Gefühlslooping. Heidi Dahlsen. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Heidi Dahlsen
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Сделай Сам
Год издания: 0
isbn: 9783742743770
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Andrea, die es umgehauen hat, als sie erfuhr, dass sie adoptiert wurde. Weil sie unbedingt ihre leiblichen Eltern finden will, hat sie Ärger mit ihren Adoptiveltern. Sie ist ganz schön durcheinander und bleibt lieber für sich allein. Die Frau mit der roten Mähne heißt Sonja. Sie leidet darunter, überhaupt keine Kinder bekommen zu können, denn ihr Mann sträubt sich auch gegen eine Adoption. Und ich bin total überfordert mit der Betreuung mehrerer Kinder. So quält sich eben jeder mit dem was er hat oder vermisst. Das Schicksal scheint es niemandem recht machen zu können.“

      2.

      Nach dem Mittagessen, legt sich Lydia auf ihr Bett.

      „Das Mittagsschläfchen werde ich vermissen“, sagt Elfi.

      „Wirst du bald entlassen?“, fragt Lydia.

      „Leider“, antwortet Elfi. „Dann ist es mit meiner Ruhe wieder vorbei.“

      „Bist du nicht froh, endlich nach Hause zu können?“

      „Einerseits schon, aber … lassen wir das jetzt. Versuche einfach, etwas zu schlafen. Das tut wirklich gut.“

      Elfi nimmt sich ein Buch und liest. Lydia starrt an die Decke. Die Informationen, die sie über die anderen Patienten erhalten hat, haben ihre Neugier geweckt. Trotzdem ist ihr unbehaglich zumute, und sie sehnt sich in ihre Wohnung und zu ihren Freunden zurück. Wehmütig denkt sie an ihre Freundin Christine und nimmt sich vor, sie am Abend anzurufen.

      Als ein leiser Signalton ertönt, steht Elfi auf und macht sich für die Entspannungstherapie fertig. Entschuldigend sieht sie Lydia an. „Ohne mein Handy wäre ich aufgeschmissen und würde alle Termine verpassen.“

      Sie winkt Lydia kurz zu und verlässt das Zimmer. Lydia fühlt sich allein etwas unbehaglich und ist zufrieden darüber, nicht auf einem Einzelzimmer bestanden zu haben. Sie ist jetzt überzeugt davon, dass Elfis Anwesenheit ihr die Eingewöhnung etwas erleichtern wird. Bevor sie weiter ins Grübeln verfallen kann, klopft es. Lydia erfasst Panik. Ihr Herz beginnt zu hämmern.

      „Ja, bitte“, sagt sie, worauf Frau Doktor Lachmann-Friedrich das Zimmer betritt.

      „Frau Bach, ich würde Sie gern kurz sprechen“, sagt die Ärztin.

      Voller Unruhe und bemüht, sich diese nicht anmerken zu lassen, setzt Lydia sich an den Tisch.

      Die Ärztin nimmt neben ihr Platz und gibt ihr eine Einführung in den Klinikablauf, erklärt die verschiedenen Therapieangebote, an denen sie teilnehmen kann, und händigt ihr die Hausordnung aus. Zum Abschluss erklärt sie Lydia, wann das erste Gespräch und in welchen Abständen die weiteren stattfinden sollten. Sie verabreden sich für den Nachmittag des nächsten Tages.

      Als Lydia bewusst wird, dass mit diesem Termin ihre Behandlung beginnen wird, durchströmen Hitzewellen ihren Körper. Sie kann sich nicht vorstellen, über ihre Probleme mit einer fremden Person zu sprechen, und überlegt krampfhaft, wie viel sie überhaupt preisgeben möchte. Schon wieder zweifelt sie an der Richtigkeit ihres Entschlusses. Einerseits sagt sie sich, dass das schreckliche Erlebnis doch schon so lange her ist und eigentlich bald in Vergessenheit geraten müsste. Ein vernünftigerer Gedanke signalisiert ihr jedoch, dass das garantiert nicht der Fall sein wird, denn dann hätte sich ja schon längst alles in Wohlgefallen aufgelöst, anstatt immer wieder durch ihr Hirn zu spuken.

      Als Elfi zurückkommt, mustert sie Lydia und stellt fest: „Du guckst, als würdest du die Vollstreckung deines Todesurteils erwarten.“

      „So fühle ich mich auch.“

      „Quatsch. Niemand wird über dich ein Urteil fällen. In LF habe ich das erste Mal jemanden gefunden, der mir in Ruhe zugehört und mir Ratschläge gegeben hat, mit denen ich etwas anfangen konnte. Nun sehe ich etwas gelassener in die Zukunft.“

      „Irgendwo in meinem Innersten ist mir das auch bewusst, aber …“

      „Bald hast du genug Gelegenheit, dein Innerstes nach außen zu krempeln“, unterbricht Elfi sie. „Ich möchte nicht wissen, welche absurden Geschichten LF ständig zu hören bekommt. Und die sind fast alle real.“

