Candy Bukowski ist eine heterosexuelle, gebildete Frau, die in ihrem Buch intime Weitblicke, nicht nur zur schönsten, sondern hier auch skurrilsten Nebensache der Welt, zusammengetragen hat. Eine Hommage an die Vielschichtigkeit und das Selbstverständnis der unendlichen Spielarten der Liebe und ihrer Liebenden. Falls ihr diese noch nicht sein solltet, werdet dazu. Kaum etwas anderes könnte sich mehr für euch lohnen.
Wir sehen uns auf St. Pauli!
Eve Champagne
Eve Champagne ist Hamburgs »Queen of Burlesque«. Als Tochter eines polnischen Seemanns und einer Mutter aus gutem Hause ist sie in beiden Extremen zu Hause. Egal ob dunkle Spelunke oder schicker Yachthafen. Inzwischen ist sie nicht nur eine der schillerndsten Gastgeberinnen in »Olivias Show Club« und beliebter Kieztour-Guide, sondern wird – ganz offiziell durch die Stadt Hamburg – international als St.Pauli-Repräsentantin entsendet.
Anstatt eines Vorwortes: Jedem seinen Thermomix!
Ein seriöses Mittfünfziger-Paar, das seit geraumer Zeit völlig entspannt seine Runden durch den Laden dreht und interessiert guckt, steht vor der Vitrine mit den ausgestellten Fick-Maschinen. Unterschiedliche Modelle sind dort zu finden, alle funktionieren nach demselben Prinzip: Mensch kann sich davor hocken oder legen und kommt dank ausgeklügelter, motorisierter Leistung in den Genuss, sich realitätsnah durchvögeln zu lassen. Nach einiger Zeit begutachtenden Schweigens, entspinnt sich ein ruhiges Gespräch mit einigen Pausen zwischen den beiden. Die Dame macht den Anfang:
„Das ist – speziell …“
„Oh ja. Dass es so etwas gibt, hätte ich nicht vermutet.“
„Es ist auf jeden Fall – bemerkenswert.“
„Das Ding hat Ausdauer … da gäbe es keine Beschwerden mehr – von wegen zu schnell oder zu kurz.“
„Pah. Als ob ich jemals … das Ding läuft über einen Netzstecker … das kann endlos …“
„Genau das stelle ich mir gerade vor: du und dieses Ding, bis du aufgibst.“
„Na hör mal. Das ist eine Maschine. So ein kaltes Gerät kann doch niemals einen Menschen ersetzen …“
„Das, meine Liebe, hast du vom sündhaft teuren Thermomix auch behauptet. Und jetzt willst du ihn nicht mehr hergeben.“
Herzlich willkommen im Sexshop!
Was für ein großartiges Pärchen, oder? Für diese Erlebnisse liebe ich meine Kunden. Immer und immer wieder. Völlig nebensächlich, ob die beiden nun tatsächlich auf den Geschmack an diesem sehr speziellen Spielzeug kamen, oder auch nicht. Sie sind einfach ein wundervolles Beispiel für eine offene, tolerante Lebensart. Seine Hand liegt auf ihrem Po, beide gehen liebend und humorvoll mit dem anderen um, sie sind neugierig und interessiert und haben noch Sex miteinander. Besser geht es nicht.
Der überwiegende Teil der vielen Besucher eines Sexshops gehört zu dieser sympathischen Gruppe unaufgeregter Normalos. Menschen wie du und ich, jeder nach seinem Geschmack, mit Vorlieben und Abneigungen, Gos und No-Gos. Aber alle zusammen sind glücklich im 21. Jahrhundert angekommen. Klar besucht man einen Sexshop! Warum auch nicht? Da ist es inzwischen schick und edel, das olle Schmuddel-Image gehört der Vergangenheit an. Außerdem ist doch nichts Schlimmes dabei, da geht heute doch jeder hin, oder?
