Inzwischen hatte sich das Omero auch mit seiner gegen das ewige Vergessen ankämpfenden Stammklientel gefüllt, die kam, ihren Mittagspamp in sich hineinzulöffeln, um dabei verstohlen unter des geilen Kellners Minirock zu linsen, vielleicht den schwarzen Zwickel der Netzstrumpfhose zu erheischen, haha.
Mit Beginn des vierten Halben schwand die Verschwommenheit und wich einer präzisen Gedankenschärfe, wie sie außerordentlicher nicht sein konnte. Auch Wenzels Konturen hoben sich nun wieder deutlicher vom Hintergrund des Raums ab. Er schlabberte sein Bier in kleinen Schlucken mit spitzem Mäulchen und war dabei allerliebst anzusehen. Plötzlich kam mir ein unanständiger, höchst verwegener Einfall.
Welche Bedeutung es wohl mit dem Namen Wenzel auf sich habe, wollte ich von Wiener wissen, ob sich seine Eltern etwas dabei gedacht hätten, wenn überhaupt. Er tat zunächst so, als hätte er nichts gehört, verzog in bekannter Manier die Schnute, schnitt schönste Grimassen und pfiff tonlos ein Liedchen. Die Augen streunten durch die Rauchschwaden und über die Köpfe der mümmelnden Greise.
Ich aber blieb hart und wiederholte mein Anliegen, etwas nachdrücklicher im Ausdruck vielleicht, die Ernsthaftigkeit zu betonen.
Wenzel schaute mir eine kurze Weile ins Gesicht und erklärte dann, alles hinge mit Prag zusammen, dem Prager da, dem Wenzel, du weißt schon, »Morbi, der Platz da in der Altstadt, verstehst du mich, wo er steht, der Dings, der Wenzel, ein Stück weit?«
Das Konvolut unzusammenhängender Wörter und Satzfetzen ergab, dass seine Eltern, unverheiratet noch, sich bei einem Kurzbesuch Prags (Wenzel bevorzugte das nette Wörtchen Trip), nächtens, vom süffigen Urquell durchgurgelt, unter dem Denkmal des tschechischen Nationalhelden und vielerlei Geknutsche, Geküsse, und sicher auch Gegrapsche, die Ehe versprochen und dieses Versprechen dummerweise auch gehalten hatten, was in der Folge die vorgeschriebenen Monate später den kleinen Wenzel zur Welt kommen ließ.
Mehr Verständliches war zu diesem Thema von ihm nicht herauszubekommen. Vielleicht schämte er sich auch ob der Trivialität der damaligen Umstände, respektive nicht der Umstände, sondern der Tatsache als solcher mit dem ganzen Betatschen, nachts im Mondenschein. Dubcek war gerade auf einem Kurztrip in Moskau, um anschließend in der Versenkung zu verschwinden, da versprechen sich zwei, spätestens durch diesen Akt ausgewiesene Dummerchen, auf dem Wenzelplatz die Ehe. Auweia. Fürwahr, es ist sehr wohl getan.
Da hat er Glück gehabt, der Wiener, dass Vati und Mutti in spe zu dieser Zeit nicht im französischen Orleans waren, sonst hieße er heute Johanna, der Wenzel.
Wenzel gluckerte an seinem Bier herum und schnäbelte sehr charmant vor sich hin. Meine Frage nach den Wurzeln seiner Existenz hatte ihn verlegen gemacht. Namensforschung, zumal die eigenen Ursprungs, verletzte offenbar sein Schamgefühl. Mein bäriger, schaurig verschwiemelter Honigschwager, der du bist.
Plötzlich blinzelte er süffisant in meine Richtung. Suchte er den Einstieg, mich in die Gründe unseres Hierseins, seiner Einladung zum Frühstück, einzuführen? Werde ich endlich in die letzten großen Geheimnisse der Menschheit, die Mysterien, den Heiligen Gral gar, eingeweiht? Bin auch ich berufen?
Im Hintergrund hantierte der Schankkellner Fred geräuschvoll mit Essnäpfen und Schnabeltassen. Langsam füllte sich der Raum mit den Siechen des Zentralkomitees. Dämpfe allerlei Suds drückten durch die Ritzen der Höllenpforte, die den Schankraum von den Feuerstellen der Bratstube trennte. In der nahen Ferne wog der Wind sanft die Glocke des christlichen Tempels in löchrigem Turm. Ein Säuseln war in der Luft, mehr noch, ein Hauch von Frieden machte sich breit im Omero und legte sich schwer über Krücken, Rollstühle und unsere erneut gefüllten Biergläser. Für den Augenblick war alles wohlgefällig.
