Kapitel 4: Herbys Pizza am Palisandertisch
Tobias erschien, wie seine Mutter von ihm erwartete, eine halbe Stunde später im Esszimmer des Schlosses. Auch wenn seine Mutter es, wie sie es nannte – es sich besser anhörte, und auch viel besser nach England, nach Schottland, passte –, so war der Diningroom dennoch nichts anderes als ein sehr, sehr großes Esszimmer.
Dem Tag zu Ehren hatte Herby van de Ströhm, Tobias´ Vater, sein Küchenhandtuch umgebunden und eine Riesenpizza für alle gemacht. Anfänglich hatte er genau deswegen eine große Auseinandersetzung mit seiner Frau, die nämlich der Ansicht war, dass er nicht zu kochen, sondern Hand an den Umzug anzulegen hätte. Mit vielen Worten jedoch war es Herby gelungen, seine Frau davon zu überzeugen, dass sie für diese Dinge Möbelpacker, Auspacker und Schlosspersonal hätten. Nur, sie hatten noch kein Schlosspersonal. Karin konnte sich bisher mit dem Gedanken, Personal einzustellen, noch nicht so ganz anfreunden. Sie war der Meinung, dass, wenn alle Hand anlegen würden, sie so etwas auch nicht bräuchten. Dummerweise stand sie mit ihrer Meinung so ganz alleine da. Ihre Familie fand es bei Weitem schöner, wenn sie Personal haben würden, das sie bedienen würde. So musste sie sich der Mehrheit beugen, so dass in den nächsten Tagen Vorstellungsgespräche angesagt waren, bei denen sie selbstverständlich auch zugegen sein und mitentscheiden wollte.
So saßen sie alle um einen sehr großen schwarzen Palisanderholztisch herum, dem sie die vielen Jahrhunderte seines Daseins anzusehen waren. Es war ein Tisch, an dem sie mit vielen Gästen würden tafeln können. Er war in seiner Farbe tiefes dunkles Braun, fast schwarz. Durchzogen war er mit ganz vielen Kratzspuren, Einkerbungen, aber auch Verfärbungen von umgefallenen Rotweinzinnbechern.
Als Karin diesen Tisch gesehen hatte, war sie sofort in ihre Mittelaltergedanken versunken. Sie alle hatte sie hier sitzen sehen: Die Arthurrunde, Merlin und all die großen Alchimisten, deren Geist auch heute noch anwesend zu sein schien. Von daher, wenn man diese Gefühle und Gedanken von Karin van de Ströhm kannte, war es nicht weiter verwunderlich, woher Tobias´ Vorliebe und Verlangen nach einem Schlossgespenst kam. Auch wenn sie dies immer so abtat. Es war das Blut, das sie verband, die Vorliebe für das Mystische, das Unerklärliche und das Forschen der alten Weisen.
Die Familie saß am Tisch und sie aßen mit Begeisterung von Herbys Pizza. Herbys Pizza am Palisandertisch.
Herby trank dazu eiskalte Cola, während die Geschwister mit Orangenlimonade ihre Gläser gefüllt bekamen.
Karin hatte in einem der antiken Schränke einige wunderschöne Zinnbecher entdeckt. Einen davon hatte sie herausgenommen, gespült und sich in diesen ein schönes kaltes Bierchen eingegossen.
Der Abend verlief harmonisch und mit viel Gelächter. An den Gedanken von nun an stolze Schlossbesitzer zu sein, mussten sie sich jedoch alle erst noch gewöhnen.
Der Einzige, der damit hervorragend zurecht kam, war Tobias. Aber schon alleine der Gedanke, so dringend das Schlossgespenst finden zu müssen, machte es ihm leicht sich als Schlossjunker zu sehen.
Die Schwestern, sie waren in dieser Hinsicht noch ein bisschen unsicher, denn sie hatten ihre Freunde zurücklassen müssen und nun mussten sie sich erst wieder neue schaffen, finden. Das gefiel den Mädchen weniger. Aber, Gott sei Dank, gab es ja die Erfindung des Internets, der Handys und der Telefone. So konnten sie zumindest so den Kontakt weiterhin erhalten. Und wer weiß, vielleicht würden die Eltern ja auch mal Fahrkarten sponsern, so dass sei ihre Freunde einladen konnten. Allerdings hatten sie in dieser Hinsicht sich bisher noch nicht getraut ihre Eltern auf Sponsoring anzusprechen.
Kurz vor Mitternacht verabschiedeten sich die einzelnen Familienmitglieder und auch Tobias musste, gegen seinen Willen, zu Bett.
Kapitel 5: Spiel mit mir
Zornig warf Tobias die Tür hinter sich zu.
