Es hatte sich herumgesprochen, dass Dorran Briefe schrieb, gegen Bezahlung natürlich und vor dem nächsten Winter hatte er damit eine Menge zu tun. Der Schwanenwirt kannte hauptsächlich Zahlen, hatte aber einen Gerichtsstreit in Mittelstadt. Damit er nicht immer in die Hauptstadt musste, erledigte Dorran die Korrespondenz für ihn. Er zahlte gut, einen Wertstein pro Brief, und jede Woche war auch einer zu Schreiben. Die Kinder und die Hunde mussten essen, genauso wie er selbst. Außerdem, das musste er zugeben, die Briefe trugen auch zu seiner eigenen Unterhaltung bei. Höchstens mit dem Pfarrer, der einmal die Woche vorbeikam, führte er ernste Gespräche, sonst sprach er nur mit den Kindern. Wobei er sich mit seiner Kinderschar gerne befasste, sie waren alle klug und willig zu lernen, keiner drückte sich vor irgendeiner Arbeit. Er schaute immer gern dabei zu, wie Bella Staub wischte, sie stellte sich dazu auf einen Schemel und putzte dann, gründlich und mit ernster Mine, über das jeweilige Möbelstück. Mitten im Staubwischen schien ihr aber grundsätzlich etwas anders einzufallen, das Staubtuch blieb liegen und sie lief hinaus um ihrem Einfall zu folgen. Kurz darauf kam dann kopfschüttelnd Melissa herbei und beendete, was Bella angefangen hatte. Nie hörte er ein Wort darüber von ihr.
Keines seiner Kinder beklagte sich über die Hausarbeit oder das Kochen, darüber war er froh, er hätte ungern jemanden eingestellt. Nicht wegen des Geldes, nein, leisten könnte er es sich schon, aber eine Fremde würde ihr Idyll stören, ihm gefiel es wie es war.
Im November kam dann eine junge Frau und fragte nach einem freien Zimmer, der Pfarrer hätte sie geschickt, sie brauchte einen Platz für den Winter. Dorran bat sie herein und machte ihr Tee. Er überließ sie einen Augenblick sich selbst in der guten Stube, während er Wasser aufsetzte. Als er zurückkam, war sie umringt von Kindern und Hunden. Alle redeten durcheinander, das reinste Chaos, Dorran, dem sonst nie etwas peinlich war, wurde rot.
Die junge Frau fragte ihn daraufhin direkt. „Wo ist denn Ihre Frau? Die Kinder sagen, sie haben keine, aber bei so einer großen Schar, wie kommen sie da zurecht?“ Sie sah ihn mit Schalk in den Augen an.
Er musste grinsen. „Wir helfen uns alle gegenseitig. Das klappt wunderbar, wir sind sehr zufrieden so. Sie wollen also ein Zimmer mieten. Darf ich fragen, wieso ausgerechnet bei uns?“ Die junge Frau gefiel ihm.
„Nun, erst einmal möchte ich mich vorstellen. Mein Name ist Simone Fischer, ich bin Lehrerin. Meine Anstellung in der Hauptstadt habe ich gekündigt, als ich ein Angebot für Kirchberg bekam. Ich mag die Stadt nicht besonders, ist mir zu hektisch da. Aber jetzt beginnt die Schule hier erst im Januar oder Februar, das kommt auf das Wetter an, sagt der Pfarrer. Später kann ich auch im Schulhaus wohnen, aber die nächsten drei Monate benötige ich eine Unterkunft.“
Er sah sie ungläubig an. „Hier ist es aber niemals wirklich ruhig. Vier Kinder und vier Hunde, da geht es manchmal auch hektisch zu, vielleicht suchen sie besser woanders, Fräulein Fischer?“
Simone sah sich um und dann lächelte sie. „Das nennen sie hektisch? Sie waren nie in einer Schule in der Stadt, nein, mir ist hier alles sympathisch, könnte ich das Zimmer einmal sehen?“
Simone blieb ebenfalls. Sie zahlte einen Wertstein im Monat und half einfach überall mit. Das machte die geringe Miete wieder wett, denn jetzt gab es Kuchen, interessante Eintöpfe und das Beste von Allem, sie hatte zwei Lehrbücher im Gepäck. Neue Bücher, egal welche, waren bei Familie Dorran sehr beliebt.
An Weihnachten kam es allen so vor, als wäre Simone immer schon da gewesen. Dorran schlug eine Tanne und Simone und die Kinder schmückten sie. Die Hunde rannten den Baum zwei mal um, aber Simone schimpfte sie nur kurz aus und baute den Baum dann lachend mit den Kindern wieder auf. Sie lachten überhaupt viel, ihr Leben hatte sich mit Simones Einzug noch einmal verschönert. Jetzt hatte jeder das Gefühl, Teil einer intakten Familie zu sein.
