Eva Finkenstädt
Gold in Tüten
Krimikomödie
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Inhaltsverzeichnis
Montag
Es begann wie ein ganz normaler vorweihnachtlicher Montag. Als die Belegschaft des Minimarkts an diesem frühen Morgen zur Arbeit kam, warteten vor der Garagentür schon Paletten voller neuer Ware auf sie. Marlies, die schon um zwanzig nach sieben mit dem Bus gekommen war, stand auf der Treppe zum Frühstücksraum und rauchte eine Zigarette, den Mantel noch einmal über die Dienstkleidung gestreift; die anderen zogen sich um, und im letzten Moment erschien auch der Lehrling Mahmut, der, wie üblich an Montagen, übernächtigt und verkatert war. Manuela, die ihre Kolleginnen jeden Tag mit einer anderen Farbe erfreute, war heute an Haar, Ohren und Handgelenken orange geschmückt. Sie war auch schon als Weihnachtsfrau erschienen oder in der Tracht ihres Heimatdorfes und bei wichtigen Fußballländerspielen in den Nationalfarben.
Um halb acht schloss der Chef den Laden auf, und die Belegschaft strömte hinein.
Dann begann eine halbe Stunde fieberhafter Aktivität.
Rolf, der Ladenbesitzer, überprüfte jede einzelne Position der neuen Lieferung und zeichnete die Lieferscheine ab. Anna räumte die Wurst aus der Theke, wusch die Tabletts mit heißem Wasser aus, schnitt jede einzelne Wurst frisch an und legte sie wieder zurück. Manuela schaffte die Körbe mit Backwaren herein, räumte Brote in die Regale und buk frische Brötchen. Marlies legte die aktuellen Zeitungen aus und packte das neue Fleisch in die Fleischtheke. Mahmut und Daniel, der seine Lehre als Verkäufer schon beendet hatte und ein weiteres Jahr lernte, um Einzelhandelskaufmann zu werden, füllten das Obstregal auf, fuhren die Obstwagen nach draußen und spannten die Sonnenschirme darüber auf.
Pünktlich um acht Uhr war alles fertig, jeder streckte sich und atmete noch einmal tief durch, dann wurde die Türe aufgeschlossen und die ersten Kunden kamen herein. Rolf zog sich in sein kleines Büro zurück, um die neuen Lieferungen in den Computer einzugeben, Marlies setzte sich an die Kasse und Mahmut und Daniel zogen sich in die Garage zurück, um die Palette mit frischem Obst abzuräumen.
Bis zu diesem Zeitpunkt war alles alltägliche Routine gewesen.
Don Luciano regt sich auf
„Nun beruhigen Sie sich doch, Padrone“, sagte der schmächtige kleine Mann. „Denken Sie an Ihren Blutdruck!“
„Mein Blutdruck ist mir scheißegal“, schrie der Padrone. „Keiner klaut Don Luciano zweihundert Kilo Koks und kommt ungestraft davon!“
„Wir wissen ja noch gar nicht, wo der Stoff hingekommen ist. Vielleicht ist es ja auch nur ein Versehen, eine unbedeutende kleine Verspätung …“
„Ja, und vielleicht bin ich der Weihnachtsmann? Für wie blöd halten Sie mich, Silvio? Die Lieferung hätte heute morgen spätestens angekommen sein müssen, und sie ist nicht da! Das ist alles, was für mich zählt. Und ich sage Ihnen das eine: Mit mir macht man so etwas nicht! Mit mir nicht!“
Silvio Francini seufzte. Das war wieder einmal einer jener Tage, an denen er seinen Job hasste. Aber was sollte er machen? Wer einmal Privatsekretär eines Paten geworden war, verließ diesen Job erst als Leiche wieder. Oder zumindest war er kurz danach eine geworden und hatte zudem eine höchst unübliche Begräbnisstätte gefunden. Die Aufstiegschancen hingegen waren minimal.
