Sechs Erzählungen. Helmut H. Schulz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Helmut H. Schulz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847667155
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antwortete erst mal gar nicht, und Mama rettete die Situation. «Ab ins Bad, ich mach dir inzwischen Würstchen heiß. Annilein hilft mir, ja?»

      Natürlich war Mama imstande, Frank den Rücken abzuseifen, ohne daß was passiert wäre, da bin ich sicher, fast sicher. Mama ging in die Küche, Papa und Frank verschwanden im Badezimmer. Ich hatte schon einen kleinen sitzen. Mein Mann warf sich in den Sessel zurück und lachte lautlos, sein schwaches, energieloses Kinn wabbelte. «Hör auf», zischte ich. «Entschuldige», sagte mein Mann, «das ist einfach zu komisch. Der Musterknabe, Danzers Kronprinz, Frank, der heute Professor sein könnte, würde er gewollt haben und sich nicht so blöde angestellt, der Beischläfer vom Dienst, der fährt heute noch in einer Chemiebude Schicht. Wenn das nicht komisch ist, dann weiß ich nicht.»

      Es ist wahr, ich habe ihm eine geschallert, eine saftige, nicht bloß die leichte Andeutung einer Schelle. Sein Bäckchen verfärbte sich auch gleich rosa. Meinem Mann verschlug es die Sprache. Das war ein seltener Genuß, ich hätte das schon eher tun sollen, es löst Spannungen. «Für den Beischläfer», sagte ich, glänzend in Form, «wir wollen doch einen Rest Anstand zwischen uns wahren.» Ich ließ meinem Mann keine Zeit, sich was auszudenken, sondern zog mich in die Küche zurück.

      Mama arbeitete schon am Herd. Sie zeigte ihre Küche mehr vor, als daß sie damit arbeitete, eine Küche mit allen denkbaren Maschinen, mit Rauchabzug und Grill, alles eingebaut. Mama brauchte ja nur einen kleinen Topf, um die Würstchen heißzumachen. «Ist Papa bei Harald», fragte sie. «Du», sagte ich schluckend, mir wurde ein bißchen mies, Mama verstand es falsch, denn sie sagte: «Tu mir den Gefallen und heul jetzt nicht, daß alle Weiber immer gleich heulen müssen, ich habe sofort gesehen, daß es zwischen euch nicht mehr stimmt. Jetzt mach ich mir Vorwürfe, Frank überhaupt eingeladen zu haben. Ich habe nicht gewußt, wie tief es bei dir sitzt. Gib mir mal den Lappen rüber», sagte sie resolut. Ich reichte ihr den Topflappen. Wenn es darauf ankommt, kann Mama ganz schön falsch sein. «Wir sind ja nicht mehr auf unsere Männer angewiesen», sagte Mama streng, «wenn es eben nicht mehr geht, machen wir halt Schluss.» Sie nahm die Würstchen vom Herd, wedelte mit dem Deckel den Kochdunst ab und roch an den Würstchen. Nett machte sie das, eine hübsche Platte für Frank mit Senf und Toast, Gurkenscheiben und Salatblättern. «So einfach, wie du denkst, ist es nicht», sagte ich. «Das weiß ich doch, Kind», sagte Mama, «aber für den Fall, daß es überhaupt nicht mehr geht, machst du eben Schluss.» Das ist es, wir wissen ja nie, ob es überhaupt nicht mehr geht, zumal jetzt, wo wir das Haus, bauen. Ich habe ja auch dafür mitgearbeitet. Vielleicht könnte ich das Haus behalten und meinen Mann an die Luft setzen. Heute sollten Dachbinder geliefert werden, eigentlich hätten wir uns diese Reise nach Berlin gar nicht gestatten dürfen.

      «Willst du wissen, wie du aussiehst», sagte Mama, «in der Diele hängt ein Spiegel.» Das konnte sie sich nicht verkneifen. Den Spiegel hatte ich gleich gesehen, altes Stück im verschnörkelten Goldrahmen, ich habe meinen Mann angestoßen. Wie man ein Haus so konsequent geschmacklos einrichten kann, bleibt mir ein ewiges Rätsel. «Was besagt das schon», meinte ich. «Versau uns nicht den Abend», sagte Mama hart, «nimm dich ein bißchen zusammen.»

      Wir gingen ins Zimmer zurück. Frank war noch nicht da, aber mein Mann und Papa standen auf der Terrasse. Mama ordnete den Tisch, nett machte sie das wieder. Mama hätte das Zeug zu einer kalten Mamsell, würde sie nicht alles auffressen, was für die Gäste bestimmt ist. «Frank trank doch immer Bier», sagte sie, «lauf doch bitte in die Küche, im Kühlschrank stehen noch ein paar Flaschen, Kind.» Na schön, ich tat es.

      Papa und mein Mann kamen herein, fröstelnd, denn die Maiabende waren noch kühl. Papa küßte Mama auf die Wange und sagte: «Nett, das wird dem Herrn aus der Großchemie wohl genügen.»

      »Kleiner Imbiss«, sagte Mama stolz und bescheiden.

