagte der Verleger.

      „In dem Schreiben wird ein Herrenclub erwähnt. Könnte es sein, dass Ihr Sohn Mitglied dieses Clubs war?“

      „Ich weiß es, ehrlich gesagt, nicht. Natürlich gibt es diesen Club. Warum man ihn in diesem Schreiben als Retter Ben Weselys bezeichnet, kann ich allerdings nicht sagen.“

      „Und es ist von Kinderpornos die Rede.“

      „Aber nicht in Zusammenhang mit dem Club“, überlegte Waldheim. „Es wäre auch schwer vorstellbar, dass eine größere Anzahl von Männern in wichtiger Position sexuell an Kindern interessiert wäre.“

      „In Belgien“, wandte Judith ein, „scheint das zuzutreffen, im Fall Dutroux.“

      „Was man Hajo vorwirft, ist ein Abklatsch dessen, was sich in Belgien abgespielt hat. In einen Keller eingesperrte Jugendliche …“

      „Darüber