Den Traum einen wahren Gefährten zu finden, hatte er sowieso bereits begraben. Vielleicht war seine Einstellung für seine zwanzig Jahre zu pessimistisch, aber nicht einmal seine Mom hatte bisher Glück gehabt. Und ihre Auswahl war eindeutig größer.
„Hey, wollen wir noch eine Runde laufen, ehe wir zuhause aufschlagen?“, fragte Hugo und lenkte den Pick-up in Richtung des Waldgebietes östlich des Katzenviertels, in dem sie ungestört herumstromern konnten.
Die Wölfe blieben diesem Areal - Luna sei Dank! - fern, ihr eigenes riesiges Gebiet lag weiter nördlich, mit ihrer Lodge im Zentrum, dem inoffiziellen Amtssitz des jeweiligen Alpha Rex.
Layton selbst war nie dort gewesen, wusste jedoch aus Erzählungen, dass es eher wie ein Feldcamp aufgebaut war, mit unzähligen Wohn- und Wirtschaftsgebäuden auf dem Grundstück. Irgendwie fand er das total unpersönlich, da sagte ihm sein Stadtviertel eindeutig mehr zu. Vielleicht weil er und seine Mom solange unter Menschen gelebt hatten.
Aber als Jagdgebiet war das Revier der Wölfe natürlich unschlagbar. Laytons Katze fauchte. Die blöden Tölen bekamen wie immer von allem das Beste. Rotwild zum Beispiel. Nicht, dass ihn so ein Hirsch interessierte, er war eine Hauskatze und würde sich bei solch einer Jagd nur bis auf die Knochen blamieren, dennoch war er rein aus Prinzip wütend.
Ihr eigenes Waldstück wurde höchstens von Hasen, Opossums und Streifenhörnchen bevölkert, die Hugo gerne jagte. Er schüttelte sich. Dafür war er wohl nicht genug Raubtier. Er fand die Nager unheimlich niedlich und allein die Vorstellung, ihnen auch nur ein Fellhaar zu krümmen, erfüllte ihn mit Widerwillen.
„Nur wenn du A-Hörnchen und B-Hörnchen heute Abend in Ruhe lässt“, mahnte er scherzend und der Fuchs grinste diabolisch. „Die sind aber doch so lecker“, bettelte er in einem weinerlichen Tonfall. Layton lachte.
Endlich löste sich ihre Anspannung etwas. Sein Freund nahm ihn selbstverständlich auf den Arm, denn in seinem Beisein hatte er bisher nie eins der possierlichen Tierchen gerissen.
Hugo parkte den Wagen direkt vor dem Schild, welches das Gebiet als das Revier der Hauskatzen auswies. Gleich nebenan grenzte ihr Areal an das der großen Raubkatzen. Von den wenigen Arten, die hier in Paradise Valley lebten, gehörten die Luchse und Leoparden. Dazu zwei oder drei Jaguare. Diese vormaligen Einzelgänger hatten sich dem Rudel der Leoparden angeschlossen, da rudellose Wandler im Tal nur bleiben durften, falls ein Familienclan Anspruch auf sie erhob.
Deshalb war Layton doppelt froh, dass Hugo als zu seiner Familie zugehörig betrachtet wurde, sonst wären sie damals auseinandergerissen worden. Der blasierte Katzenälteste hatte sich zunächst geweigert, aber nach einem Gespräch unter vier Augen mit Melody war die Aufnahme des Fuchses in den Katzenclan erfolgt. Er wusste bis heute nicht, was seine Mom mit dem arroganten Kater besprochen hatte.
Sie sprangen aus dem Auto, witterten kurz und grinsten sich dann zu. „Scheint als seien wir heute Abend die alleinigen Herrscher der Welt.“
Perfekt. Auf die Gesellschaft der Großkatzen verzichtete er nämlich dankend. Die Leoparden waren teilweise noch radikaler als die Wölfe und Layton hatte gehört, dass in Südamerika, wo die Raubkatzen herrschten, die alten Gesetze der Rassentrennung weiter galten und rigoros durchgesetzt wurden.
Er schauderte und dachte einen Augenblick daran, seinen Plan für den späteren Abend aufzugeben. Vielleicht war es besser, unter dem Radar zu bleiben und keinerlei Aufmerksamkeit zu erregen. Doch er sehnte sich - neben der körperlichen Begierde -, ebenfalls nach ein wenig menschlicher Wärme. Es war zwar unwahrscheinlich, so etwas von einem Aufriss zu bekommen, aber einen Versuch wollte er zumindest starten.
Hugo stupste ihn an. „Alles okay bei dir?“ „Klar, was sonst“, antwortete er locker. „Wollen wir?“
In schweigendem Einvernehmen spazierten sie zur nächstgelegenen Lichtung, wo sie im Hohlraum eines Baumstammes einen wasserdichten Beutel aufbewahrten, den sie für ihre Kleidung nutzten. Layton erinnerte sich nur ungern an die Spontanwandlungen seiner Kindheit und Jugend, denen unzählige Kleidungsstücke zum Opfer gefallen waren.