      Wir setzten uns und warteten, es war wie zu Beginn des Abends, wir warteten auf Frank. Mama sagte: »Habt ihr eine Erklärung dafür gefunden, daß Frank im Betrieb sitzt?«

      »Wegen seinem Fiasko mit dieser Pilotanlage«, sagte mein Mann. Mechanisch rückte Mama an dem Wurstteller herum.

      »Das kann jedem passieren«, sagte Papa beschwichtigend, »das ist unser Risiko.«

      »Risiko geh ich auch ein«, sagte mein Mann, »aber ich fordere niemand heraus. Wir kennen doch Frank, oder?«

      Ich sah ihn an, aber die Backe war nur noch wenig gerötet, ich hätte fester zuschlagen sollen, für Frank. »Alle fünf Jahre ein neues Chemiekonzept«, sagte mein Mann, »mir können sie den Buckel runterrutschen. Ihr hier in Berlin merkt vielleicht weniger davon als wir da unten«, er winkte ab, weil Frank erschien.

      Mein Frank trug ein weißes Hemd und einen Binder von Papa. Wir waren ja gewöhnt, daß Frank nur mitbrachte, was sich in den Taschen unterbringen ließ. Frank war frisch rasiert, überhaupt ging Frische von ihm aus. »Das Wichtigste hätte ich fast vergessen«, sagte er und fischte aus seiner Lederjacke zwei winzige Sträuße, »die ersten Veilchen.« Gerührt weinte Mama ein bißchen.

      Ich? Ich hielt den Strauß fest zwischen meinen Händen. So stark rochen die Blumen, daß sie den Zigarettenrauch verdrängten. Früher hatte Frank Blumen für mich aus Danzers Garten geklaut. Ich muß wohl mal sagen, wer Danzer ist, unser alter Lehrer, Professor, Chemiepapst genannt.

      »Hast du noch mehr Wunder in der Tasche?«, fragte Papa. Frank schüttelte den Kopf. Er nahm ein Würstchen, stippte es in den Senf und aß es.

      «Ernsthaft», sagte mein Mann, «wir haben uns eben den Kopf darüber zerbrochen, warum du im Betrieb hängen geblieben bist.» Neugierig sahen wir dem ruhig essenden Frank zu. «Wir haben ja alle mal unseren gesellschaftlichen Pflichtteil eingebracht», sagte Papa, «zwei, drei Jahre Leim oder Gas, ganz gleich, um Erfahrungen in der Großtechnik zu sammeln, einverstanden. Dann aber Forschung oder was anderes. Schließlich sind wir promovierte Chemiker. In einem Betrieb versinkt doch bald alles in Routine.»

      «Danzer kann dir wohl nicht helfen?», fragte mein Mann lauernd.

      «Weshalb sollte mir Danzer helfen», fragte Frank. Er schob den Teller weg, und Mama nahm gedankenlos vom Tisch, sie räumte auf mit dem Würstchenteller. Also ich muß sagen, verstanden haben wir alle nicht, welchen Spaß Frank an der Großchemie haben könnte. Es war bloß großartig, wie er da saß, mit dunklen Mongolenaugen, geschmeidig und zäh, ein Mann eben. Mein Frank.

      »Danzer ist schon in Ordnung«, sagte Frank schließlich, »aber sonst? Ein Institut mit allen Intrigen, Kriecherei, Heuchelei. Draußen ist für solche Faxen weniger Zeit.«

      Mama nickte überzeugt. Sie hatte nie einen Fuß in eine Bude gesetzt, freiwillig nicht. Auch Papa stimmte nachdrücklich zu. »Du hast schon recht«, sagte er, »wenn du es so nimmst. In der Produktion ist man heute tatsächlich am besten aufgehoben, da kann man noch eine Lippe riskieren. Uns ist wahrhaftig nicht immer wohl in unserer Haut«.

      »Sucht euch doch was Besseres«, sagte Frank, »unten werden immer tüchtige Leute gebraucht,« Frank, den riß keiner um.

      Mein Mann lächelte mitleidig. »Nicht jeder kann einfach weglaufen, dem es nicht mehr paßt, mein Lieber.« Ich traute meinen Ohren nicht, mein Mann sagte tatsächlich mein Lieber zu Frank.

      Der erwiderte schlicht: "Mir machst du nichts vor, Klaus, ihr sitzt hier wie angeschraubt, euch müßte man mit der Brechstange losmachen.« Mein Mann im Doppelnelson.

      »Die Geschichte damals mit der Pilotanlage«, sagte mein Mann, sich noch immer wehrend, »die hat dich wohl aus der Bahn geworfen?«

      »Ich habe mein Verfahren durchgesetzt«, sagte Frank; »richtig, ich habe auf der Schnauze gelegen, bin aber dran geblieben.« Peng, da lag mein Mann, Schultersieg, mir tat das wohl.

      »Du machst, was du für richtig hältst«, sagte Mama nun, »und jetzt sprechen wir über was anderes als über Arbeit, die haben wir jeden Tag. Dazu sind wir nicht zusammengekommen.«

      «Meinetwegen«, sagte Frank, »aber ich spreche gern über Arbeit.« Mama hatte meinen Mann gerettet, schade ich hätte gern mal gesehen, wie Frank auf seiner Brust kniete und den Atem aus ihm rausquetschte.