»So eine Scheiße, warum muss ich jetzt ins Bett? Ich bin doch noch nicht mal müde!«, schimpfte der Junge vor sich hin. Voller Wut ging er ins Badezimmer, das sich angrenzend an seinem Zimmer befand. Er putzte, schrubbte, seine Zähne, dann warf er seine Klamotten quer durchs Bad. Anschließend machte er die Dusche an und stieg darunter. Lange ließ er das Wasser über sich laufen. Die Wärme des Wassers ließ die Duschkabine beschlagen, so dass Tobias auch nicht lange brauchte, bis er auf die Idee kam, Gespenster und Hexen auf die angelaufenen Duschkabinenwände zu malen. Doch dann fiel ihm ein, dass seine Mutter gesagt hatte, dass es das alles nur in Märchen geben würde. Erneut stieg der Zorn in ihm auf. Mit der Handfläche wischte er die Figuren wieder weg, dann verließ er die Dusche, trocknete sich ab und besah sich im Spiegel. – Ein kleines Bäuchlein hast du ja schon –, dachte er. Aber dann grinste er seinem Spiegelbild entgegen und hüpfte in seinen Superman-Schlafanzug. Anschließend ging er in sein Zimmer. Er lief zum Fenster und sah hinaus. Aber außer der großen Parkanlage konnte er nichts sehen, was gespenstisch oder hexisch aussah. Seufzend ging er in sein Bett und ließ sich in dieses hineinfallen. Vom Bett aus sah er all seine vielen Kartons, die er morgen auspacken musste. – Ich werde mal Stefanie fragen, vielleicht hilft sie mir ja dabei? –, überlegte er. Dann drehte er sich zur Wand und zog sich die Decke über den Kopf.
Tobias war fast eingeschlafen, als er ein Weinen hörte. Ein fast unhörbares, aber sehr trauriges Weinen. Irgendwie hatte Tobias das Gefühl, dieses Weinen heute schon einmal gehört zu haben. Nein, es war nicht heute, es war gestern. Gestern, als er mit Emilie unten im Keller war. Genau da hatte er dieses Heulen schon mal gehört. Tobias warf die Decke von sich und setzte sich aufrecht in seinem Bett hin. Er sah sich in seinem Zimmer um, doch er konnte nichts sehen. Enttäuscht zuckte er mit den Schultern und legte sich wieder hin. Gerade als er wieder am Einschlafen war, hörte er eine traurige Stimme.
»Warum legst Du Dich wieder hin? Ich versuche schon den ganzen Tag Dich auf mich aufmerksam zu machen. Gut, zuerst nicht, da habe ich versucht mein Weinen zu unterdrücken, aber das gelang mir nicht. Immerhin, wie auch, ich weine ja schon seit vierhundert Jahren, da gibt man das nicht von heute auf morgen auf. Aber jetzt, jetzt bin ich hier bei Dir und Du beachtest mich so gar nicht. Dabei habe ich doch heute gehört, wie Du Deine Mutter erzählt hast, dass Du mich suchst. Und hier bin ich. Aber jetzt siehst Du nicht einmal nach mir. Im Gegenteil, Du tust gerade so, als sei ich Luft, als gäbe es mich gar nicht. Als wenn ich gar nicht hier wäre. Aber ich bin hier, genau hier! Komm, spiel mit mir. Warum willst Du nicht mit mir spielen?« Immer lauter weinte die Stimme.
Tobias sprang, wie von der Tarantel gestochen, aus seinem Bett. Er drehte sich in seinem Zimmer, als wäre er sein Kreisel. Mit schnellem Blick versuchten seine Augen sein Zimmer zu durchforschen. Aber er konnte nur verschwommen sehen. Schnell griff er zu seinem Nachttisch und zog seine Brille zu sich her, setzte sie auf. Nun war seine Sicht klarer. Aber erkennen konnte er dennoch nichts. Für Tobias sah noch immer alles gleich aus.
Dann, dort drüben in der Ecke, was war das? War es Nebel? Hier, in seinem Zimmer? Unmöglich. Doch was sonst konnte es sein? Hatte seine Mutter womöglich einen ihrer hauchdünnen Vorhänge hier aufgehängt? Bloß nicht, denn diese Dinger hatte er noch nie leiden mögen. Plötzlich hörte er es wieder. Das Weinen.
»Spiel mit mir, Junge. Warum willst Du nicht mit mir spielen? Ich bin hier, hier drüben. Siehst Du nicht, ich sitze auf Deinem Bett.«
»Wer bist Du? Und auf meinem Bett kann ich mal gar nichts sehen. Zeig Dich doch, wenn Du da bist. Immerhin hast Du ja mich angesprochen, und nicht ich Dich.« rief Tobias in den Raum hinein, wobei er seinen Blick nicht mehr von seinem Bett ließ.
»Du kannst mich nicht sehen? Soll das heißen, dass ich in den vergangenen vierhundert Jahren unsichtbar geworden bin? Oh nein, bloß nicht. Wie sollen wir denn dann miteinander spielen können, wenn Du mich gar nicht sehen kannst?« Das Weinen wurde lauter und verzweifelter.
»Woher soll ich das wissen? Du willst doch