„Immer," lautete die kurze, bündige Antwort.
„Kannst Du Pferde warten?"
„Kann ich?" sagte Jeremias in Selbstvertrauen.
„Und wie viel verlangst Du monatlich?"
„Hm," meinte der Bursche, den brennend rothen Schopf kratzend, der sich jetzt, als er dazu den Hut abnahm, als eine alte, ziemlich abgetragene Perrücke auswies, „je mehr, je besser - was lohnt's denn eigentlich?"
„Sechs Milreis."
„Und sonst noch 'was?"
„Stiefelputzen -"
„Ne, so mein' ich's nicht," sagte Jeremias, „ob noch sonst etwas bei den sechs Milreis wäre, wie Schnaps, Frühstück, Trinkgeld oder dergleichen."
„Wenn Du Dich gut hältst, gewiß," sagte der junge Graf.
Jeremias schob beide Hände, so tief er sie bekommen konnte, in seine Hosentaschen und spitzte den Mund, als ob er ein Liedchen pfeifen wolle. Er pfiff aber nicht, sondern sah nur nachdenklich vor sich nieder. Endlich sagte er nach /57/ einer kleinen Pause, indem er die Hände wieder aus den Taschen nahm und seine Perrücke zurechtschob:
„Na, ich will Ihnen etwas sagen, junger Herr, wir wollen's einmal einen Monat zusammen versuchen, wöchentliche Kündigung natürlich von beiden Theilen, wenn ich Ihnen nicht gefallen sollte oder Sie mir nicht - außerdem gegenseitige Hochachtung und ein Milreis Handgeld - sind Sie das zufrieden?" - und er hielt dabei Oskar die Hand in so drolliger Weise zum Einschlagen hin, daß der junge Bursche, der bei Erwähnung des Milreis Handgeld einen Augenblick gestutzt hatte, lachend einschlug und ausrief:
„Gut, Jeremias, so wollen wir es denn, wie Du sagst, einmal zusammen versuchen - hier ist Dein Milreis, und nun beginne Dein Geschäft gleich damit, daß Du vor das Haus gehst und das dort stehende Pferd meiner Schwester hereinführst und absattelst."
„Donnerwetter, das geht geschwind!" meinte Jeremias, „und eigentlich wäre heute Sonntag. Das arme Thier kann aber auch nicht da draußen stehen bleiben - also, junger Herr, wir sind jetzt für einen Monat mit einander zusammen gegeben, wie der Pfarrer sagt."
Dabei nahm er das Milreisstück, betrachtete es einen Moment aufmerksam, schob es dann in die Tasche, machte eine kurze, nicht ungeschickte Verbeugung und verließ rasch den Garten, um den überkommenen ersten Auftrag auszuführen.
Aber auch der Baron hatte diese kleine, ihm sehr gelegene Unterbrechung benutzt, dem ihm unangenehm werdenden Gespräche mit der Gräfin eine andere Wendung zu geben, und als jetzt auch die Comtesse zurückkehrte, die Vollrath aber nur bis an die Gartenthür begleitete, worauf er sich empfahl, schützte er plötzliches Kopfweh vor und beurlaubte sich ebenfalls mit der gewohnten Förmlichkeit bei den Damen.
Die Gräfin hatte indessen Vollrath ankommen und wieder gehen sehen, und wenn sich ihr Geist auch gerade mit ganz anderen Dingen beschäftigte, war ihr doch das auffallend bleiche und niedergedrückte Aussehen des jungen Mannes nicht entgangen. Sie warf einen forschenden Blick auf ihre /58/ Tochter, aber Helenens Antlitz, wenn ihre Augen auch einen ganz ungewohnten Glanz hatten, verrieth durch nichts einen in ihr aufsteigenden, plötzlichen Verdacht. Nur, als das junge Mädchen den Kopf abwandte - vielleicht um ihr Antlitz dem mißtrauischen Auge der Mutter zu entziehen - und sich dem Hause zuwandte, sagte die Dame leise:
„Helene!"
„Mutter?" fragte die Tochter und wandte sich halb nach ihr um.
„Was ist denn mit Vollrath vorgegangen? Er hatte, als er Dich verließ, keinen Blutstropfen in seinem Gesichte."
„Wirklich nicht? Ich habe es nicht beachtet."
„Und Du bist auch so sonderbar."
„Ich, Mutter?"
„Ja - Du - Helene, ich will nicht hoffen, daß Du..."
„Was, Mutter?" sagte Helene, und ihr Auge haftete kalt und ernst auf den strengen Zügen derselben.
„Es ist gut, mein Kind," sagte die Gräfin, die sie einen Moment aufmerksam betrachtet hatte. „Ich glaube, ich kann mich fest auf Dich verlassen und Du bedarfst keiner Wächterin."