Die Sonne versank gerade und er beobachtete ehrfürchtig, wie sie hinter den majestätischen Bergen in der Ferne verschwand. Der Himmel verlor allmählich seine pinke und orangefarbene Färbung, verwandelte sich in bedrohliches Grau. Dicke Wolken verhüllten die Bergspitzen und ein dumpfes Grollen rumpelte warnend durchs Gehölz.
„Wir sollten uns ranhalten. Hab keine Lust auf eine Dusche“, grummelte er missmutig und zog den Beutel aus dem Versteck. Hugos amüsiertes Lachen ignorierte er. Er war eben eine Katze, die mochten das Wasser von oben halt nicht besonders.
Rasch zog er sich aus und stopfte Hose und Shirt in den Sack. Dabei beobachtete er aus den Augenwinkeln, wie der Fuchs es ihm nachmachte. Schnell wandte er den Blick wieder ab. Wandler hatten zwar grundsätzlich kein Problem mit Nacktheit, jedoch in Gegenwart seines besten Freundes einen Ständer zu bekommen, war eine blöde Idee. Und genau deshalb musste er nachher ins ‚Devil’s den‘ gehen und seinen inneren Konflikt aus der Welt schaffen - Risiko hin oder her.
Layton fiel auf die Knie, presste seine Handflächen auf die kühle feuchte Erde und gab sich der Wandlung hin. Die erfolgte seit einiger Zeit nicht mehr spontan, sondern nur mit dem bewussten Denken an sein Tier, was ihn bei den anderen Wandlern als jungen Erwachsenen kennzeichnete. Nur extreme Emotionen schalteten diesen Schritt manchmal aus.
Seine Katze schnurrte dankbar und übernahm die Führung. Sein Stöhnen, als die Knochen knackten, sich verformten, Muskeln und Sehnen sich neu anordneten, verwandelte sich in ein Jaulen. Fell spross aus seiner Haut, bedeckte bald seinen ganzen Körper. Sein Kiefer schmerzte, sein Schädel dröhnte, dann jedoch verflüchtigte sich der Schmerz, als sei er nie da gewesen. Ekstase ersetzte die Agonie.
Layton schnaufte, witterte die würzige Luft. Seine Pfoten gruben sich in die weiche, laubbedeckte Erde. Spielerisch wirbelte er die Blätter auf, streckte sich wohlig, machte einen Buckel und zuckte mit dem Schwanz.
Ein Knuff in seine Flanke brachte ihn aus dem Gleichgewicht und empört miaute er. Warnendes Knurren antwortete ihm, goldbraune Iriden funkelten ihn herausfordernd an. Ein hellgrauer, magerer Fuchs stand vor ihm, die Schnauze angriffslustig gesenkt und Layton spürte, wie alle Sorgen von ihm abfielen.
Das hier war wahre Freiheit. Dafür arrangierte er sich auch mit den Bedingungen in Paradise Valley. Es war etwas völlig anderes, sich einfach spontan wandeln zu können, ohne Angst vor Entdeckung.
Zwar gab es in den Städten ebenfalls Möglichkeiten herumzustreifen - Katzen fielen da ja nicht auf-, doch es lauerten immens viele Gefahren dort. Layton war mal einem Tierfänger in die Hände geraten, der herrenlose Streuner einfing und war nur knapp einer Kastrierung entgangen. Sein Fell sträubte sich bei der Erinnerung.
Egal. Diese Zeiten waren jedenfalls vorbei. Er sprang zurück auf die Pfoten, schlug spielerisch nach Hugo und schon war die Balgerei eröffnet.
Ausgelassen tollten sie herum, jagten sich durchs Dickicht und Bäume rauf, wo er seinen Vorteil nutzte und von einem hoch gelegenen Ast wieder heruntersprang. Der Graufuchs knurrte missmutig und kletterte vorsichtig am Stamm hinab, nahm es ihm jedoch nicht übel.
Nach etlichen Stunden - er war völlig ausgepowert -, beschloss Layton die Spielerei für heute zu beenden. Er hatte noch etwas vor, um seinen Hormonstau aufzulösen, und es war besser, wenn sein Freund hier beschäftigt war und nicht mitkriegte, wohin er wollte. Zumal Hugo der Auslöser für seinen unbändigen Trieb war.
Schnurrend rieb er sich an der Flanke des Fuchses, der schnaufend auf dem Bauch lag, die Schnauze zwischen die Pfoten gesteckt. Er verwandelte sich rasch, kraulte ihn hinter den Ohren. „Ich laufe zurück. Lass meine Klamotten einfach im Beutel.“
Sein Freund brummte unbestimmt und Layton lachte, ehe er seiner Katze die Führung überließ. Freudig streckte und dehnte er sich und lief dann nach Hause.