Saving Rapunzel. Rabea Blue. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Rabea Blue
Издательство: Bookwire
Серия: Märchenspinnerei
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748566953
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die gut funktionierte. Er bildete sich sogar ein, dass die Sträucher bereits grüner aussahen. Zudem hatte er den Gemüse- und Obstgarten von Unkraut befreit, die große Rasenfläche gemäht und grobe Äste aus dem Park herausgeschafft und zerkleinert. Einen Großteil der Aufgaben auf der Liste, die ihm sein Vorgänger hinterlassen hatte, waren bereits abgehakt.

      Diegos Motivation ließ nicht nach. Für die neue Woche nahm er sich die Bepflanzung rund um das Herrenhaus vor. Frische Blumen mussten her, eine ordentliche Portion Dünger und zur Not Bewässerungskugeln, die nach und nach Wasser an die Erde abgaben. Da Mr. Hall oft Besuch zu bekommen schien, sollte das Haus ansprechend aussehen und einen gepflegten Eindruck machen.

      Diego fing an, auf der Rückseite des Hauses die schmächtigen Pflänzchen aufzupäppeln. Hier und da zupfte er vertrocknete Blätter ab, hakte die Erde locker und mischte ein wenig Dünger hinzu. Bei hoffnungslosen Fällen ersetzte er das Überbleibsel durch neue Setzlinge. So arbeitete er sich langsam an der Fassade entlang, um die Ecke herum und an der Breitseite des Gebäudes in Richtung Vorderseite. Diego kam gut voran und schaffte es vor dem Mittagessen, den Westflügel des Herrenhauses zu umrunden. Wieder fragte er sich, was an diesem Bereich so geheimnisvoll war, warum niemand der Bediensteten hinein durfte. Als Diego um die vordere Ecke des Flügels bog, hörte er, wie über ihm ein Fenster geöffnet wurde. Reflexhaft sah er nach oben und trat einen Schritt zurück, um zu sehen, wer es war.

      Er hatte damit gerechnet, Barbara zu sehen, die die Räume lüftete. Doch die Person, die dort stand, hatte er noch nie zuvor gesehen. Es war eine junge Frau, fast noch ein Mädchen.

      »Guten Morgen«, sagte er höflich und lächelte zu ihr hinauf. Sie hatte ihn zuvor nicht gesehen und erschrak sichtlich, als sie seine Stimme hörte.

      »Mein Name ist Diego Torres«, fuhr er unbeirrt fort. »Ich bin der neue Gärtner.« Freundlich lächelnd trat er noch einen Schritt zurück, damit sie sich besser in die Augen sehen konnten.

      Doch der Gesichtsausdruck der jungen Frau veränderte sich nicht. Noch immer sah sie perplex zu Diego herunter, geradezu entsetzt. Sie antwortete nicht, sah sich dann schnell in dem für sie sichtbaren Bereich des Gartens um und verschwand im Inneren des Zimmers.

      Irritiert schüttelte Diego den Kopf. Hatte er etwas falsch gemacht? Zumindest war er sich keiner Schuld bewusst. Er wandte sich wieder seiner Arbeit zu. Doch der Vorfall beschäftigte ihn. Hatte er soeben die Tochter von Mr. Hall kennengelernt? Hoffentlich hatte er keine ungeschriebene Regel gebrochen, indem er mit ihr geredet hatte.

      ***

      »Sorry Leute, tut mir leid, dass ich so spät bin.« Diego hastete in den kleinen Speisesaal, in dem die Angestellten ihre Pausen verbringen konnten. Er setzte sich neben Annette und nahm sich von dem Essen, das in der Tischmitte angerichtet war. Rindergulasch mit Reis. Hastig fing Diego an zu essen, doch die Begegnung mit dem verängstigten Mädchen ließ ihn nicht mehr los.

      Seine Kollegen alberten herum, waren an diesem Tag außerordentlich gut gelaunt. Diego lachte halbherzig mit, blieb ansonsten jedoch still. In einem ruhigen Moment nahm er sich ein Herz und räusperte sich.

      »Ich glaube, ich hatte heute das Vergnügen, Mr. Halls Tochter kennenzulernen. Zumindest öffnete eine junge Frau, die ich noch nie zuvor gesehen habe, ein Fenster in dem verbotenen Flügel. Als ich mich ihr vorstellen wollte, reagierte sie ganz verschreckt und entfernte sich vom Fenster. Habe ich da eine Grenze überschritten? Ich wollte nur höflich sein.«

      Die anderen verstummten augenblicklich. Einige hörten auf zu essen, manche sahen nur kurz hoch, und dann wortlos zurück auf ihren Teller.

      Als keiner antwortete, plapperte Diego weiter. »Ich wusste gar nicht, dass der Chef Kinder hat. Auf der einen Seite passt es zu ihm, dass er sogar seine Familie vor den Bediensteten geheim hält. Aber es wundert mich ein wenig. Bekommt man das nicht automatisch mit?«

      »Die junge Frau ist nicht die Tochter vom Chef«, sagte Annette schließlich und sah ihn eindringlich an.