„Wir sollten erst einmal überprüfen, ob es sich nicht vielleicht doch um ein Versehen handelt. So etwas kommt vor, wissen Sie.“
Der Pate ließ sich krachend in den stabilen Stuhl hinter seinem großen Schreibtisch fallen. Silvio hatte noch nie verstanden, wozu Don Luciano einen so großen Schreibtisch brauchte. Es war ja schließlich nicht so, als ob er darauf irgend etwas geschrieben hätte. Silvio war es, der seiner eigenen Ansicht nach die ganze Arbeit machte; und er fand, er sei völlig unterschätzt und vor allem unterbezahlt. Der Padrone selbst wäre allein mit seinen Telefonen zurechtgekommen, und für die hätte er keinen Schreibtisch gebraucht.
Silvio hielt seinen Chef nicht für besonders intelligent. Es war schon ein Wunder, dass er seine Telefone nicht durcheinanderbrachte: den Festnetzanschluss für die offiziellen Geschäfte und den für Privates sowie das knappe Dutzend nicht ortbarer Handys für alles andere, einschließlich des roten Handys für Notfälle, dessen Nummer alle seine Abteilungsleiter und deren Stellvertreter im Kopf – und nur im Kopf – haben mussten.
„Wissen Sie, Silvio, es geht mir ja nicht um die paar Kilo Koks. Oder um das Geld, das uns da durch die Lappen geht. Die sind mir scheißegal. Aber ich kann auf keinen Fall zulassen, dass irgend ein dahergelaufener Penner einen Don Luciano reinlegt!“
Silvio nickte vorsichtig.
„Und sollte irgend etwas von dieser ganzen üblen Geschichte nach draußen durchsickern, dann möchte ich verdammt nochmal, dass dieser Satz dabei ist. Don Luciano scheißt auf die paar Kröten. Die Sache ist ernst: Hier geht es um die Ehre!“
Silvio nickte noch etwas vorsichtiger. Gelegentlich besserte er sein mickriges Gehalt dadurch ein wenig auf, dass er Informationen aus der Organisation weitergab. Nichts Weltbewegendes, Gott bewahre, auch nichts wirklich Wichtiges; eher so kleine, harmlose Anekdoten, die keinem wehtaten. Diese Geschichte wäre so eine davon.
Don Luciano wusste das und nutzte es von Zeit zu Zeit zur gezielten Desinformation. Seine Konkurrenten lasen diesem nichtsnutzigen Sekretär jedes Wort von den Lippen ab, als hätte es der Papst geäußert, und begriffen nie, warum er manchmal völligen Blödsinn von sich gab.
Das mit der Ehre und der Reputation war ja schön und gut, aber fürs Geschäft war es allemal besser, man wurde ein wenig unterschätzt, fand der Don. So hatte es ihm sein Vater beigebracht, und der hatte Recht gehabt.
Aber dass sie ihn offen vor seinen eigenen Augen bestahlen, das ging denn doch zu weit. Das konnte er sich nicht bieten lassen. Das würde einen Schatten auf seinen guten Namen werfen, den er sich so sorgfältig ausgesucht hatte. Denn natürlich hieß er nicht wirklich Don Luciano. Aber sein wahrer Name lag so weit zurück in der Vergangenheit, dass kaum noch jemand sich daran erinnerte.
Seufzend lehnte er den massigen Körper in seinem Schreibtischstuhl zurück und sah widerwillig auf seinen Sekretär, der unruhig von einem Fuß auf den anderen trat und auch seine Hände nicht stillhalten konnte. Gut so. Manchmal musste man die Kerle ein bisschen beunruhigen, sonst fühlten sie sich zu sicher.
„Also, was tun wir jetzt?“, fragte er schließlich.
Silvio atmete auf. Der Kelch des Patenzorns war einmal mehr an ihm vorübergezogen.
„Vor allem müssen wir