Maya, die die Stofffalten ihrer Tücher gerade mit ihrem gewohnten Arsenal ausrüstete, erstarrte mitten in der Bewegung, als sie die halbnackte Gestalt Kaelis in Augenschein nahm.
„Weiße Bandagen der Unschuld!“
Hellhörig, wenn auch nur mäßig interessiert, wandte Saya kurz den Blick von dem gebogenen Kurzschwert, das erstaunlich leicht und griffig in der Hand lag, zu dem Meereswesen. Der Sinn Mayas Ausrufes war ihr fremd, nicht aber die Emotion, die an ungläubige Fassungslosigkeit grenzte.
Mit verlegen geröteten Wangen beeilte Kaeli sich, die paxianische Kleidung bedeckend überzuziehen. Dennoch entging sie in keinster Weise Mayas nachhakender Neugierde.
„Mein Augenlicht muss getrübt sein. Nie bin ich in meiner Einschätzung so fehlgeleitet gewesen.
Dein Erscheinungsbild täuscht verblüffend, Kaeli, also steht in dir tatsächlich ein Kind vor mir.
War deine Fruchtbarkeitszeremonie schon geplant? Sicher kann es nicht mehr lange hin sein oder?“
Ein trauriger und wehmütiger Ausdruck prägte die Miene des jungen Mädchens bei der Erinnerung an das freudige Ereignis ihr zu Ehren – von allen Kindern auf Paxia mit Spannung erwartet. Ihre Antwort erfolgte dementsprechend in müder Lakonie.
„Gestern.“
„Fruchtbarkeitszeremonie?“ Noch bevor Maya ihrer erschrockenen Bestürzung Luft machen konnte, unterbrach Sayas Wissen suchende Frage den Dialog über dieses ihr seltsam anmutende, unbekannte Thema. Ihr Forschergeist, welches Ritual eine solche Gefühlsspanne verursachen konnte, war geweckt.
„Erklär es ihr“, bat Kaeli die Paxianerin. Als ehemalige Beteiligte vermochte sie Zweck und Inhalt dieses uralten Brauchtums wesentlich besser zu erläutern, zumal Kaeli selbst nur Vorstellungen und verträumte Fantasiegebilde des prägenden Ereignisses hatte, welches bis zum feierlichen Tag von allen Kindern ferngehalten wurde. Selbst die Vorbereitungen lieferten nur schwammige Informationen, ohne etwas Greifbares zu hinterlassen.
Ein Grund mehr, die Ohren aufnahmebereit zu spitzen, als Maya bereitwillig mit der Erläuterung begann.
„Mit sechzehn Jahren ist ein Mädchen das erste Mal in ihrem Leben empfangsbereit und ein Junge zeugungsfähig.
An diesem Geburtstag wird ein besonderes Fest begangen: Der Abschied von der Kindheit und die Aufnahme in die Welt der Erwachsenen.
Die Zelebrierung der Fruchtbarkeitszeremonie bildet dabei den Beginn.
In Kaelis Fall würden sich die Frauen ihrer Familie mit ihr zurückziehen und über die geschlechtlichen Interaktionen von Mann und Frau aufklären. Sie würde im wahrsten Sinne des Wortes in alles eingeweiht, was zwischen einem Paar passiert, welches sich körperlich näher als eine Handbreit kommt.
Nach den meist sehr detaillierten, bildhaften Beschreibungen entkleidet sich das Mädchen, reinigt sich als symbolische Läuterung von den anrüchigen Eindrücken und wird mit farbiger Unterwäsche ausgestattet.
Zum Abschluss des Rituals trägt sie die Bandagen der Unschuld in den Kreis aller Versammelten und zerstört sie.
Diese Handlung kennzeichnet ihre Bereitschaft, einen Gefährten zu nehmen.“
„Faszinierend“, murmelte Saya, die enttäuscht und verständnislos wirkende Kaeli musternd. Im Gegensatz zu der Gelehrten, schien dieser Mayas Belehrung unzureichend in der mangelhaften Ausführlichkeit.
„Ein weiterer Beweis, wie wenig mein Volk mit den anderen Kindern Paxias gemein hat.“
„Wie meinst du das? Wie wird man in deinem Reich erwachsen ohne Fruchtbarkeitszeremonie?“, begehrte Kaeli zu wissen, hoffend, die Wächterin in den entscheidenden Einzelheiten weniger verschwiegen zu finden als Maya.
„Mit Fertilität hat dies jedenfalls nichts zu tun. Eine Aufklärung in eurem Sinne existiert ebensowenig, dafür ist diese Materie schlicht zu untergeordnet.
