Am Ende des zweiten Jahres seiner selbstgewählten Verbannung ereignete sich ein Zwischenfall, der nicht ohne Einfluss auf sein späteres Leben bleiben sollte.
Wenn auch der Kaw-djer sich standhaft weigerte, die chilenische Niederlassung auf patagonischem Boden zu betreten, so hinderte dies die Patagonier keineswegs, in das Gebiet des Magalhães-Archipels gewaltsam einzudringen. In wenigen Stunden konnten sie mit ihren Pferden am Südufer der Magalhães-Straße anlangen, von wo aus sie ausgedehnte Streifzüge (man gibt ihnen in Amerika die Bezeichnung „raids“) von einem Ende der Feuerlandsinsel zum anderen unternahmen, dabei die Eingebornen angriffen, Lösegeld von ihnen erpressten und deren Kinder als Sklaven in ihre patagonische Heimat führten.
Zwischen den Patagoniern oder Tehuel-Che-Indianern und den Feuerländern bestehen ziemlich ausgesprochene ethnographische Verschiedenheiten, bezüglich der Rasse und der Sitten; die ersteren sind viel mehr zu fürchten als die letzteren. Diese leben hauptsächlich vom Fischfang und vereinigen sich in Familien, während jene vor allem Jäger sind und vielköpfige Stämme unter Anführung von Häuptlingen bilden. Außerdem sind die Feuerländer von kleinerer Gestalt als ihre das Festland bewohnenden Nachbarn. Ihre charakteristischen Kennzeichen sind der große, viereckige Kopf mit stark vorspringenden Backenknochen im Antlitz, dünnbesäten Augenbrauen und niedriger Stirne. Im Allgemeinen hält man sie für tiefstehende Geschöpfe, deren Rasse aber noch lange nicht erlöschen wird, da sie sich einer zahlreichen Nachkommenschaft erfreuen, fast so zahlreich, könnte man sagen, wie die der Hunde, die den Lagerplatz umstreifen.
Die Patagonier machen einen ganz anderen Eindruck; es sind große Leute, kräftig gebaut und gut proportioniert. Sie sind bartlos und lassen ihre langen, schwarzen Haare offen über den Rücken herabwallen; auf der Stirne sind dieselben durch ein Band zusammengehalten. Ihr olivenbraunes Gesicht ist in der Gegend der Kiefer breiter als an den Schläfen, die Augen zeigen den Typus der mongolischen Rasse und beiderseits der breiten Stulpnase blitzen tiefliegende, kleine Augen. Sie sind kühne und unermüdliche Reiter, die auf ihren ausdauernden Tieren die weiten Ebenen durchschweifen; unermesslich groß ist ihr Jagdgebiet, wo sie das Guanako, Vikuna und den Nandu verfolgen; ihre Pferde finden auf den ausgedehnten Weideflächen Nahrung im Überfluss.
Mehr als einmal schon hatte sie der Kaw-djer auf ihren Plünderungszügen durch das Feuerland begegnet, aber er war nie in nähere Berührung mit den wilden Räubern gekommen, welche Chile und Argentinien nicht im Zaume zu halten vermögen.
Es war im November 1872, als der Wandertrieb den Kaw-djer bis an die Westküste Feuerlands geführt hatte, wo er an der Magalhães-Straße zum ersten Male Gelegenheit hatte, im Interesse der die Useleß-Bai bewohnenden Yacanas mit den Eindringlingen in nähere Berührung zu kommen.
Diese Bucht ist im Norden von Sümpfen begrenzt und bildet einen tiefen Einschnitt in der Westküste Feuerlands, ungefähr gegenüber der Stelle, wo Sarmiento seine Kolonie Port-Famine traurigen Gedenkens errichtet hat.
Ein Trupp Patagonier war an der Südküste der Bai gelandet und hatte einen Lagerplatz der Feuerlands-Insulaner angegriffen, der ungefähr zwanzig Familien Obdach bot. Die Angreifer waren im Vorteil, denn sie waren den Yacanas an Zahl überlegen, stärker und besser bewaffnet.
Trotzdem versuchten diese, dem Feinde Widerstand zu leisten; ihr Anführer war ein Canoe-Indianer, welcher auf seiner Piroge zum Lager gekommen war.
Dieser Mann war Karroly. Er versah den Dienst eines Lotsen und führte die Küstenfahrzeuge, die sich in den Beagle-Kanal und in die Meeresstraßen der Inselgruppe des Kap Hoorn wagten. Soeben hatte er ein Schiff nach Punta-Arenas gebracht und war bei der Rückfahrt in der Useless-Bai ans Land gestiegen.