„Ich denke nicht, Mutter," sagte Helene, indem ein leichtes zorniges Roth ihre Wangen färbte. Dann wandte sie den Kopf wieder ab und schritt, ohne der Mutter Gelegenheit zu weiteren Fragen zu geben, rasch in das Haus und hinauf in ihr Zimmer, wo sie sich einschloß und an dem Abend nicht mehr zum Vorschein kam.
4.
Die „Meierei".
Dicht über der Colonie Santa Clara, wenn man in gerader Richtung eben hätte hinauf kommen können, aber /59/ durch einen ziemlich steilen Hang, an dem nicht einmal ein Fußsteig emporführte, davon getrennt, lag die Wohnung des Colonisten Meier, den der Director gegen Könnern den Einsiedler genannt hatte. Allerdings lief ein Fahrweg bis dicht an seine kleine, wenig bebaute Chagra, aber er wurde nicht häufig benutzt, da er nur zu sehr entfernten Ansiedelungen führte, und die Bewohner der „Meierei" - wie man den Platz scherzweise genannt hatte - kamen nie selber in die Colonie herab. Insbesondere der Eigenthümer, der alte Herr Meier, hielt sich so von der Welt abgeschlossen, daß es eine Menge älterer Ansiedler in Santa Clara gab, die sich gar nicht erinnerten, sein Gesicht je gesehen zu haben.
Auffallend war dabei, daß er nie Briefe empfing oder schrieb, und doch mußte er sich, seinem ganzen Wesen, allen seinen Gewohnheiten nach, daheim in der besten Gesellschaft bewegt haben. Wie er aber sein kleines Haus dicht hinter den Schutz der Bäume gebaut hatte, daß es lauschig und versteckt dort lag, weder gestört, noch selbst beachtet von der Außenwelt, so hielt er sich selber und seine Familie dem regen Leben und Treiben fern, das unter ihm wogte - es nicht suchend und nicht von ihm gesucht.
Er lebte dabei ganz seiner Familie, mit der er sich einzig und allein beschäftigte und in der er vollkommenen Ersatz für die übrige Welt zu finden schien. Im ersten Jahre freilich fehlte dem an Thätigkeit gewohnten Manne eine bestimmte und ausgesprochene Beschäftigung, und er genügte dem Drange nach Arbeit nur dadurch, daß er seinen eigenen Garten anlegte, umgrub und pflanzte. Das aber konnte ihn auf die Länge der Zeit nicht befriedigen, und da er manche Tischlerarbeiten in seinem Hause zu machen hatte und einen jungen, sehr geschickten Arbeiter dazu fand, schaffte er sich selber Werkzeug an und lernte bald die verschiedenen Griffe und Vortheile dieses Handwerks. Dann kaufte er sich eine Drehbank, und nahm sich auch hierfür auf kurze Zeit einen Lehrer an. Außerdem verstand er schon daheim ein wenig von der Malerei, was er jetzt in seinen Mußestunden noch weiter ausbildete. Eine recht hübsche Bibliothek hatte er sich /60/ ebenfalls angeschafft, und da er bei allen diesen Beschäftigungen viel praktischen Verstand besaß, so richtete er sich in wenigen Jahren seine kleine Heimath so allerliebst und traulich her, daß jedes Zimmer einem Puppenstübchen glich, ohne daß er dabei aber auch nur den geringsten Luxus getrieben hätte.
Nach außen vermied er jedoch Alles, was nur im Geringsten die Aufmerksamkeit eines Fremden hätte auf sich ziehen können; er wollte nun einmal mit der Welt keinen Verkehr haben, und was ihn auch dazu bewogen haben konnte, auf die geschickteste Weise wich er jeder Annäherung fremder Menschen aus.
Seine Familie bestand, wie schon erwähnt, nur aus seiner Frau und einer erwachsenen Tochter. Diese, Elise, hatte erst dreizehn Sommer gezählt, als er, vor nun sieben Jahren, die damals kaum entstandene und noch ziemlich wilde Colonie erreichte, und wenn auch ein junges Mädchen in diesem Alter wohl berechtigt ist, größere Ansprüche an das Leben zu stellen, während sie hier - obgleich von allen Bequemlichkeiten umgeben - wie auf einer wüsten Insel saß, so schien doch Elise das nie zu fühlen oder irgend einen andern Wunsch zu kennen als den, die Häuslichkeit ihrer Eltern eben zu theilen, wie sie war. Auch auf ihren Charakter hatte das stille, abgeschlossene Leben nicht den geringsten nachtheiligen Einfluß ausgeübt. Sie war immer heiter und guter Laune und eigentlich das einzige sonnige Element im Hause.
Wenn auch ihre Eltern selbst glücklich mit einander lebten und nie ein hartes oder auch nur unfreundliches Wort zwischen ihnen