Das Urvieh. Margret Jacobs. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Margret Jacobs
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783738048070
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knabberte an der kleinen Rübe. Sie schmeckte köstlich! Sie war süß und saftig. Seit Abellus öfters oben in der Menschenwelt war, beschenkte er seine Gefährtin mit Dingen aus dieser Welt. Es waren oft glitzernde Dinge dabei, oder eben Essenssachen. Die Menschen schienen sich zum Teil so zu ernähren wie die Kolis. Zumindest hatte Abellus noch nie etwas Essbares aus der Menschenwelt mitgebracht, was Holda nicht gemundet hätte. Einiges war allerdings sehr salzig oder sehr süß. Man musste dann nach dem Verzehr sehr viel trinken, um den Geschmack auszugleichen. Aber lecker war es trotzdem irgendwie.

      Thomas Baldun schaute unter dem Tisch nach. Er hätte schwören können, zwei Mohrrüben auf das Schneidebrett gelegt zu haben. Es spukte hier, dessen war es sich schon lange sicher. Und das in einer Kirchengemeinde! Oder war es gerade die Kirche, die Gespenster anlockte? Er wusste es nicht. Er nahm Platz auf dem kargen Holzstuhl, der zur schlichten Kücheneinrichtung der Kirche gehörte – für Mitarbeiter – und biss in die übrig gebliebene Mohrrübe. Für Salat reichte diese eine Rübe nicht mehr aus. Er würde hungrig seinen Dienst wieder aufnehmen müssen. Die Zeit reichte auch nicht mehr, um beim Bäcker – zwei Straßen weiter – sich etwas Essbares zu holen. Wie ärgerlich!

      Er öffnete den Kühlschrank, der nach verdorbenen Essensresten stank. Jemand hatte mal wieder sein Mittagessen darin verschimmeln lassen und dieses erst entsorgt, als es wohl schon schwarz geworden war. Thomas Baldun hatte seinen Chef im Verdacht. Die Sekretärin war dazu wohl nicht fähig. Obwohl, man konnte nie wissen. Sie war ja auch Schuld daran, dass das Wasser in der Schale für die Selbstbekreuzigung immer ölig war. Diese Frau schien einen schlampigen Zug zu haben, den man ihr gar nicht zu traute.

      Doch, wenn es tatsächlich Pastor Krech war, der sein Essen im Kühlschrank hatte verderben lassen, hätte Thomas Baldun eh nichts machen können. Was der Chef wollte oder machte, war sein angestammtes Recht und niemand hatte daran zu rütteln. Und schon gar nicht die angestellten Mitarbeiter.

      Den letzten Bissen von der Möhre schluckte er in einem Stück hinunter. Sein Magen knurrte und wollte noch mehr haben. Doch auch in den Schubladen der Kücheneinrichtung ließ sich nichts Genießbares mehr finden. Die Rolle Plätzchen lag schon seit gut einem Jahr in der Schublade mit dem Besteck. Hier musste mal gründlich sauber gemacht werden und etwas mehr Ordnung würde dieser Küche bestimmt auch gut tun. Aber seit Pastor Krech – aus Kostengründen – die Putzfrau entlassen hatte, bekam alles hier einen schmierigen Anstrich. Es roch fast überall unangenehm. Die Mäuseplage war wieder aufgetreten und Frau Meier, die eigentlich laut Arbeitsvertrag nur für Bürosachen zuständig war, musste immer öfters ran, um zu putzen.

      Bisher hatte Pastor Krech, ihn, den Küster, nicht für Putzarbeiten abkommandiert. Das war komisch. Vermutlich dachte der bornierte Roderich, dass Putzen Frauenangelegenheit ist. Ihm, als Küster, hätte es nichts ausgemacht, mal sauber zu machen. Aber er hielt seinen Mund, denn, wer ließ sich schon freiwillig zusätzliche Arbeit aufladen? Er hatte genug damit zu tun, dem Geist, der hier wohnte, auf die Spur zu kommen. Oder eben den frechen Lümmeln aus der Jugendarbeit, die hier ihr Unwesen trieben.

      Holda war keine einfache Gefährtin, das wusste Abellus. Als er sie kennengelernt hatte, war sie ruhiger und mehr einverstanden mit dem gewesen, was er gemacht hatte. Er war nie ein gewöhnlicher Koli gewesen. Sein Vater auch nicht. Abellus musste grinsen. Seine Familie war schon immer seltsam gewesen. Aber das wusste Holda, als sie ihn zum Gefährten genommen hatte. Sie war zunehmend unzufrieden mit dem geworden, was er gemacht und geplant hatte. Nur selten gelang es ihm, sie zu beruhigen.

