Victoria. Helmut H. Schulz. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Helmut H. Schulz
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Документальная литература
Год издания: 0
isbn: 9783847668763
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Princess Victoria beschenkte die Deutschen reichlich mit Mischlingen zweierlei Geschlechtes aus deutschem Fürstenstamm und englischer Königsfamilie, und sie brachte eine erbliches Leiden in diese Linien hinein, die Bluterkrankheit. Mit ihrer Mutter blieb sie lebenslang innig verbunden, obschon diese Vertrautheit nicht immer gleich groß gewesen ist, und erst mit der Entfernung von Osborne, Windsor, Balmoral und dem weitläufigen Buckingham Palast wuchs. Mit einer anderen, ihre Schwiegermutter Augusta, verstand sie sich dagegen immer gut, als Schwester im Geiste; letztere nahm die zweite Stelle in der weiblichen Rangfolge ihrer weiblichen Vorlieben ein, möchte man nach einem Blick auf die verwandtschaftlichen Liebeslieder und Hassgesänge denken. Mit Queen Mother wechselte Victoria weit über viertausend Briefe, meist banalen, gelegentlich politischen Inhalts; oft beides. Gemeinschaftlich mit ihrer Schwiegermutter verabscheute sie Bismarck, hätte ihn gern gestürzt, womöglich teeren und federn lassen, und wie Augusta hungerte sie nach realer Macht, im Hause und im Staate. Bis in die letzten Stunden ihres sterbenden Gatten hinein blieb sie in jedem Zoll: Kaiserin Friedrich Wilhelm, Royal Princess Victoria. Und sie fühlte sich um den Glanz betrogen; ihr Zustand: 99-Tage-Kaiserin, ist etwas mager, angesichts einer so langen Wartezeit. Als das Ziel erreicht war, dauerte es nur etwas mehr als drei Monate, genauso lange wie Friedrich als deutscher Kaiser auf dem Thron mehr dahinsiechte als regierte.

      Victoria Royal Princess ist jedenfalls eine bemerkenswerte Person, wie bald erfährt, wer sich mit ihrem Dasein beschäftigt, und wer die besondere Lage einer englischen Prinzessin im werdenden Deutschland Bismarcks bedenkt. 1871, nach dem siegreichen Krieg gegen Frankreich, hat sie sich selbst begeistert als Preußin bezeichnet, ohne es ganz zu sein. Tiefer gehende Begeisterung mag ihrem Temperament nicht ganz fremd gewesen sein, andererseits aber wollte ihre kühlere Veranlagung etwas mehr haben, als den bloßen Aufruhr der Gefühle. Auch ihr Vater konnte kein ganzer Engländer, sondern nur der Gemahl seiner Frau, der Königin von England, werden und es bleiben. Whigs wie Tories wachten mit Argusaugen darüber, dass dem Prinzgemahl Albert nicht unter der Hand Macht zugeschoben wurde, die ihm verfassungsmäßig nicht zustand. Er starb früh, hinterließ eine noch junge Witwe und eine helle Schar von Kindern, aber im Falle seiner Tochter passte anscheinend die Hälfte des englischen Temperamentes mit dem träumerischen deutschen Phlegma ganz nett zusammen; jedenfalls haben sich beide englischen Frauen nie über ihre deutschen Männer beklagt. Albert und Friedrich III., hierin verglichen und nebeneinander gestellt, mögen ihre charakterstarken Frauen bewundert haben. Dazu hatten sie auch allen Grund. Die Queen Victoria sucht an Unerschrockenheit ihresgleichen; die zahlreichen auf sie abgefeuerten Pistolenkugeln pflegte sie mit Gleichmut hinzunehmen, und sich durch kein Attentat aus der Ruhe bringen oder von ihrem Tagewerk abbringen zu lassen. Ihre Tochter wird ihr ähnlich gewesen sein, obschon von einem Attentat auf sie keine Nachricht auf uns gekommen ist. Die Gatten der englischen Damen waren beide körperlich stattlich und wohlgebaut. Nicht als ob man dergleichen nicht auch in England hätte finden können, von den dynastischen Fragen einmal abgesehen. Da wir im Folgenden die Familie unserer englischen Prinzessin aus königlichem Blut näher beleuchten wollen, bekommen wir es immer wieder mit zwei Gattungen Politiker zu tun, den Whigs und den Tories, und wollen zu Anfang klären, dass sich diejenigen, die man heute gelegentlich, als der einen oder der anderen Partei zugerechnet in der Presse serviert bekommt, von den Ursprüngen dieser Parteien weit entfernt sind. Unter einem Tory verstand man in der englischen Parlamentsaristokratie ursprünglich einen Anhänger des royalistischen Legitimismus, also einen Katholiken oder einen dem Katholizismus nicht allzu fern stehenden Mann. Heute sind Tories demzufolge Konservative, Royalisten im Rahmen der Verfassungsrealität, und dürfen auch noch Katholiken sein, was sie damals eher abgestempelt hätte. Das Wort Tory selber soll irischer Abkunft sein; schließlich wurden die Tories infolge der Thronbesteigung eines Hannoveraners aus dem öffentlichen Leben in England, das heißt, aus der Politik, verdrängt und machten den Whigs Platz; seit 1774 waren dann wieder die Tories Platzhalter, die breite Schicht des Landadels, die country gentlemen. Irgendwie entwickelte sich aus dem losen Verein dieser country gentlemen über etliche Stationen Geschichte komplizierterer Art die moderne Konservative Partei des Inselreiches. Deshalb darf sich ein Premier solcher Abstammung, wenn er ins Amt kommt, auch als ein Tory bezeichnen, wenn er es will oder als Whig, wenn ihm das besser passt.