Unvermittelt stieß Wenzel sein ameisenbäriges Rüsselchen in die Luft, warf das offene Haar hinter sich und schwagerte mich an:
»Du weißt, warum wir hier sind?«,
und legte, ehe ich noch irgendwie zur Antwort kam ohne weitere Umstände nach: »Ich habe einen Hund gekauft, ein Tier, du verstehst?«, donnerte es mich an. Ich verstand. Wie denn das Tier heißen würde, fragte ich ihn.
»Na Hund«, Wenzel glotzte mich verwirrt an.
»Der Hund heißt Hund?«, jetzt war es an mir, verständnislos dreinzuschauen, »ist das nicht ein bescheuerter Name für einen Hund, Hund zu heißen?«
»Der Hund heißt ja gar nicht Hund. Das Tier heißt Hund, der Hund heißt Cholera, Manfred Cholera. Ist doch ganz einfach Morbi, du verstehst?«
Nun ja, vielleicht lag es ja auch an der zuckeligen Bahnfahrt von Hannover in unser Hauptstadtdorf, Reichsbahn-Jetlag oder so, aber ich verstand nicht viel. Schon überhaupt nicht, warum man seinen Hund Manfred Cholera taufen sollte.
Etwas umständlich und kompliziert klärte mich Wenzel auf, wie es zu dieser, verhalten gesagt, ungewöhnlichen Namensgebung gekommen ist.
Vereinfacht wiedergegeben ging es darum: Er, Wenzel, habe den Köter ursprünglich Stolpe nennen wollen, und zwar in Anerkennung der Verdienste eines gleichnamigen Politikers aus der Partei, der Wenzel aus traditionellen Gründen nahesteht: »du weißt es Morbi, ich bin ein Roter, schon immer, unbedingt.«
Diese Idee aber habe er fallen gelassen, als ihm ein guter Bekannter mitteilte, der Name Stolpe würde ihn nicht nur phonetisch, sondern auch visuell sofort an die Hundekrankheit Staupe erinnern, und zwar zwingend. Dabei bekäme er immer Bauchschmerzen übelsten Ausmaßes und müsse anschließend kotzen.
Nach eingehenden Überlegungen und diversen Fernsehbildern des von ihm, Wenzel, mit der Ehrung bedachten Politikers, konnte er nicht umhin, sich der Meinung seines Bekannten anzuschließen und beschloss, wenn auch schweren Herzens, eine Namensänderung nicht nur in Erwägung zu ziehen, sondern, anders als es in besagter Partei bei Beschlüssen gängige Praxis war, auch tatsächlich umzusetzen.
Das mit der Krankheit gefiel ihm, Wenzel, allerdings nicht schlecht und über Staupe, Buda und Pest fiel ihm schließlich Cholera ein, was er provokativ lustig fand.
»Hat doch was, Morbi, was?«
Was?
Dem ursprünglichen Gedanken und dem Gedenken an seinen, wenn auch unfreiwilligen, Ideengeber, nicht ganz die Reminiszenz zu verweigern, nannte er seinen Hund dann endgültig Manfred Cholera. Und dabei blieb es, Herr und Hund waren es zufrieden.
Kein schöner Hundename, zugegeben, aber originell und sicherlich einmalig. Auf jeden Fall stach er aus dem üblichen Einheitshundenamenangebot heraus. Gegen Manfred Cholera konnten Stupsi, Waldi, Boppele, Hexi, Harras und wie die idiotischen Halter ihre Viecher auch immer zu nennen pflegen, nicht mithalten, soviel war mal klar.
Nun ja, Wenzel zwinkerte mir, Komplizenschaft erbettelnd, mehrdeutig zu, der Hund habe eine, wenn auch kleine, aber immerhin, Macke, das wolle er mir nicht verheimlichen. Ein minimales Handicap, ihm persönlich wäre es sowieso egal, »du kennst mich, Schwager, ich bin tolerant,« aber nicht alle würden so denken wie er, »hab ich recht, Morbi, was sagst du, ich hab doch recht, oder?«
Und druckste und malmte herum, ehe er nach neuerlicher Bierorder und -lieferung endlich zum Kern der Angelegenheit kam. Manfred Cholera nämlich, gestand Wenzel raunend und mit leicht vorgebeugtem Oberkörper, würde alles rammeln, was ihm in die Quere, bzw. vor die Füße, richtiger, vor sein Gemächte käme, und zwar nicht nur seinesgleichen, Hund und Katz, sondern auch sonstiges Getier, einschließlich der Gattung Mensch, wenngleich Letzteren auch nur am Bein, was er bisher so beurteilen könne, »was sagst du?«
Aber damit nicht genug würde das possierliche Tierchen auch Dinge, »Sachen halt, du verstehst, Tischbeine, Plastiktüten und sonstigen herumliegenden Kram, Gegenstände halt,« als Sexualpartner durchaus nicht verschmähen. Das sähe dann doch ein wenig peinlich aus, wenn er, Wenzel, mit ihm, dem Hund, auf