Am Hof Karls des Großen. Felix Dahn. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Felix Dahn
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783752933727
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euern Heiligen-Mirakeln reicht euch viel weniger aus, um daran zu glauben! Und hier! Dem Urahn naht, Weg weisend, rettend, der Wolf, dem Urenkel ebenso der Rabe, beide des Waltenden geweihte Tiere –: und das soll Zufall sein? Ei, die Heiligen, zu denen ich schrie, stundenlang, hören mich nicht, aber der alte Schirmer unsrer Sippe, den ich nicht angerufen, rettet mich.« – »Laßt mich ihm den Wahn austreiben,« bat Paulus den Abt, der ernst verweisend den Finger hob. »Ich will ihn schon bekehren. Sprich, Bruder, das ward wirklich deine Rettung?«

       »Sie ward's! Höre nur! – Ich kroch, gebückt, durch den Spalt, immer dem Licht entgegen. Bald war die Enge zu Ende, die Felsen traten zu beiden Seiten zurück, ein Bergquell rieselte zur Linken herab, in dem und neben dem watete ich, mühsam, aber gefahrlos empor: so erreichte ich den Saumpfad, hoch oben, von dem ich herabgestürzt. Ziemlich nah vor mir erschaute ich einen der Almhöfe, die ich suchte: eilig – der Anblick gab mir schnelle Füße – lief ich darauf zu: da horch! Hoch ob meinem Haupte wieder der Ruf des Raben: er flog über mir, getreulich folgend, als ich die Gattertüre des Hofzauns öffnete, krächzte der treue Vogel noch mal, wandte sich pfeilschnell um sich selbst und flog stürmisch nach Westen, wo Walvater wohnt, ihm Kunde zu bringen von meiner Rettung: denn ›im Westen wölbet sich Walhall‹: so flüsterte heimlich die Mutter.« – »Es ist nicht anzuhören,« grollte der Abt. »Genug von dem Federvieh!« »Und gleich auch genug von mir. Die guten Stammgenossen in dem Gehöft nahmen den Schlachtwunden gar mildsinnig auf, labten ihn, pflegten sein, wollten ihn nicht fortlassen, bis die Wunde ganz geheilt. Das aber währte mir zu lang: mich trieb das Herz, nach unsrem Herzog zu forschen, nach Benevent zu eilen, für Frau Adalperga zu kämpfen, tat das Not.« – »Bruder, wackrer! Ach beneidenswerter!« – »Aber auf dem Wege dorthin brach die kaum geheilte Wunde wieder auf: ich blieb hilflos liegen auf der staubigen Straße: da fand mich dieser edelherzige Mönch, las mich auf und führte mich – im Sattel kann ich mich noch nicht halten – in seiner eignen Sänfte, führte mich dem verloren geglaubten Bruder zu. Dank ihm von Herzensgrund.« – »Nun wollen wir dich ausheilen!« sprach Paulus, ihm die Hand auf die Schulter legend. – »Ja, vorher bin ich ja zu nichts zu gebrauchen. Dann aber flugs nach Benevent!«

       In Benevent, im Garten des hochgelegenen Kastells, zugleich Palatiums der langobardischen Herzoge, wandelten wenige Wochen darauf die beiden Arichis, Senior und Gasindus, in eifrigem Gespräch: nur selten achtend des schönen Ausblicks, den der prachtvoll gelegene Ort über die hohen Felsenwälle hinweg, über die ragenden Pinien und Cypressen des Burgberges hin, auf die vielfachen Windungen der beiden Flüsse, des Calore und des Tamaro, zwischen üppigen Gefilden gewährte. Der Herzog trug den Schwertarm noch in der Binde; es war aber wohl nicht nur der Wunde Schmerz und Fieber, die sein Angesicht gebleicht hatten, das, eingefallen und hager, ein finsterer Ausdruck beherrschte; er blieb oft plötzlich stehen in dem ungleichmäßigen, bald hastigen, bald zagenden Schritt, auf den Gartenwegen, dem der Gasindus zur Linken stets nachgiebig folgte.

      »Ja,« rief der Herr, »wenn alle, wenn nur ein paar Zehntausend dächten, fühlten wie du, Vielgetreuer! Ich würde nur so lange warten, bis dieser Arm wieder heil. Aber es ist, wie wenn ein Zauber diesem Karl alle Herzen zuwendete. Oder ist es nur schnöde Furcht? Es kann nicht sein! Schlachtbewährte Freunde, sobald sie in seiner Nähe geweilt, mahnen, bitten, beschwören mich, nie wieder das Schwert zu heben gegen diesen Mann. Das hielte mich nicht ab, bei Gott! Ich glaube nicht an diesen Zauber, nicht an seine himmlische Sendung. Glaubt er selbst daran? Vielleicht! Dann bildet er sie sich ein! Wenn jedoch dieser Wahn den meisten meiner Krieger das Schwert in die Scheide bannt, dann wirkt der Wahn wie Wahrheit: ein kleines Häuflein treuer Helden aber würd' ich nur ins sichere Verderben führen!«

       »Führt mich, wohin Ihr wollt, mein Herzog. Ich folge Euch gern: – auch ins Verderben.« – »Ich schwanke noch,« hob der Herzog wieder an, weiter schreitend. »Auch dich hat doch sein Anblick erschüttert?« – »Ich leugn' es nicht. Nie sah ich seinesgleichen! Aber gleichviel, Euch ...« – »Schweige jetzt. Da kommt die Herzogin: sie darf nichts erfahren von meinen Racheplänen, die sie ohnehin schon leise ahnt, mit Angst und Beben: auch ihr hat dieser Karl es angetan, den sie doch nie gesehn. Und dein frommer Bruder dort an ihrer Seite – wie eifrig sie reden! – der würde wohl ...?« – »Er ist Euch – und Frau Adalperga! – mit ganzer Seele ergeben, nicht minder als ich wahrlich: er würde für Euch – beide! – sterben ohne Besinnen. Nur eins hält ihn von unsrem Weg fern ...« – »Nun? Was? Auch Furcht vor Herrn Karl?« – »Mein Paulus kennt nicht Menschenfurcht. Nur der ... der Eidbruch ...«