      „Darum beneide ich sie“, sagt Lydia. Elfi schaut sie fragend an, sodass Lydia ihr erklärt: „Na ja. Dann müsste ich mir nicht so viele Gedanken über den Inhalt meiner nächsten Romane machen.“

      „Du schreibst Bücher?“, fragt Elfi erstaunt. „Und deine einzige Sorge besteht darin, dass dir irgendwann nichts mehr einfallen könnte? Wollen wir tauschen?“

      Lydia schüttelt den Kopf. „Nein. Ganz so einfach ist es bei mir auch nicht.“

      „Jetzt bin ich etwas beruhigt“, sagt Elfi. „Ich dachte schon … LF ist wirklich verständnisvoll, fast mütterlich. Außerdem verlangt sie nicht, dass du in drei Tagen vor deines Rätsels Lösung stehst. Lass dir einfach Zeit. Den Rat kann ich dir mit ruhigem Gewissen geben. So angenehm und friedlich, wie es sich hier leben lässt, bekommst du es zu Hause nicht so schnell wieder.“

      „Bist du verheiratet? Hast du Kinder?“, fragt Lydia, weil sie gern etwas über Elfi erfahren möchte.

      „Ja. Ich hatte vergangenes Jahr Silberhochzeit und habe einen Sohn, eine Tochter und vier Enkelkinder. Mein Sohn ist mit seiner ersten großen Liebe verheiratet und sehr darauf bedacht, seine Frau glücklich zu machen. Bei ihr bin ich mir nicht so sicher, dass die Gefühle für ihn überwältigend sind, aber das kann ich nicht beeinflussen. Ihr ältester Sohn Shawn ist sechs Jahre alt, Ethan ist vier und bereits elf Monate nach ihm wurde Bella-Shirin geboren. Der Sohn meiner Tochter heißt Raphael und ist sieben Jahre alt.“

      „Da geht es bei euch sicher rund“, stellt Lydia fest.

      „Oh ja. Meine Enkelkinder sind sehr oft bei mir.“ Elfi macht eine Pause und seufzt. „Eigentlich sollte ich mich darüber freuen … aber … allzu viel ist ungesund, sagt ein Sprichwort. Ich komme einfach nicht zur Ruhe, denn die Jungs wachen morgens mit dem ersten Sonnenstrahl auf und machen schon lange keinen Mittagsschlaf mehr. Sie sind demzufolge total überdreht, sodass die Kleine ebenfalls nicht schlafen kann. Somit kann ich mich auch mittags nicht mal ein Weilchen ausruhen. Und abends sieht Ethan nicht ein, dass Shawn etwas länger aufbleiben darf als er, und tobt im Bett herum. Außerdem kennen die Kinder weder geregelte Mahlzeiten noch gesunde Nahrung. Wenn sie hungrig werden, naschen sie unkontrolliert Süßigkeiten oder bedienen sich im Kühlschrank. Ich bin nur auf der Hut, dass sie das bei mir nicht tun, und versuche, ihnen mit kleinen Ritualen Tischmanieren beizubringen. Das ist nicht einfach, weil sie bei ihren Eltern ja doch wieder tun und lassen können, was sie wollen. Ständig machen sich die Jungs einen Spaß daraus, ihre kleine Schwester zu ärgern, und mit Vorliebe kleben sie ihr Kaugummi in die Haare. Du kannst dir sicher vorstellen, wie anstrengend das ist. Ich verstehe meine Schwiegertochter gut, dass sie sich überlastet fühlt, aber dass sie die Kinder ständig bei mir ablädt, ist …“ Sie macht eine Pause und überlegt, wie sie sich ausdrücken soll.

      „… eigentlich unverschämt und eine Frechheit“, ergänzt Lydia.

      Elfi schaut traurig vor sich hin und nickt. „Es so zu sehen, habe ich erst hier gelernt.“ Sie seufzt. „Ich wollte immer, dass es meinen Enkelkindern gut geht. Die merken doch, dass sie ihre Eltern nerven und ständig abgeschoben werden.“

      „Das wäre ein Fall für die Super-Nanny“, sagt Lydia. „Die biegt das im Nu wieder hin.“

      „Meine Schwiegertochter würde sich niemals darauf einlassen“, erwidert Elfi kopfschüttelnd. „Sie lässt sich oft genug von ihren Kindern bestätigen, dass sie die beste Mami der Welt ist. Die Kleinen sind fest davon überzeugt, dass es wirklich so ist … obwohl … Shawn scheint sie durchschaut zu haben. Ihm kann sie nicht mehr so leicht etwas vormachen. Er hat letztens die Augen verdreht und gefordert, dass sie ihn damit in Ruhe lassen soll. Sie hat sich auf ein Machtspiel mit ihm eingelassen und dermaßen fest seinen Arm umklammert, bis er zu weinen anfing. Erst da hat sie von ihm abgelassen, ihm jedoch