In diesem Punkt sind unsere Völker wahrlich nicht zu vergleichen.
Prinzipiell unterscheiden wir nicht einmal zwischen Kind und Erwachsenen.
Sobald ein Halbwüchsiger lesen beziehungsweise ein Schwert führen kann, wird er der Rangordnung entsprechend anerkannt und darf seinen Platz im Rat einnehmen.“ Zu tiefergehenden Formulierungen war Saya nicht bereit. Die Lebensart ihres Volkes unterschied sich so grundlegend von jener der anderen paxianischen Reiche, dass es aufreibende, zeitintensive Belehrungen sein mussten, um sie Fremden wenigstens minimal verständlich nahezubringen.
Sie war Gelehrte – keine Lehrmeisterin.
Abermals in ihrem Interesse unbefriedigt, wandte sich Kaeli wieder der Paxianerin zu, die sie mit einem wissenden Lächeln beobachtet hatte.
„Wenn es dein Wunsch ist und du gezwungen bist, länger bei uns zu verweilen, richte ich gern die Einweihung für dich aus. Ich verstehe durchaus, dass du ungeduldig bist, alles zu erfahren.“
„Wirklich?“ Ein Strahlen erhellte das Gesicht des Mädchens, ihre Augen schillerten erregt. „Liegt deine letzte geleitete Zeremonie schon lange zurück?“
„Diese Ehre ist mir nie zuteil geworden, da ich keine Kinder habe“, erklärte Maya mit ausdrucksloser Kälte, dass sowohl Kaeli als auch Saya mit einigem Entsetzen die schöne Gestalt der Frau fixierten. Als die Paxianerin dessen gewahr wurde, milderte sich der harte Ausdruck ihrer Miene, wenn auch nicht der ihrer Augen.
„Feluzios Dämonen besaßen bedauerlicherweise Kenntnisse über einige Foltermethoden, die mich der Fähigkeit zur Empfängnis beraubten. Entscheidende Organe wurde mir entrissen oder irreparabel beschädigt.“
Was Kaeli an Mayas Worten nicht wirklich begriff, ließ Saya ob dieser Grausamkeit schaudern. Torturen solcher Art waren Sinnbilder der Feigheit und ihr ein verhasstes Gräuel.
Mayas Lebensweg und ihr aufrechtes Wesen hatten endgültig den Respekt der Gelehrten gewonnen. Mit einem kräftigen Griff umfasste ihre Hand Mayas Arm kurz oberhalb der Ellbogen, ihre Weise, achtungsvolle Referenz zu leisten. Maya verstand diese Geste und erwiderte sie, einen stummen, den Anderen würdigenden Blick tauschend.
In ehrfürchtiger Stimmung unterbrach Kaeli diese Szene nicht, blieb passive Beobachterin ihr unfassbarer Vorgänge.
Allein ihre Unwissenheit ließ sie begreifen, dass ihre Ausbildung eben erst begonnen hatte. Ein Abenteuer, das ihrer begierig harrte.
Kapitel 2
Sie hatte ihren Mentor gefunden.
Oder besser ausgedrückt, ihre Mentorin.
Fluchend hockte Saya an einem Baum, der von dichtem Buschwerk umgeben war. Er bot ein gutes Versteck – vorerst. Bedauerlicherweise hatte sie jedoch feststellen müssen, dass die Sträucher mit spitzen Stacheln übersät waren. Ihre Haut hatte, durch den Stoff der Kleidung hindurch, Bekanntschaft mit diesen hinterhältigen Waffen der Natur machen müssen, wie unzählige blutige Schrammen und Kratzer bewiesen.
Verdächtiges Rascheln über ihr ließen sie vermuten, dass Maya ihr bereits auf der Spur war. Zu ihrer Schande musste sie sich jedoch gestehen, dass ihr sonst so erfahrenes und gut geschultes Gehör nicht in der Lage war, die Quelle und damit den Aufenthaltsort der Paxianerin zu lokalisieren.
Den sie ohnehin unaufhörlich zu wechseln schien.
Saya kämpfte mit dem Eindruck, ihre Gegnerin wäre allgegenwärtig.
Weder ihr Kurzschwert noch der flinke Dolch konnten sich rühmen, auch nur den Schatten der wendigen Frau berührt zu haben. Ein niederschmetternder Schlag für ihren Kriegerstolz.
Mit einem vernehmlichen Zischen schlug ein silbern blitzender Wurfstern unmittelbar neben ihrem Gesicht im Stamm ein, der vierte innerhalb dieser bereits mehrstündigen Trainingseinheit. Ein leises Lachen folgte.
Wutschnaubend sprang