      Als ein ordentlicher Whig galt in der Revolutionszeit Englands nur ein strenger Presbyterianer, der das Widerstandsrecht gegen königliche Willkür vertrat. Solche Herrschaften machten 1688 und 1689 die Glorreiche Revolution. Zugleich war ein Whig unter Umständen noch bigotter als ein Katholik, Papist genannt, und wirtschaftete mit Feuer und Folter nicht weniger als die päpstliche Inquisition. Whigs waren immerhin die führende Partei unter den Hannoveranern, verloren jedoch an Einfluss gegen die Tories. Diese hatten noch Gelegenheit zu einer Parlamentsreform, indessen sich die Whigs zur Liberalen Partei mauserten. Die englische Parlaments- und Revolutionsgeschichte steht auf diesen beiden ehernen Säulen, Tory und Whig.

      Wer in solchen Kategorien im alten England zu denken beginnt, wem der Kampf des Parlamentes mit der Krone und umgekehrt sozusagen als ein historisches Vermächtnis in die Wiege gelegt wird, der muss einige Schwierigkeiten bekommen, wenn er in einem politisch gemäßigteren Klima in einem wirtschaftlich rückständigen Landstrich auf einen ständischen Provinzial-Landtag oder auf ein preußisches Herrenhaus trifft. Dies geschah sowohl der Königin Augusta wie ihrer Schwiegertochter Vicky. Aber beginnen wir mit dem Lebensanfang nicht der Tories und Whigs, sondern der Victoria, der Kaiserin Friedrich.

       osborne house

      Die Ärzte hatten sich geirrt, als sie den Termin der Geburt Victorias auf den Tag festlegten. Das Kind erschien ein wenig zu früh und das kam so: Eines Nachts vor der fristgemäßen Geburt fühlte sich die Queen Victoria unwohl, und der Gatte Albert zog in Anbetracht aller Umstände den Schluss, die Geburt könne auch unvorschriftsmäßig früher beginnen, wie dergleichen schon vorgekommen. Er rief allerlei Personal, Hebammen, Ärzte und Gynäkologen zusammen, mit deren Hilfe denn auch ein Kind weiblichen Geschlechts unter die Menschen, das heißt, unter die Monarchen, geholt wurde. Die Royal Princess Victoria kam 1840 zur Welt, am 21. November, 02:00 p.m. (14 Uhr) und auf die bedauernde Einlassung einer Hofschranze: O, Madam, es ist eine Prinzessin, antwortete die Königin und junge Mutter: Macht nichts, das nächste Mal wird es ein Prinz.

      Queen Victoria ist 1819 geboren, sie war also bei der Geburt ihres ersten Kindes 21 Jahre alt, und es ist ein sonderbarer Zufall, dass Mutter und Tochter im gleichen Jahr sterben sollten, 1901, nur dass die Mutter erheblich mehr an Jahren erreicht hat, als ihre Tochter. Ganz verständlich ist der Aufschrei der Hofschranzen indessen nicht, und die Antwort der jungen Mutter ohne politischen Hintergrund, denn die englische Verfassung schloss weibliche Personen von der Thronfolge nicht prinzipiell aus, und dass es sich bei der jungen Frühgeburt um eine echte Prinzessin handelte, die unter Umständen zur Kronprätendentin avancieren konnte, falls sich kein anderer Erbe dazwischenschieben würde, daran war nach Lage der Dinge keinerlei Zweifel. Ferner wird man der Bemerkung Victorias, bei der nächsten Schwangerschaft erfolgreicher zu sein, nicht vollständig trauen dürfen. Als nämlich der belgische König, ihr leiblicher Onkel Leopold, von dem noch die Rede sein wird, getreu altüberkommener Vorstellungen von Mutterschaft etliches Gefühlvolles bei Gelegenheit der Geburt Vickys an seine Nichte schrieb, fertigte ihn die Queen Victoria überlegen ab: Männer denken nie oder selten daran, was für ein hartes Los es für eine Frau bedeutet, dergleichen sehr oft durchzumachen. Aber Gottes Wille geschehe, und wenn Er befindet, dass wir eine große Zahl von Kindern haben sollen, dann müssen wir eben versuchen, sie als nützliche und vorbildliche Mitglieder der Gesellschaft aufzuziehen. Das war brav gedacht und ein bisschen räsonable und fatalistisch.

      Vor der Hand aber nutzte die jugendliche Mutter die neue Lage politisch aus. Stockmar, einer ihrer ältesten Vertrauten, der auch den Prinzgemahl, so sein offizieller Titel in England, beriet, musste Lord Melbourne, auch ein Vertrauter und sogar Premier, darum bitten, zu veranlassen, dass Albert künftig in die Bittgebete der englischen Staatskirche eingeschlossen werde. Bei den Gottesdiensten wurde regelmäßig für das persönliche Glück der Monarchin gebetet, nicht nur in England, sondern überall, wo es Kaiser und Könige gab, ausgenommen Frankreich. Dort lag es nach der Trennung von Staat und Kirche im Ermessen des Priesters, etwa einen Bürgerkönig unter den Sonderschutz Gottes zu stellen. Das ist insofern logisch, als jener nicht durch Gottes Gnade als König amtierte, sondern