      Diego fiel ein Stein vom Herzen. Vielleicht doch nur eine Kollegin, die ebenfalls neu war?

      »Sie ist seine Ehefrau.«

      Nun lief ihm ein kalter Schauer über den Rücken.

      »Oh.« Mehr brachte Diego nicht heraus. Mr. Hall versteckt seine Ehefrau in dem Teil des Gebäudes, der für die Angestellten tabu war?

      Sie aßen eine Weile wortlos weiter. Diego ärgerte sich, dass er nicht den Mund gehalten hatte. Nun hatte er offensichtlich allen die Stimmung verdorben. Aber wie hätte er wissen sollen, dass Mr. Hall mit einer so jungen Frau verheiratet war? Sie musste mindestens zwanzig Jahre jünger sein als er.

      Schließlich wagte er eine weitere Frage: »Gibt es etwas zu beachten, in dem Umgang mit der Familie? Ich möchte nicht negativ auffallen. Wie soll ich mich der Frau vom Chef gegenüber verhalten, wenn ich sie zufällig sehe?«

      Einer der Köche legte seinen Löffel weg und lehnte sich in seinem Stuhl zurück.

      »Ganz ehrlich: Mr. Hall hat einmal gefordert, dass männliches Personal seine Frau nicht anspricht. Die beiden heirateten erst vor ein paar Jahren und ich dachte damals, er sei nur eifersüchtig und habe Bedenken, dass seine Frau ihm weglaufen könne. Aber sie ist so zurückhaltend, er braucht sich definitiv keine Gedanken zu machen, dass sie einem anderen Mann schöne Augen macht. Trotzdem schottet er sie total ab. Ich glaube, ich habe das Mädchen noch nie außerhalb des Hauses gesehen.«

      Nun schaltete sich eine der Putzfrauen ein. »Ich habe einmal beim Putzen ihres Badezimmers versucht, ein paar Worte mit ihr zu wechseln. Keine Chance. Die Arme ist vollkommen eingeschüchtert. Allein als ich angefangen habe zu sprechen, ist sie zusammengezuckt.«

      Nachdenklich steckte sich Diego eine Gabel mit Fleisch in den Mund.

      Eine der Putzfrauen deutete auf eine junge Frau. »Barbara ist die persönliche Zofe von Mrs. Hall«, erklärte sie. Dann wandte sie sich an die Kollegin. »Du kennst sie doch am besten. Weißt du, ob sie freiwillig die ganze Zeit in ihrem Zimmer bleibt? Und was ist das mit dem hartnäckigen Gerücht, dass Familie Hall Teil einer Sekte sei? Kannst du das bestätigen?«

      Barbara hob den Kopf und wartete, bis ihr Mund leer war. »Offiziell ist es keine Sekte. Die Halls gehören dem ‚Alten Kreis‘ an. Das scheint ein Zusammenschluss von Unternehmen und Vereinen zu sein. Aber sie haben ein seltsames Frauenbild und ungewöhnliche Regeln, an die sich die Mitglieder halten müssen. Vor allem die weiblichen. Deswegen ist Jane Hall so, wie sie ist. Sie wurde von Geburt an auf diese Weise erzogen. Frauen haben zu Hause zu bleiben.«

      Diego nickte gedankenverloren. Das würde einiges erklären. Es hörte sich für ihn ganz nach Zwangsheirat oder sogar Menschenhandel an. Leider neigte sich die Mittagspause dem Ende zu. Mehr würde er an diesem Tag nicht erfahren.

       Kapitel Vier

      »Miss Willow, nun möchte ich gerne an die letzte Frage meines Kollegen anknüpfen. Sie hatten also nicht den Eindruck, dass die Halls verliebt waren. Gab es denn oft Streit zwischen den beiden? Meinungsverschiedenheiten, Diskussionen, irgendetwas in der Art?«

      »Das schon, ja«, bestätigte Barbara. »Mr. Hall hatte genaue Vorstellungen davon, wie sich seine Mitmenschen zu verhalten hatten. So auch Mrs. Hall. Wenn ein Detail abwich, wurde der Chef schnell laut.«

      »Welche Vorstellungen hatte er Ihrer Meinung nach von Jane Hall als Ehefrau?«

      »Wie meinen Sie das?«, blinzelte Barbara Willow irritiert.

      »Nun, wenn Sie sagen, dass die beiden nicht aus Liebe geheiratet haben, was hat sie dann zusammengeführt? Haben Sie diesbezüglich eine Vermutung?«

      »Aus Gesprächen zwischen den beiden habe ich mitbekommen, dass Mr. und Mrs. Hall versuchten, Kinder zu bekommen. Es klappte nicht. Über die möglichen Gründe stritten die beiden häufiger.«

      Larsson sah seine Zeugin gebannt an. »Und waren das Streitigkeiten,