Nun ja, fast alle. Darin sind sich wiederum alle einig. Eigentlich könnte der unbeschwerte, offene Umgang mit unserer Sexualität total unkompliziert sein. Wenn da nur nicht immer die anderen wären:
„Toller Laden! Nach solch einem haben wir lange gesucht. Dort wo wir herkommen, naja, da ticken die Uhren noch ganz anders. Die meisten wären fassungslos, wenn sie wüssten, womit wir uns hier so eindecken und zuhause dann Spaß haben.“
„Witzig, das sagen eigentlich fast alle. Vielleicht ist es inzwischen so, dass jeder das über den anderen denkt, aber eigentlich die meisten selbst recht locker damit wären.“
„Oh nein. Du kennst unser konservatives Umfeld nicht. Glaub mir, da würden Welten einstürzen. Wir sind Geschäftsleute, führen ein Familienunternehmen in einer Kleinstadt, wir können es uns nicht leisten mit Sex-Themen auch nur ansatzweise in Verbindung gebracht zu werden. Traurig, aber wahr. Dafür genießen wir unsere speziellen Hamburg-Trips umso mehr.“
Nun, offen gesagt: sie kommen fast alle. Die einen, weil sie etwas Konkretes suchen oder sich beraten lassen möchten. Die anderen, weil sie gerade vorbeischlendern, Zeit für etwas Abwechslung haben oder sich inspirieren lassen möchten. Manche lieben das Ambiente und fühlen sich dabei ein wenig verwegen. Und wieder andere halten speziell dieses Haus für ein Hamburger Skurrilitäten-Kabinett oder eine Art abgefahrenes Museum und möchten zuhause etwas zu erzählen haben. Alle zwischen 18 und 90 Jahren. Minderjährige stoppen wir bereits an der Tür oder diskutieren nicht selten mit ihren Eltern, die tatsächlich der Meinung sind, ihre Begleitung würde das Jugendschutzgesetz außer Kraft setzen. Auch das kommt vor.
Unbestritten sei aber auch: Hinter der Tür eines Sexshops begegnet man einer bunten Welt voller Gegensätze. Für die einen bedeutet dieser Besuch tatsächlich immer noch die verwegene Gefahr, sich mit ganz üblen Schmuddel-Viren infizieren zu können. Andere fühlen sich nirgendwo gesünder und lebendiger, als in einem lustvollen No-Limit-Rahmen, der kaum einen Wunsch unerfüllt lässt.
Im breiten Mittelfeld finden sich unterhaltsame, skurrile, sehr witzige, aber auch berührende Geschichten von Menschen, die den Schritt wagen und ihrer persönlichen Lust entgegengehen. Manchmal zwei Schritte vor und einen zurück, manchmal erschrocken vorbei an einer martialisch wirkenden Vollgummimaske. Einige sind im Stechschritt wieder draußen, die meisten bleiben und entdecken orgiastische Glücksbringer, teilweise sogar eine faszinierende, neue Sexualität.
Meine Kollegen und ich begleiten jährlich hunderttausende Besucher auf dem Weg durch ihre Nächte und erfahren intime Dinge, die sie oft nicht mit anderen zu teilen bereit sind, manchmal kaum mit ihrem eigenen Partner. Wir treffen auf Menschen jeden Alters, aus allen Kulturkreisen und Gesellschaftsschichten. Wir bauen Vertrauen auf und Hemmungen ab, nehmen Scham, schenken Verständnis, lassen uns hin und wieder beschimpfen oder erfreuen uns ebenso emotionaler Dankbarkeit.
Manchmal fungieren wir als Dompteure betrunkener Kiezgruppen und, man mag es kaum glauben, oftmals sind wir diejenigen, die auf etwas mehr Niveau bestehen, wenn dem ein oder anderen Kunden die ungewohnte Umgebung allzu sehr als Einladung erscheint, endlich mal die Sau herauszulassen. Es gibt tatsächlich kaum etwas, das wir in unserem beruflichen Alltag noch nicht erlebt hätten. Eine Frage, die uns immer wieder mit verschwörerischem Blick gestellt wird und die wir guten Gewissens mit einem lachenden „JA“ beantworten können.
Schließlich geht es um nicht weniger, als um die schönste Sache der Welt. Dass sie so überhaupt keine Nebensache ist, wird sich im Laufe dieses Buches noch oft zeigen. Sex ist wichtig. Unheimlich wichtig. Er ist ein starker Kitt jeder wirklich guten Partnerschaft und Ehe, die natürlich aus sehr vielen wichtigen Bausteinen besteht. Schade nur, dass exakt diese Bausteine ihren festen Halt verlieren, wenn der Kitt bröckelt oder bereits verloren gegangen ist. Abgenutzt und vom Alltag abgetragen, das alte Spiel der Gewöhnung, die Sollbruchstelle der Liebe, die Lieblosigkeit eben nicht akzeptiert. Das alles klingt auch ein wenig nach einer Sprechstunde beim Psychologen? Ja, ich bekenne mich schuldig. Das wird sich hier nicht ganz vermeiden lassen, weil Erlebnisse im Sexshop ganz viel mit Psychologie zu tun haben.
Liebenswerte Menschen und ihre Geschichten, berührende, schräge, wilde, zauberhafte. Menschen, für die man eine Menge Respekt empfindet und andere, deren Verhalten nur reine Höflichkeit verdient. Menschen auf der Suche, Menschen auf Abwegen. Männer und Frauen mit selbstverständlicher, positiver Sexualität. Und sehr viele, die sie längst vergessen oder noch nie wirklich entdeckt haben. Auch die Sehnsüchtigen, die Heimlichen und Hoffnungsvollen. Meine Kollegen und ich, wir kennen sie alle.
Das