Als erstes fand Laura ihre Stimme wieder.
„Kaffee?“, fragte sie krächzend und räusperte sich.
Er nickte und setzte sich auf einen der anderen beiden Stühle.
Er aß nichts, trank nur den Kaffee und entgegen ihres Versprechens fragte Laura ihn aus. Woran er sich erinnern könne, ob es klug gewesen sei aus dem Krankenhaus abzuhauen, warum er überhaupt abgehauen sei und was er nun vorhabe. Er hatte keine Antworten auf ihre Fragen, er war überfordert.
Jenna war froh, als sich ihre Schwester verabschiedete, um ins Atelier zu fahren und die Fotos von gestern zu bearbeiten.
„Musst du auch weg?“, fragte er, während sie den Tisch abräumte.
Sie schüttelte den Kopf. „Nein, heute nicht, ich habe gesagt ich hätte was familiäres zu erledigen, morgen muss ich wieder zur Arbeit.“
„Was machst du beruflich?“
„Ich bin Humanbiologin, mein Bereich ist die Anatomie und zurzeit arbeite ich mit zwei Kollegen und einem Computerexperten an meinem eigenen Forschungsprojekt.“
„Und du teilst dir die Wohnung mit ihr?“
„Ja, Laura, meine Schwester, wie du vielleicht schon mitbekommen hast.“
„Warum?“
„Die Mieten sind so hoch in Berlin, als wir beide herkamen, schien es uns die beste Lösung zu sein. Die Wohnung ist groß genug, genug Platz für uns beide und man hat einen Zugang zum Dach, da sitzen wir manchmal, eine Art Dachterrasse.“
Er nickte zum Zeichen des Verständnisses.
„Was hast du jetzt vor?“, fragte sie ihn. „Wie willst du herausfinden wer du bist und was geschehen ist?“
Sie stellte die Butter in den Kühlschrank und griff die Milch. Er zuckte mit den Schultern und verzog vor Schmerzen das Gesicht.
„Ich habe keine Ahnung“, antwortete er.
Sie stellte die Milch weg und setzte sich zu ihm.
„Wäre es nicht doch besser gewesen, im Krankenhaus zu bleiben, oder die Hilfe der Polizei in Anspruch zu nehmen?“
Er schüttelte den Kopf.
„Warum nicht, was lässt dich glauben, dass es falsch wäre?“
„Ich weiß es einfach, ich kann nicht zur Polizei und ich konnte nicht im Krankenhaus bleiben. Dass du mich hierher mitgenommen hast, war das Richtige.“
Er hatte recht, es war das einzig richtige gewesen, er konnte nicht zur Polizei, dachte Jen.
„An was kannst du dich sonst noch erinnern?“
Er überlegte, dann sagte er: „Ganz schwach daran, wie mich die Polizei befragt hat. Ich weiß, dass wir in Berlin sind und ich die Stadt gut kenne, ich kann Auto fahren, ich glaube ich spreche mehr als nur eine Sprache, sonst nichts.“
O.K., Autofahren und Berlin waren doch ein Anfang. Vielleicht konnte Markus ja etwas über die Zulassungsstelle oder das Einwohnermeldeamt herausfinden, er war Kripobeamter. Der Name Danjal war wahrscheinlich auch nicht so häufig. Sie sagte es ihm.
„Lass die Polizei aus dem Spiel!“, antwortete er barsch und in seiner Stimme schwang etwas Herrisches mit.
„Sie haben meine Personalien, wahrscheinlich werden sie mich kontaktieren nach deinem Verschwinden, komisch, dass sie es bisher noch nicht getan haben“, sagte sie unsicher.
„Du wirst ihnen nichts erzählen über mich oder, dass ich bei dir bin!“
Nein, sie würde ihnen natürlich nichts erzählen.
Das bisschen Farbe das er vorhin noch im Gesicht hatte, war verschwunden, er war wieder leichenblass, ihr ging es besser.