      Der Herzog stampfte mit dem Fuß: »Pfaffengeschwätz! Kircheneid! Erzwungener Eid ist kein Eid. Ich schwor, nicht um mich, um mein Volk zu retten vor der Zertretung, in jenem Augenblick der Übermacht des Siegers. Diesen Eid zu brechen, – nicht um meinetwillen, nur um dies mein Volk aus der Fremdherrschaft zu befreien –, besinn' ich mich nicht lange. Ja, wenn es Mannes Ehre wäre, Freundschaft, Dankespflicht! Aber so! Und du – denkst du auch wie dein heiliger Bruder?« – »Ich bin Euer Gefolgsmann und folge meinem Herrn durch Recht und Unrecht: in den Tod, in den Himmel oder in die Hölle: allüberall ist mein Platz an Eurer Schildseite.« – »Wackerer! Aber still, da sind sie. – Was habt ihr, das euch so bewegt? Dieses Schreiben da?«

       Die Herzogin und Paulus traten nun in das rings offene runde Tempelchen, in das die breiten sich hier kreuzenden Gartenwege mündeten: – einst war es, wie die Inschrift am Altar bezeugte, den Nymphen geweiht gewesen. Während der Mönch vor dem Herzog sich tief verneigte, ließ sich die Frau auf der halbkreisförmigen Marmorbank vor dem halb verfallenen Altar nieder und reichte dem Gemahl eine kurze Pergament-Schedula: »Ja, das hat uns aufgestört aus unsrem Griechisch Lehren und Lernen. Es ist hoch wichtig für unsern frommen Freund, – auch wohl für andere,« fügte sie sinnend bei.

       Der Herzog nahm: »Ah, ich sehe von Abt Theudemar. ›Meinem teuern Sohn und Schüler Paulus Heil in Christo. Wichtige, lebenentscheidende Nachricht hab' ich dir zu künden: eben traf ein im Kloster, wo man dich vermutete, ein Beauftragter des großen Frankenkönigs: dieser hat durch den heiligen Vater von deiner – des noch so jugendlichen! – tiefen Gelehrsamkeit, zumal auch in der im Abendlande gar seltenen Kenntnis des Griechischen, vernommen und lädt dich durch Papst Hadrianus ein, in sein Palatium zu Aachen zu eilen, zu jenen zahlreichen Gelehrten, die er dort aus dem ganzen Abendlande um sich geschart. Eine Einladung Herrn Karls lehnt man nicht ab: sie ist Befehl‹.« – »So?« riefen wie aus einem Mund trotzig die beiden Arichis. – »Er soll's mit mir versuchen,« lachte der Gasinde. – »Am liebsten,« rief der Herzog, »käm' ich nach Aachen, ungeladen, – mit hunderttausend Helmen. Aber laß uns weiter lesen, was der weise Abt darüber zu sagen hat: ›Gleichwohl, lieber Sohn, enthalte ich mich, dich durch abtherrliches Gebot zu zwingen wie ich dich, den heftig Widerstrebenden, zuletzt flehentlich Bittenden durch Berufung auf dein Gehorsamsgelübde zwang, den Bruder nach Benevent zu begleiten und das Herzogpaar dort aufzusuchen‹« »Ei, ei, Herr Mönch,« so unterbrach der Herzog die Lesung, »das ist ja wenig schmeichelhaft für uns. Ich dächte, zumal Frau Adalperga hätte Besseres von Euch verdient. Ihr sonntet Euch gar gern in ihrem Glanz, solang sie im Glück thronte im Palast zu Pavia: aber nun, da wir im Schatten ...« – »Ja,« sprach die Frau, mit leise vorwurfsvollem Ton und einem tiefen Blick der schönen Augen, »es hätte mir fast weh getan, als ich das las.«

      Da zuckte es schmerzlich über des Mönches bleiches Antlitz, er zerdrückte eine Träne: seine Lippen bebten, aber er fand kein Wort: nur ganz wenig schüttelte er das Haupt. Aber der Bruder kam ihm zu Hilfe: scharf, gespannt hatte er das wehevolle Ringen des Mönches aus dem bewegten Mienenspiel erkannt und verfolgt: »Nicht also, edles Paar,« rief er jetzt lebhaft. »Nicht das – wahrlich! – ist der Grund! Keine Seele hängt treuer an euch als die meines Paulus. Aber diese Seele war krank: ist es wohl noch! Unüberwindliche Furcht vor der Welt, Scheu vor den Menschen hat ihn urplötzlich befallen: so wollte er die stille Klosterzelle am Garigliano, die volle Einsamkeit nie mehr verlassen, selbst nicht, um euch beide wieder zu sehen.« – »Du sprichst wahr,« nickte der Herzog, wieder in die Cartula blickend, »der Abt schreibt: ›Ich kenne ja aus deiner wahrhaftigen Beichte die Gründe dieser Weltscheu, deiner Vergrabung in die Einsamkeit. Aber ich mußte die giftige Pflanze der Verzweiflung an der eigenen Willenskraft an ihrer Wurzel ausreißen: du solltest auch jene Augen wieder schauen können, die du vor deiner plötzlichen Weltabkehr zuletzt gesehen: du