Die ökonomischen Theorien
Malthus‘ Bestreben, die theoretische Analyse so zu gestalten, dass sie imstande ist möglichst wirklichkeitsnahe Erkenntnisse zu erbringen, ist auch bei der Auseinandersetzung mit ihren einzelnen Problemen erkennbar. In der Wert- und Preislehre lehnt Malthus die Ansicht Ricardos ab, dass die aufgewendete Arbeit den relativen Wert der Güter bestimme, und räumt den Produktionskosten bei der Preisbildung daher nur eine beschränkte Wirkung ein. Ricardos Wertlehre lasse so viele Ausnahmen zu, dass das Wertgesetz praktisch keine Gültigkeit habe. Diese Argumentation hat sich aber nie durchgesetzt.
Eben so wenig überzeugend war Malthus‘ Polemik gegen Ricardos Produktionskostentheorie. Diese bestimmen, so Malthus, nicht die Veränderung des Tauschwertes, sondern allein das Gesetz von Angebot und Nachfrage. Dies gelte sowohl für den natürlichen Preis, als auch für den Marktpreis.
In der Verteilungslehre kommt Malthus ebenfalls infolge seines Bemühens, die Vorgänge des Wirtschaftslebens aus einer realistischen Sicht zu erfassen, zu Ergebnissen, die häufig von Ricardo abweichen. Ricardo selber hat die Lehren von Malthus auf das entschiedenste bekämpft.
Malthus ist aber der breiten Öffentlichkeit durch seine Bevölkerungslehre in bleibender Erinnerung geblieben. Und hier liegt vielleicht sein größter Verdienst. Im Gegensatz zu den Auffassungen des englischen Sozialphilosophen William Godwin (1756 – 1836) glaubt Malthus nicht, dass die Bevölkerung unbegrenzt wachsen könne. Die Möglichkeiten auf der Erde haben natürliche Grenzen, so dass auch die Möglichkeit der Bevölkerungszunahme begrenzt ist. Dieser Gedanke ist heute allgemein anerkannt.
Die Vollendung des klassischen Systems durch Mill
Die dritte Phase in der Entwicklung der klassischen Lehre ist durch das Werk von John Stuart Mill (1806 – 1873) gekennzeichnet, der die theoretischen Ansichten seiner Vorgänger in systematischer Weise zusammenfasste. Die Ausgestaltung des gesamten Systms erreichte er vor allem durch eine grundlegende Klarstellung der Prinzipien und der Methode der Lehre. Seine methodologischen Einsichten sind deshalb bemerkenswert, weil sie den Versuch darstellen, in umfassender Weise Wesen und Ziel der theoretischen Forschung in der Wirtschaftswissenschaft zu bestimmen.
Die ökonomischen Theorien
Besonders deutlich zeigt sich Mills methodologische Vorgehensweise in der Ausgestaltung der ökonomischen Lehre.
In der Preislehre unterscheidet Mill nach der Beschränkung des Angebots drei Kategorien von Gütern: 1. Güter, bei denen es physisch unmöglich ist, die Quantität über eine bestimmte Grenze hinaus zu vermehren, 2. Güter, die man in beliebiger Menge produzieren kann und 3. Güter, die zwar in beliebiger Menge vermehrbar sind, deren Hervorbringung jedoch über eine bestimmte Quantität hinaus Kosten verursacht. Die ersteren, die Seltenheitsgüter, sind durch Angebot und Nachfrage bestimmt. Das gleiche trifft bei allen Waren zu, sobald das Angebot sich einer stetigen Nachfrage nicht anpassen kann. Bei den Gütern, die mit gleichbleibendem Aufwand in beliebiger Menge erzeugt werden können, entspricht der Preis dem „notwendigen Preis“, der wiederum den Produktionskosten einschließlich dem Kapitalzins gleich ist.
Auch in der Verteilungslehre führt Mill verschiedene Modifikationen an. Hinsichtlich der Bestimmungsgründe des Lohnes hat Mill die von seinem Vater entwickelte Lohnfondtheorie übernommen, wobei Mill alle Versuche, die soziale Lage der Arbeiter zu verbessern, pessimistisch beurteilt.
Nicht einheitlich sind seine Anschauungen über den Kapitalzins. Mill spricht einerseits dem Kapital als Produktionsfaktor eine besondere Produktivität zu, er ist aber auch der Ansicht, dass der Zins als Vergütung für die Enthaltsamkeit des Kapitalisten, der darauf verzichtet hat, das Kapital für seine eigene Person zu vermehren gezahlt werden müsse.
Schließlich tritt in Mills Darstellung auch die Meinung auf, dass der Arbeiter mehr produziert, als er zu seinem Lebensunterhalt benötigt, und dass der auf diese Weise sich ergebende Überschuss dem Kapitalisten als Mehrwert zufalle. Diese Auffassung berührt sich bereits auf das Engste mit der sozialistischen Ausbeutungstheorie.
Der Sozialismus
Es gab eine ganze Reihe von Sozialreformern, die im Gegensatz zu den bestehenden Verhältnissen standen. Ausschlaggebend war die Erfahrung der allgemeinen Proletarisierung und Verelendung weiter Teile der Bevölkerung während der zunehmenden Industrialisierung. Diese Sozialreformer wollten den natürlichen Zustand der Ordnung der Gesellschaft wieder herstellen und die Lage der Arbeiter verbessern. Dies war das Ziel aller sozialistischen Lehren.
Die älteste Richtung war der utopische Sozialismus. Diese Richtung wollte ihre Ziele mittels der Vernunft entwickeln und unmittelbar umsetzen. Ihre bedeutendsten Vertreter waren Sismondis (1773 – 1842), Saint-Simon (1760 – 1825), Fourier, Owen und Blanc mit ihren Genossenschaftsmodellen und der Mehrwertlehre, die später von Karl Marx übernommen werden sollte, und schließlich Proudhon (1809 – 1865) mit seiner anarchistischen Lehre.
Die realistische Strömung vertrat demgegenüber die Auffassung, dass der Zusammenbruch der bestehenden Gesellschaftsordnung und ihre Ablösung durch eine sozialistische Gesellschaft ein notwendiges Ereignis der sozialen und wirtschaftlichen Entwicklung sein würde und dass die Determiniertheit dieses Entwicklungsprozesses sich auf wissenschaftlichem Wege erweisen lasse. Dieser wissenschaftliche oder entwicklungsgeschichtliche Sozialismus war vorwiegend deutsches Gedankengut, ihre herausragenden Vertreter waren Johann Karl Robertus (1805 – 1875), Ferdinand Lassalle (1825 – 1864) und nicht zuletzt Karl Marx (1818 – 1883). Lassalle, der auch gute philosophische Gedanken hatte, formulierte das „eherne“ Lohngesetz, nach dem in der kapitalistischen Wirtschaft der Durchschnittslohn niemals über den für die eigene Reproduktion notwendigen Lebensunterhalt ansteigen könne und damit das Existenzminimum niemals überschritten werden könne. Auf Karl Marx wollen wir nun noch etwas ausführlicher eingehen.
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