Eine irische Ballade. David Pawn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: David Pawn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847661757
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war. Da gab es Bands mit Namen wie „Schandmaul“, „Die Wilden Weyber“ und „Wolfenmond“. Ich wusste nicht recht, was ich von diesen Leuten halten sollte. Ich hatte diese Zeit mitgemacht und fand, sie glorifizierten sie einfach zu sehr. Mag sein, wer den Dreck, das Elend, den Gestank und den Tod nicht miterlebt hatte, fand Gefallen an der Vorstellung von Freiheit, Wildheit und Naturverbundenheit. Aber Leibeigenschaft war das glatte Gegenteil von Freiheit, und wenn Wildheit bedeutet, dass dir irgendein Junker grundlos den Schädel spalten kann, weil es ihn gerade überkommt, und Naturverbundenheit bedeutet, dass der Kot in Bächen durch die Straßen läuft, kann ich gut auf das Mittelalter verzichten.

      Aber die Menschen trauern gern vergangenen Zeiten nach und glauben, damals wäre alles besser gewesen.

      Im Internet hatte er die angehende Musikjournalistin über ein Forum kennengelernt. Man tauschte die E-Mail-Adressen aus, schrieb sich erst hin und wieder, dann immer öfter und traf sich schließlich in Karlsruhe. Zu meinem Glück hatte es nicht gehalten, sonst wären Daniel und ich uns wahrscheinlich nie begegnet.

      Daniel erzählte mir auch von einem Erlebnis aus seiner Kindheit, das ihn damals sehr mitgenommen hatte. Als er zehn gewesen war, wurde einer seiner besten Freunde von einem Autofahrer angefahren und starb. Der Freund war mit seinem Fahrrad unterwegs zu ihm gewesen, und er hatte sich lange Zeit Vorwürfe gemacht.

      „Verstehst du, was ich meine?“, hatte er mich gefragt. „Dieser Typ im Auto war betrunken gewesen, als der Unfall passierte, aber dennoch habe ich mich schuldig gefühlt, weil Ben zu mir kommen wollte, als es passiert ist. Ich hätte viel dafür gegeben, wenn ich es hätte ungeschehen machen können.“

      Als Daniel das sagte, wurde mir schwer ums Herz. Was würde er nach so einem Erlebnis von einer Banshee halten?

      Im Oktober eröffnete mir Daniel, dass er eine Anstellung in Baden-Baden gefunden hatte, im Hotel „Zum Hirsch“. Es ist ein altes Bürgerhaus, Jugendstil außen und in den Zimmern, mit schmiedeeisernen Balkonen und einem Hirschmosaik direkt vor der Eingangstür im Straßenpflaster. Und als besonderes i-Tüpfelchen gibt es Thermalwasser in den Zimmern. Daniel war stolz wie ein Spanier. Besser konnte es im ‚Brenners‘ auch nicht sein, nur teurer.

      Daniel und ich begannen, ein gemeinsames Leben in einer Wohnung zu zweit zu planen.

      Wie gesagt, hatte ich bis zu dieser Zeit wenig über meine Vergangenheit gesprochen. Daniel musste annehmen, ich wäre eine normale, junge Frau von 23 Jahren, die sich einfach in ihn verliebt hatte. Letzteres, also das einfach verliebt haben, stimmte natürlich, bloß das Alter stimmte nicht. Aber wenn wir eine gemeinsame Zukunft beginnen wollten, musste er alles wissen. Also erzählte ich es ihm eines Abends bei Kerzenschein in einem spanischen Kellerrestaurant. Ich hatte einen öffentlichen Ort für die Offenbarung gewählt, weil ich mir dachte, dort könne er nicht einfach laut schreiend davon laufen.

      Ich begann, nachdem wir unser Dessert verputzt und einmal mehr mit Rotwein angestoßen hatten, mit der ältesten Einleitung der Welt: „Ich muss dir was beichten.“

      Daniel sagte nichts, sondern guckte mich nur neugierig über den Rand des Glases hinweg an.

      „Ich bin nicht die Frau, für die du mich hältst, und ich möchte, dass es keine Geheimnisse mehr zwischen uns gibt, wenn wir wirklich zusammenbleiben wollen.“ Daniels Augen wurden mit jedem Wort größer. Er wusste, dass es keine Eröffnung über eine sexuell ausschweifende Vergangenheit sein konnte, keine Beichte der Art: „Ich war eine Pornodarstellerin.“ Er musste sich also fragen, was ich ansonsten auf dem Kerbholz haben könnte.

      „Ich habe dir erzählt, ich sei dreiundzwanzig, aber das ist nur mein biologisches Alter. Ich wurde in Wirklichkeit am 20. Mai 1394 in Irland geboren und im Alter von siebzehn verflucht. Seitdem alterte ich pro hundert Jahre etwa ein Jahr. Ich war eine Banshee und habe die Todesfälle einer irischen Familie beklagt. Ich glaube, der Fluch ist gebrochen worden, als ich mit dir geschlafen habe.“

      Ich erzählte noch ein bisschen mehr über mein früheres Leben. Einiges davon wissen Sie schon.

