Kaltes Fließ. Birgit Turski. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Birgit Turski
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738002331
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      Sie sah die drei jungen Männer auf den Stufen des Jugendturmes, oder genauer des Turmes der Jugend, wie der alte Bismarckturm offiziell seit 1951 hieß, im hellen Mondlicht schon vom Weg aus und war enttäuscht. Sie wollte sich mit Axel treffen, nicht mit allen dreien, aber die hingen ja immer zusammen wie die Kletten. ‚Hoffentlich schickt Axel sie bald fort,’ wünschte sich das Mädchen ‚oder wir gehen nur zu zweit im Mondschein spazieren. Es wär so schön, einfach mit ihm Arm in Arm durch die Wiese zu gehen.’ Als sie bei den Männern angekommen war, sah sie, dass neben der Bank ein Bierkasten stand, mit einigen geleerten Flaschen und drei großen Flaschen Cottbusser Korn, von denen eine auch schon fast leer war. Die drei Männer rochen auch kräftig nach Bier und dem „blauen Würger“, wie alle den Kornbrand von Melde nannten.

      In Rejzka machte sich ein unangenehmes Gefühl breit, stieg aus dem Magen in die Brust und drängte alle Freude heraus.

      Alkohol und Männer waren die Geißeln der Frauen, hatte die Großmutter gesagt, als die Mutter eines morgens weinend an der Waschschüssel stand und sich Blut aus dem Gesicht wusch. Der Herr habe den Männern diese Macht über die Frauen gegeben, wegen der Erbsünde Evas, und nun müssten die Frauen sich fügen. Damals war Rejzka erst zehn und verstand noch nicht genau, was die Großmutter damit meinte. Aber sie wußte, dass der Vater oft trank und dann grob und gemein wurde, die Mutter beschimpfte und schlug. Rejzka hatte sich dann immer versteckt und sich die Ohren zugehalten. Schon zwei Jahre später erfuhr sie wirklich, was Großmutter gemeint hatte, als sie sagte, die Männer seien die Geißeln der Frauen. Daran wollte sie jetzt nicht mehr denken. Es konnten ja nicht alle Männer so wie der Vater sein. Axel war da ganz anders. Er sprach sanft und ruhig und machte ihr Komplimente.

      Axel stand von der Bank auf und kam ihr einige Schritte entgegen: „Komm, Kleine, lass uns ein Stück spazieren gehen. Die beiden sind gut versorgt und kommen ohne uns aus.“ Er legte fürsorglich den Arm um ihre schmalen Schultern und wandte noch einmal den Kopf zu seinen Freunden: „Ihr entschuldigt uns doch eine Weile?“ Sein Augenzwinkern und das süffisante Grinsen zu diesen mit großem Ernst gesprochenen Worten, konnte das Mädchen nicht sehen. So fasste sie wieder Vertrauen und kuschelte sich an seine Seite.

      Eng aneinander geschmiegt gingen sie den Weg den Schlossberg hinunter. Er erzählte ihr, wie sehr er sie mochte, ihre Zurückhaltung schätzte. Dass sie nicht wie die Mädchen in der Stadt jedem Kerl schöne Augen machte. Er verglich ihre Schönheit mit den Wildblumen und zitierte einen Vers, den sie aus den Poesiealben ihrer Klassenkameradinnen in der sechsten Klasse kannte : „Sei wie das Veilchen im Moose, still, bescheiden und rein und nicht wie die stolze Rose, die immer bewundert will sein“. Sie wunderte sich, dass ein junger Mann etwas sagte, das ihrer Großmutter sehr gefallen hätte.

      Als Axel meinte, nun genug Süßholz geraspelt zu haben, wurden seine Zärtlichkeiten drängender und er zog sie ins warme Gras. Rejzka wehrte sich halbherzig: „Nein, lass mich, ich will das nicht!“ Seine Zärtlichkeiten hatten ihr so gut getan, aber sie spürte seine Erregung und wollte nicht, was nun kommen sollte.

      Axel hatte sie völlig in seiner Gewalt und trotz seiner in ihr Haar geflüsterten Beteuerung, er wolle ihr nicht weh tun und er würde sich vorsehen und ihr erstes mal sollte schön sein, ging er zielstrebig und grob mit ihr um. Aus seinem sehnsuchtsvollen Stöhnen, als er in sie drang, wurde ein frustrierter Aufschrei: “Du Schlampe, du wendisches Miststück, du hast dich wohl schon mit jedem Dorftrottel rumgesielt, na warte, ich zeige dir, was ein richtiger Mann ist, du kleine Fotze...“ Mit jedem seiner Worte stieß er hart und tief in sie, mit der linken Hand drückte er ihren Brustkorb fest auf die Erde und mit der rechten schlug er ihr hart ins Gesicht. Nach dem ersten entsetzten Aufschrei wimmerte sie nur noch leise: „Nein, nein, nein“. Blut lief ihr aus der Nase und aus den Mundwinkeln, dann wurde sie schlaff und still. Sie zog sich in ihr Innerstes zurück und nahm nicht mehr wahr, was ihrem Körper geschah. ‚Nein, nicht schon wieder, nicht mehr, nicht mehr, nicht mehr...’ waren ihre einzigen Gedanken.