Scheiße! Er war am Ende, er konnte nicht mehr, alles tat ihm plötzlich wieder weh. In seinem Kopf überschlugen sich die Gedanken, er konnte sich nicht mehr konzentrieren. Wie aus weiter Ferne drangen ihre Worte an sein Ohr. Hinlegen sagte sie, er solle sich hinlegen. Er schaffte es noch zu nicken und fühlte plötzlich etwas Weiches unter seinem Körper, dann empfing ihn erneut diese erlösende Schwärze.
Elias war noch einmal zu dem Lagerhaus gefahren. Nichts erinnerte mehr an das Massaker, das hier stattgefunden hatte. Wo war ER danach hingegangen? ER war schwer verletzt gewesen. Sie hatten einen Weg gefunden IHN zu überwältigen und seine Fähigkeiten auszuschalten, um ihn zu foltern und an die Informationen heranzukommen, die sie benötigten. Sie hatten gedacht ER sei tot, man konnte IHN nicht töten, hatten sie denn wirklich geglaubt mithilfe des Zeichens würde sich das ändern?
ER konnte trotzdem nicht weit gekommen sein, ER war zu geschwächt gewesen. Elias wusste, dass ihm immer noch die Möglichkeit blieb, zur Polizei zu gehen in der Hoffnung ER hätte irgendwie Kontakt mit ihnen gehabt. Aber das war unwahrscheinlich, ER war bei weitem zu schlau der Polizei in die Arme zu laufen. Trotzdem, das musste er im Hinterkopf behalten, sollte sich nichts weiter ergeben.
Elias lief über das Gelände und schaute sich gründlich um. Als er an das Ende des Areals kam, das mit einem Zaun gesichert war, lief er daran entlang. Er entdeckte nach einigen Metern ein Loch in dem Maschendraht. Es war nicht sehr groß und daher eigentlich unauffällig. Elias ging näher heran und bog den Draht zur Seite, das Loch wurde größer. Er kletterte hindurch. Auf der anderen Seite fand er Blut auf dem Boden. Er schaute sich um und fand einen Trampelpfad, dem er folgte.
Während Danjal auf dem Sofa lag, war Jenna schnell zur Apotheke gelaufen, um neues Verbandsmaterial zu kaufen. Als sie zurück ins Wohnzimmer kam, war er verschwunden. Nervös legte sie die Sachen ab und schaute sich um.
Sie fand ihn auf dem Dach. Er saß auf dem Boden, hatte die Beine angezogen und die Arme auf den Knien abgelegt. Er starrte in die Ferne. Sie ging zu ihm hinaus und setzte sich neben ihn, dass sie einen kalten Poo bekam, versuchte sie zu ignorieren.
„Ich weiß nicht einmal was meine Lieblingsfarbe ist“, sagte er mit einem traurigen Lächeln, ohne sie anzuschauen. „Oder ob ich Eltern habe, die nach mir suchen oder Geschwister, wer meine Freunde sind oder was ich gerne esse. Ich weiß gar nichts.“
„Wir werden es herausbekommen, du wirst dich wieder erinnern. So eine Amnesie nach einem traumatischen Erlebnis löst sich irgendwann auf. Komm mit rein, ich habe Verbandszeug geholt.“ Er schaute sie an und stand auf.
Es war ihm sichtlich unangenehm, als sie die Verbände löste und sie gegen neue austauschte. Die Schnitte waren genäht worden und heilten erstaunlich gut, Jen war überrascht. Als sie seine Schulter verarzten wollte, wich er zurück.
„Ich bin vorsichtig, versprochen“, sagte sie und er ließ sie gewähren.
Er stöhnte auf und zitterte, als Jen die Gase entfernte. Die Brandwunde heilte nicht so gut wie der Rest, es sah böse aus und sie musste schlucken. Ganz vorsichtig und sorgfältig verband sie es neu.
5. Kapitel
„Na toll! Ich wollte heute zu Hause arbeiten“, schimpfte Laura.
„Na kannst du doch auch“, antwortete Jenna
„Nicht wenn er hier bleibt.“
„Wiese nicht?“
„Er ist ein Fremder, über den wir nichts wissen!“
„Das hatten wir