nur Tod und Verderben. Nicole Heuer-Warmbold. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Nicole Heuer-Warmbold
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783742730459
Скачать книгу
brauchte sie mich. Sie erzählte mal, ihr jüngerer Bruder würde mich hassen, was ich bin, meine Familie. Wofür meine Familie steht. Ich bin ihm allerdings nie begegnet. Wir haben uns nicht oft gesehen, Gela und ich, fünf-, sechsmal im Jahr, immer nur für wenige Tage. Mehr brauchte, mehr wollte sie auch nicht, sie sagte, diese Tage reichen ihr.“

      „Und Euch?“

      Er warf ihr einen raschen Seitenblick zu, zuckte die Achseln. „Es war genau das, was ein Mann sich wünscht, nicht wahr? Keine Verpflichtungen, keine Fragen. Kein Alltag, kein Ärger, nichts. Und anfangs reichte es mir tatsächlich, später … Sie hat mir nicht mal gesagt, dass sie ein Kind erwartet, der Kleine war einfach da. Bevor Ihr fragt, ich habe ihn anerkannt, Mavi ist mein Sohn. Gela wollte das nicht, sie fragte, wie ich denn sicher sein könne, sein Vater zu sein. Nun, ich bin sein Vater und ich stehe zu meiner Verantwortung, meinen Verpflichtungen, auch wenn ihre lausigen Brüder das … Aber wer weiß, ob die überhaupt noch leben, irgendjemand aus ihrer Familie. Vielleicht hat der Junge nur noch mich. Und ich …“ Mara hörte, spürte, wie Hiron um eine feste Stimme kämpfte. „Würdet Ihr Euch des Jungen annehmen, bis ich zurückkehre?“

      „Hiron …“

      „Ich bin nicht lebensmüde, Mara, aber es ist eine Chance, Domallen hat das doch nicht nur so angesprochen: näher an die Ostländer, gar an Marok heranzukommen, um sie mit falschen Informationen zu füttern und dabei selbst Wissen über ihr Vorgehen, ihre Pläne zu sammeln.“

      „Es ist Selbstmord, Ihr dürft …“

      „Ich weiß, was Euer Mann sagt, und ja, es ist gefährlich. Doch jemand sollte es tun, und ich kann keinem meiner Männer einen derartigen Auftrag erteilen. Ich muss es selber machen, Zauberin.“

      „Es ist gleichgültig, was ich sage, oder? Ihr habt das bereits für Euch entschieden.“

      Hiron brummte nur, hockte sich zu seinem schlafenden Sohn und strich ihm behutsam über das Haar. „Ich muss es tun, versteht Ihr das nicht? Für ihn, und für Gela.“

      Doch die war tot und Hiron auf dem Weg, sich zu opfern. Für eine bloße Möglichkeit, die vage Chance, den Verlauf des gerade beginnenden Krieges in eine günstigere Richtung zu lenken. Mara sprach es nicht aus, sie sagte ihm auch nicht, dass sein Verhalten im Zweifelsfall als Desertion betrachtet werden könnte. Fragte ebenso wenig, warum er nicht seine Schwester Ondra darum bat, auf seinen Sohn acht zu geben.

      „Was … wollt Ihr ihnen denn sagen? Falls …“

      „Falls sie mich nicht gleich totschlagen? Keine Ahnung, das heißt … Himmel, Mädchen, Ihr fragt … Wie kann ich das denn jetzt schon wissen?“

      „Sie werden Euch foltern, das ist Euch doch klar? Sie werden Euch quälen, bis Ihr nur noch schreit, nicht mehr denken, nicht mehr sprechen könnt, bis …“

      „Ihr braucht mir keine Angst zu machen, die …“ Er verstummte abrupt. Ron trat zum Wachfeuer, schaute von ihr zu Hiron. „Hauptmann.“

      „Setzt Euch, Gardist. Was gefunden?“

      „Keine Ostländer.“ Ron setzte sich dicht hinter Mara und strich, unter der Decke, die sie sich umgelegt hatte, über ihren Rücken, ihre Seite. Sie spürte seine Hände zittern, ganz leicht nur.

      „Zwei erschlagene Frauen und einen Jungen. Die Schweine haben ihm die Kehle durchgeschnitten.“

      Ron war zu nah, als dass Mara sich gegen die Bilder in seinem Geist hätte wehren können, ächzte unterdrückt, presste die Faust gegen den Mund. Das hatte sie also gespürt, letzte Nacht, kein Alptraum, sondern wirkliches Geschehen: ihre Angst, ihre Qualen, ihre Schmerzen, und es war erst der Anfang. „Wie weit?“

      „Einige Wegstunden, keinen halben Tagesritt von hier.“

      Mara nickte bedrückt, tastete nach seiner Hand und lehnte sich zurück, gegen ihn; sie sollte schlafen, zumindest ein paar Stunden. „Hauptmann?“

      Hiron wandte den Blick nicht von dem Jungen, seinem Jungen, und nickte leicht zum Zeichen, dass er hörte.