Karroly tat sein Möglichstes, energischen Widerstand zu leisten und die Räuber zurückzuschlagen, aber die Kräfteverteilung war eine zu ungleiche, die Feuerländer in ihrer absoluten Minderheit waren bald überwunden, das Lager wurde erobert, die Zelte niedergerissen, es floss Blut, und was nicht getötet worden war, suchte sein Heil in rascher Flucht.
Während des Kampfes war Halg, der damals neunjährige Sohn Karrolys, in der Piroge geblieben und wartete auf die Rückkehr seines Vaters. Plötzlich sah er zwei beutegierige Patagonier auf sich zu stürzen.
Es wäre dem Knaben ein Leichtes gewesen, sich mit wenigen Ruderschlägen zu entfernen und in Sicherheit zu bringen, aber dieses Vorgehen würde seinem Vater jede Möglichkeit einer Rettung durch die Flucht vereitelt haben.
Schon sprang der eine der Räuber in die Barke und packte das Kind beim Arme, um es mit sich fortzuschleppen. Gerade im rechten Augenblick erschien Karroly, der aus dem unrettbar in den Händen der Feinde befindlichen Lager entflohen war, um seinem Sohne Hilfe zu bringen. Ein Pfeil, von dem zweiten Patagonier abgeschnellt, schwirrte an seinem Ohre vorbei, ohne ihn zu berühren.
Ehe noch dieser Versuch, diesmal vielleicht mit glücklicherem Erfolge, hätte wiederholt werden können, ertönte der scharfe Knall einer Feuerwaffe. Der Räuber fiel tödlich getroffen zur Erde, während sein Gefährte die Flucht ergriff.
Der Schuss war von einem Manne der weißen Rasse abgegeben worden, den der Zufall auf den Kampfplatz geführt hatte. Es war der Kaw-djer. Es war keine Zeit zu verlieren. Die Piroge wurde eiligst angeholt, der Kaw-djer, Karroly und der Knabe sprangen hinein und segelten davon. Als sie ungefähr eine Kabellänge von der Küste entfernt waren, sandten die Tehuel-Che-Indianer dem fliehenden Fahrzeug eine Wolke von Pfeilen nach, deren einer Halg an der Schulter verwundete.
Die Wunde war nicht ungefährlich und der Kaw-djer wollte seine Gefährten nicht verlassen, so lange seine Hilfe nötig und der Knabe nicht außer Gefahr war. So blieb er denn bei ihnen in der Piroge, die das Feuerland umschiffte, in den Beagle-Kanal einfuhr und schließlich in einer kleinen, wohlgeschützten Bucht der Neuen Insel landete, in deren Nähe Karrolys Felsenhöhle lag. Jetzt war für das Leben des Kindes nichts mehr zu fürchten, die Wunde war in schönster Heilung begriffen und Karroly wusste nicht, wie er seinen überströmenden Dankbarkeitsgefühlen Ausdruck geben sollte. Als die Piroge wohlverankert in der Bucht lag, sprang Karroly ans Land und bat den Kaw-djer, ihm zu folgen.
„Hier ist mein Haus“, sagte er, „hier lebe ich mit meinem Sohne. Wenn du nur einige Tage rasten willst, bist du mir willkommen und mein Boot wird dich dann wieder an das andere Ufer des Kanales bringen. Willst du aber immer hier bleiben, so sieh mein Haus als das deinige an und ich will dein Diener sein.“ –
Von diesem Tage an hatte der Kaw-djer die Neue Insel, Karroly und dessen Kind nicht mehr verlassen. Dank seiner Bemühungen wurde die Behausung des Canoe-Indianers bald wohnlicher, bequemer und Karroly war instand gesetzt, seinen Lotsendiensten unter günstigeren Bedingungen nachzugehen. Die gebrechliche Piroge hatte einer wohlkonstruierten Schaluppe, der „WEL-KIEJ“, Platz gemacht; es war dieselbe, in welcher der durch den Jaguar verwundete Indianer transportiert worden war. Man hatte sie nach der Strandung eines norwegischen Schiffes käuflich erworben.
Aber diese neue Existenz hielt den Kaw-djer nicht ab, sein menschenfreundliches Werk fortzuführen. Seine Besuche bei den Familien der Indianer erlitten keine Unterbrechung, und er war stets dort zu finden, wo es galt, einen Dienst zu erweisen, Hilfe zu leisten oder Schmerzen zu stillen.
Mehrere Jahre waren auf diese Art verstrichen und man hätte meinen können, dass der Kaw-djer gewillt war, bis zu seinem Tode das ungebundene