      Axel erhob sich und wischte seine blutverschmierte Hand angewidert an ihrem T-Shirt ab. Er sagte zu seinen Begleitern, die ihnen gefolgt waren: „Bedient euch, das Weib ist für alle zu haben, was soll man auch von so ’ner Dorfschlampe erwarten.“ Damit nahm er Peter die Schnapsflasche aus der Hand und trank gierig, während er sich an einen Baumstamm lehnte und mit schiefem Grinsen zusah, wie sich Peter auf das Mädchen legte. Sehr bald erhob Peter sich wieder und torkelte zu den Büschen, wo er sich würgend übergab.

      ‚Verträgt ja wirklich nichts, dieser Kerl. Der kommt nun aus Drebkau,’ grinste Axel in sich rein ‚von wegen Saufdrauke, wie die Drebkauer von ihrem Ort behaupteten.’ Inzwischen machte sich Sven, der auch schon ordentlich Schlagseite hatte, an dem Mädchen zu schaffen, das wie leblos im Gras lag und nur zuweilen stöhnte. „Scheint der zu gefallen,“ lallte Sven nach einem solchen schmerzhaften Aufstöhnen des Mädchens, „eh, komm Axel, wollen wir nen Dreier?“. Mit verkniffenem Mund und gierigem Blick auf das Paar stieß sich Axel vom Baum ab, nahm noch einen tiefen Zug aus der Flaschen und meinte: „Klar, zeigen wir der Nutte mal, wie’s richtig abgeht.“

      Peter torkelte durch das Gebüsch zum Weg. Immer wieder schluckend und hicksend taumelte er zurück zum Schullandheim. Ihn trieb nur ein Gedanke: „Abhauen, weit weg“. Mit alldem wollte er nichts zu tun haben, das konnte nur Ärger geben.

      2

      Marja sah fassungslos auf ihre blutigen Hände, in denen sie das kleine schreiende Wesen hielt, ihre Enkeltochter, verschmiert und schrumplig, winzig war das kleine Wesen und doch so voller Lebenswillen. Hastig wickelte Marja das Neugeborene in warme Tücher und legte es in den ausgepolsterten Karton, der die Wiege ersetzen mußte. Sie wandte sich wieder ihrer Tochter zu, die bleich und wie ausgeleert in der großen Blutlache auf dem Bett in ihrem sicheren Versteck, in das sich Maria sonst immer vor ihrem betrunkenen Mann zurück zog, lag. Kaum merklich hob und senkte sich die Brust der jungen Frau. Erleichtert stöhnte Marja auf, Rejzka lebte, Gott sei Dank. Die Geburt hatte die beiden Frauen überrascht, es war zwei Monate zu früh, nach Marjas Berechnung.

      ‚Im Mai wäre der richtige Termin gewesen,’ dachte sie gerade noch, als ein Aufstöhnen von Rejzka alle anderen Gedanke vertrieb. Lange mühte sie sich, die Blutung zu stillen und die Tochter warm zu halten. Es war erst der 18. März 1990 und nachts noch empfindlich kühl. ‚Nur gut,’ dachte Marja ,dass heute alle damit beschäftigt sind, die Wahlergebnisse im Fernsehen abzuwarten. Keiner wird nach uns sehen.’

      Jurij, ihr Mann saß bestimmt in der Kneipe und schwadronierte mit seinen Kumpanen, Jurk und Kollasche, von der Neuen Wendenpartei, zu deren Ortsvorsitzendem er sich gemacht hatte, über die neue Freiheit. ‚Und natürlich wird er wieder saufen,’ dachte Marja, aber das störte sie nicht mehr.

      Als im letzten Sommer die Ausreisewelle begann die Wende einzuleiten, hatte er zusammen mit seiner neuesten Geliebten versucht Mitte August über Ungarn in den Westen zu kommen. An der österreichischen Grenze war das Pärchen aber zurückgewiesen worden. Nach seiner Rückkehr war er keine Nacht mehr zu Hause gewesen und hatte sich nicht weiter um Frau und Tochter oder den Hof gekümmert. Er kam nur noch kurz vorbei, wenn er etwas brauchte, Geld oder Eier. Inzwischen organisierte er seine politische Karriere in der Wendenpartei, die er im Januar mitgegründet hatte und die seinen Ehrgeiz, endlich groß raus zu kommen, befriedigen sollte. Er wollte weg vom Dorf, am besten als Abgeordneter ganz nach oben.

      Diesmal hatte er keine Chance gehabt, in die Volkskammer zu kommen. Seine Partei war noch zu klein. Aber er war sicher, seine Zeit würde noch kommen. Bei der Karriere, die er vor Augen hatte, war kein Platz für die schüchterne abgearbeitete Maria. So mitten im Wahlkampf hatte er sich nicht scheiden lassen können, aber das hieß ja nicht, dass er sich noch mit ihr abgeben mußte oder mit seiner ebenso stillen Tochter Therese. Die Therese war nicht mehr Pappis süße kleine Prinzessin sondern eine zickige Jugendliche, die mit ihm sowieso nicht mehr sprach und die ihm schon seit zwei Jahren wo sie nur konnte aus dem Weg gegangen war, bis sie im September 89 nach Berlin zur Ausbildung gezogen war. Einmal hatte sie ihn noch im Februar angerufen, weil sie die Ausbildung als Schneiderin geschmissen hatte und in den Westen wollte, in einem Hotel arbeiten. Sie hatten sich angeschrieen, weil er kein Geld schicken wollte. Danach