      „Ich … ich heiße Euer Vorhaben nicht gut, aber …“ Sie biss sich auf die Lippen. „Ach, vergesst mein Gerede. Ja, natürlich mache ich es.“

      Hiron verzog das Gesicht zu einem grimmigen Lächeln. „Ihr seid ein guter Mensch, Mara. Nur für den Fall, dass ich Euch das noch nicht gesagt habe. Ruht Euch jetzt aus.“

      Es war dunkel, als Mara erwachte, und es regnete noch immer, doch wehte ein böiger, kalter Wind aus Nordwest. Es roch nach Schnee.

      Hiron war mit dem Großteil seiner Einheit aufgebrochen. Fluchend sprang Mara auf, brüllte und schrie wutentbrannt herum, bis sie den verstörten, misstrauischen Blick des kleinen Jungen Mavi auf sich spürte. Sie verzog das Gesicht. „Auch ’ne Methode, wach zu werden. Komm mit, wir brauchen irgendwas Heißes, am besten Tee.“

      Im Lager herrschte helle Aufregung, ein heilloses Durcheinander, schlimmer noch als am Vortag. Viele Frauen weinten hoffnungslos, beunruhigten dadurch die zahllosen Kinder, die ebenfalls heulten und schrien; die Alten jammerten und klagten. Ondra, begleitet von Liz und Bahadir, der Mia an der Hand hielt, kam Mara tränenüberströmt entgegen. „Oh Mara, er ist einfach weg! Er hat uns im Stich …“

      „Unsinn, das hat er ganz sicher nicht. Mich hat er sitzengelassen, mit diesem … Haufen. Wo ist Ron, oder ist der auch …“

      „Als könnte ich das.“ Ron kam von der Seite und reichte Mara einen Becher dampfenden Tee, hinter sich Janek und zwei Gardisten. „Hauptmann Hiron ist vor rund einer Stunde den Ostländern entgegen gezogen, um ihrem Angriff zuvorzukommen.“

      „Vor einer Stunde? Und du …“ Mara sah, wie er unmerklich den Kopf schüttelte, und trank einen Schluck Tee. „Verstehe. Was habe ich?“

      Ron zögerte kurz und nickte einem der Gardisten auffordernd zu, der noch einen Schritt vor trat. „Ihr habt, mich eingeschlossen, dreißig Gardisten, davon knapp ein Dutzend leicht verletzt, zwei weitere sind momentan kampfunfähig. Außerdem zwei Dutzend Fußsoldaten, einige davon … ähm, angeschlagen. Aber die können alle noch laufen.“

      „Aha. Ihr seid?“

      „Lassan, verehrte Dame.“ Lassan, bärtig, groß, schwer, war keine zwanzig mehr, eher Mitte bis Ende dreißig.

      „Und Ihr habt das Kommando, Lassan?“

      „Nee, ich nicht. Er hier, Euer Leibwächter.“

      „Ach?“ Verwundert musterte Mara Ron. „Wieso das?“

      „Der verfluchte Bastard hat mehr Verstand im Schädel als wir alle zusammen, meint zumindest Hauptmann Hiron. Ich …“, Lassan schnaubte, wirkte betreten. „Entschuldigt, Herrin, ich sollte das so sagen.“

      Wieder fluchte Mara, aber sehr leise, trank einen weiteren Schluck Tee und reichte den Becher an Mavi weiter. „Hier, trink ruhig, er ist nicht mehr zu heiß. Janek, könntest du Mavi und mir was zu essen besorgen? Und für den Jungen vielleicht Kleidung, die nicht ganz so verdreckt ist, seine Sachen stinken.“

      „Klar, ich schau mal, was ich finde.“

      Sinnend sah Mara zu Ron. „Weiter?“

      „Zweiundsiebzig Frauen jeden Alters, dreiundzwanzig alte, und ich meine wirklich alte, Kerle, achtunddreißig Kinder unter zehn Jahren, eine Handvoll halbwüchsiger Burschen und zweimal so viele junge Mädchen.“

      „Kranke, Verletzte?“

      „Ich …“ Ron schaute erst Lassan, dann Ondra irritiert an, zuckte die Achseln. „Sie sind alle erschöpft, ein paar Kinder haben wohl auch Fieber, einige husten, und … Ich habe viele Leute mit oberflächlichen Verletzungen gesehen, aber offenbar keine schwerwiegenden Sachen.“

      „Oh, gut. Wie viele Wagen?“

      „Elf Wagen sind noch fahrtüchtig. Zwei sind jedoch zu stark beschädigt, wir müssen sie zurücklassen.“

      „Ja