Kurz vor Weihnachten rief er die Kinder zusammen und fragte sie, ob es ihnen recht wäre, adoptiert zu werden. Er erklärte die Sache ausführlich, und, er rannte offene Türen ein.
Selbst Bella fragte schelmisch. „Kann ich dann endlich Papa sagen?“
Er setzte einen Brief auf, den er nach Mittelstadt schickte, erklärte die Situation und man sollte es kaum glauben, kurz vor Weihnachten kam dann schon die Bestätigung. Dorran las diesen, für alle wichtigen, Brief nach dem Abendessen vor.
Sehr geehrter Herr Dorran,
Ihr Anliegen hat mich ehrlich gesagt sehr gefreut.
Unsere Waisenhäuser quellen im Moment über,
und wir haben drei davon in der Hauptstadt.
Private Initiative, wie die Ihre, findet sich sehr selten.
Die Urkunden gehen ihnen gleich im neuen Jahr zu.
Ich wünsche ein gesegnetes und vor allem glückliches Fest
mit ihrer nagelneuen Familie.
Hochachtungsvoll Julius Maier, Standesbeamter.
Es gab eine große, knusprige Gans mit Rotkraut und Semmelknödel, von denen keiner wie der andere aussah. Die Kinder hatten eifrig beim Kochen geholfen. Nach dem Essen gab es kleine Geschenke, Haarspangen für die Mädchen und ein Taschenmesser für Daniel, sogar die Hunde bekamen jeder eine Knackwurst. Dorran war zufrieden wie noch nie, er liebte seine Kinder, und das waren sie jetzt, die Hunde und inzwischen sogar Simone, die nicht mehr wegzudenken war.
Ihn grauste, wenn er an das Neue Jahr dachte, an den Tag, an dem das Schulhaus fertig war. Dann musste sie fort. Inzwischen machte es ihm nichts mehr aus, nie in den Norden gekommen zu sein, er wurde hier akzeptiert, in Kirchberg, sogar vom Pfarrer. Und sollte es sich einmal ergeben, konnte er immer noch losziehen, aber jetzt, würde er erst einmal hierbleiben.
Im Januar wurde erst Melissa und dann, nach und nach die anderen Kinder krank. Eine schwere Grippe hatte sie niedergeworfen und besonders bei Diana stieg das Fieber stark an. Simone und Dorran pflegten die Kinder Tag und Nacht, kühlten sie mit Schnee und flößten ihnen Tee mit Honig ein. Daniel erholte sich Mitte Januar als erster und als der Monat herum war, waren alle über dem Berg, alle, bis auf Dorran, den es jetzt erwischte. Es ging ihm schlecht, sein Fieber stieg und alle kümmerten sich um ihn. Er brauchte bis Ende Februar, um wieder auf die Beine zu kommen. Und selbst da, fühlte er sich noch schwach.
Simone hatte sich, mit Hilfe der Kinder, in der Zwischenzeit um ihn gekümmert. Das Haus war sauber, die Kinder gut gekleidet und die Hunde satt. Er konnte ihr nicht genug danken. „Aber Simone, hättest Du in der Zwischenzeit nicht ins Schulhaus ziehen müssen?“ Er sah sie fragend an.
Simone lächelte. „Nein, der Pfarrer hatte Verständnis. Ich kann hier wohnen bleiben, sagt er, „Du brauchst noch Hilfe bei den Kindern und im Haushalt. Er scheint Dich zu mögen.“
Dorran dachte sich seinen Teil, der Pfarrer hatte es faustdick hinter den Ohren. Aber... Dorran brauchte Simone, nicht nur wegen der Kinder, nein, auch für sich selbst. Mit ihr fühlte sich einfach alles richtig an, nicht auszudenken, wie farblos das Leben ohne sie sein würde. Hoffnungsvoll machte er Simone einen Heiratsantrag, den sie freudestrahlend annahm.
Im März heirateten sie, die Kinder jubelten, Simone würde für immer bleiben.
Waldbrand
Ein paar Jahre gingen ins Land, Dorran war glücklich mit seiner Familie. Simone unterrichtete weiter, eine andere Lehrerin gab es nicht in Kirchberg. Melissa wurde ohne Probleme zur Frau, Simone stand ihr zur Seite. Dorran war dankbar, ihm wäre es schwer gefallen alles zu erklären, wusste er selbst doch nur so ungefähr Bescheid. Solche Dinge hatte ihm niemand erklärt. Jetzt erfuhr er allerdings wirklich alles, denn er lauschte, heimlich und sehr aufmerksam, Simones Erklärungen. Das hätte er im Leben nicht gewusst und schon gar nicht so gut erklären können, er war Simone dankbarer denn je.