      Als ich fertig war mit meiner Beichte, sah ich Daniel direkt in die Augen, konnte aber nicht ergründen, was er gerade dachte. Seine Miene hätte perfekt an einen Pokertisch gepasst. Schließlich schüttelte er den Kopf und fragte: „Das ist ein Witz, oder?“

      „Nein, das ist mein bisheriges Leben gewesen.“

      Einige Augenblicke sah Daniel weiterhin konsterniert drein, dann hellte sich seine Miene auf. „Du meinst, du machst Rollenspiele? Aber das ist doch keine große Sache. Ich habe mich bloß noch nie so intensiv mit diesen Spielen befasst.“

      „Nein, nein, du verstehst nicht. Ich war tatsächlich eine Todesfee, vielleicht bin ich es auch heute noch. Ich habe oft tage- und nächtelang geweint und geheult.“

      „Das ist verrückt. Das glaub‘ ich einfach nicht.“ Daniel griff nach dem Rotwein vor seiner Nase und leerte das Glas in einem Zug. Dann blitzte Verstehen in seinen Zügen auf, doch statt mich freundlich anzublicken, verfinsterte sich sein Ausdruck.

      „Warum tust du das?“, fragte er ziemlich unvermittelt.

      „Was?“

      „Mir so einen Unsinn auftischen? Willst du dich nur über mich lustig machen, weil ich davon träume mit einer Band Mittelaltermusik zu machen? Oder ist das eine neue Art, Schluss zu machen?“

      „Schluss zu machen?“, echote ich. Ich wusste nicht, was ich darauf erwidern sollte. „Nein, ich wollte dir die Wahrheit über mich erzählen, weil wir doch zusammen eine Wohnung suchen wollen. Da wollte ich dir sagen, worauf du dich mit mir einlässt.“

      „Ja, das wüsste ich tatsächlich gern.“ Daniel klang erbost. „Eine Todesfee! Einen größeren Unfug habe ich mein Lebtag noch nicht gehört. Als du gesagt hast, dass du mir etwas beichten müsstest, habe ich bei mir gedacht, dass ich dir alles vergeben kann. Ich habe gedacht, ich liebe dich so sehr, dass es nichts geben könne, was uns trennen würde, aber jetzt …“ Daniel stockte.

      „Ich liebe dich doch auch“, sagte ich leise. Ich hatte Angst.

      „Warum erzählst du mir dann diesen Quatsch. Ich bin ja nur ein dummer Koch – da kannst du mit deinen Pokerfreunden über den leichtgläubigen Idioten lachen. Als Nächstes schickst du mich zum Bahnhof Baden-Oos, Gleis 9 ¾ suchen.“

      Daniel war immer lauter geworden bei den letzten Sätzen. Ich sah eine Frau, die sich zu unserem Tisch umblickte, aber das war mir egal. Ich brach in Tränen aus.

      „Aber … das ist … die Wahrheit“, schluchzte ich. „Ich bin eine irische Banshee. Ich habe nahezu 600 Jahre lang der Familie Carr gedient. Als ich dich kennengelernt habe, ist ein Teil des Fluches von mir genommen worden. Darum konntest du … konnten wir …“ Ich stotterte herum und hob in einer hilflosen Geste die Hände.

      „Nein! Nein, das kann ich nicht glauben. Ich glaube ja nicht einmal an Gott, wie soll ich da irgendwelche alten Legenden für wahr halten. Was tischst du mir als Nächstes auf? Kobolde?“

      Ich verkniff mir die Bemerkung, dass Kobolde durchaus real seien. Es würde einige Zeit dauern, bis ich Daniel über alles berichten konnte, was ich gesehen und erlebt hatte. Vielleicht würde ich ihm auch nie wieder etwas erzählen.

      Er atmete tief durch. „Ich muss nachdenken“, sagte er. „Über dich, über uns. Bitte geh.“

      Wie versteinert blieb ich trotz seiner Worte sitzen. Ich sah ihn nur mit großen Augen an. Das Blut rauschte in meinen Ohren. Ich hörte das Klappern von Tellern und Besteck. Ich war für einen Moment wie aus der Wirklichkeit gefallen.

      „Aber …“ Ich wollte etwas sagen und wusste nicht was. Das war das Ende. Daniel wollte einen Schlussstrich ziehen.

      „Bitte, Síochána, wenn dir etwas an mir liegt, an uns liegt, dann geh jetzt. Ich melde mich bei dir, wenn ich weiß, ob …“ Jetzt wusste auch er nicht mehr weiter. Ich sah Tränen in seine Augen treten. „Wenn ich mir sicher bin, melde ich mich bei dir“, sagte er.

      ‚Rufen Sie uns nicht an. Wir rufen Sie an.‘ Die allgemein