      Das Rübchen in einem grellen Orange hatte ihr gefallen. Ja, er konnte sie öfters glücklich machen, wenn er ihr etwas aus der Menschenwelt schenkte. Und er war stolz darauf, den Mut zu haben, von oben etwas zu entwenden. Er konnte nicht sagen, ob die Dinge vermisst wurden, die er mitnahm. Er konnte auch nicht abschätzen, wie wichtig die Sachen den Menschen waren, die er zu Holda brachte. Er konnte nicht erkennen, ob es Dinge waren, die überlebenswichtig waren oder nicht. Er hoffte, dass er nichts aus Versehen mitnahm, was für die Menschen tatsächlich wichtig war. Er wollte ihnen keinen Schaden zufügen, das war ihm fremd.

      Er blinzelte in die Sonne. Sie würde in Kürze ihr Tagwerk beendet haben. Er war zwar auch gerne nachts bei den Menschen, aber dann war Holda missmutig. Sie vermisste seine Anwesenheit. Außerdem war es spannender, am Tag oben zu sein, weil er dann die Menschen besser beobachten konnte. Nachts schliefen sie gerne, wie auch die Kolis es taten. Allerdings konnten Kolis auch am Tag schlafen, in ihren Behausungen war es stets tiefe Nacht, doch ihre Augen konnten diese durchdringen. Kolis schliefen also nicht zu bestimmten Zeiten, nur wenn sie Lust dazu hatten.

      Da fiel ihm ein, dass er den Mann von Vorne dabei beobachtet hatte, wie er, als die Sonne noch sehr hoch am Himmel stand, auf einem Stuhl in dem angrenzenden Gebäude, eingenickt war. Also, waren Menschen auch in ihren Schlafgewohnheiten den Kolis nicht so fremd. Beide schliefen, wann immer sie Lust dazu verspürten.

      Zufrieden betrat er die Grünpflanze auf dem Boden. Es war eine Pflanze, die die Menschen hegten und pflegten. Diese Pflanze wurde oft kurz geschnitten und im Sommer gut gewässert. Sie war sehr grün und bedeckte eine große Fläche. Nicht weit von ihr war der Einstieg in die Behausung von Abellus.

      Er betrachtete den Eingang zu seinem Heim. Schon wieder hatten kleine Erdtiere Nebenlöcher darin gebuddelt. Der Tunnel nach unten sah aus wie ein Sieb. Er mochte das nicht. Bei sich zu Hause sollte alles in Ordnung sein, fand er. Die Welt der Menschen war schon aufregend genug für ihn, da sollte wenigstens sein Zuhause ein Ort der Ruhe und der Erholung sein.

      Missmutig stopfte er die neuen Löcher mit Erde zu. Einige waren Daumengroß, andere hatten sogar den Durchmesser seines Kopfes. Sie waren nicht alleine in dem Erdreich. Leider. Das Erdreich war fast so überbevölkert, wie die überirdische Welt. Nur nicht ganz so schlimm.

      Die Erdtiere ließen sich nur schwer vertreiben. Wenn sie der Meinung waren, dieser Gang, den sie gerade buddelten, wäre nötig, taten sie es auch. Egal war ihnen, ob sie dabei durch den Bau der Kolis kamen. Tiere hatten keine großen Gehirne, dass hatte Abellus in seinem langem Leben auch schon feststellen müssen. Sie waren begriffsstutzig, daher war es besser, sich nicht über ihre Buddelei aufzuregen, das wusste er. Dennoch regte er sich bisweilen darüber auf.

      Leise fluchend bewegte er sich durch den Erdtunnel in die Tiefe. Er konnte sich sehr schnell auf allen Vieren bewegen, aber auch aufrecht stehend, konnte er sich geschickt fortbewegen. Das war seiner Art so eigenen. Sie waren geschickt.

      Kaum hatte er eine kleine Strecke hinter sich gebracht, sah er links von sich etwas Weißes aus der Erdwand schimmern. Er kratze mit seinem schwarzen Daumennagel darüber. Kein Zweifel. Das war ein Knochen. Schon wieder. Warum mussten diese Menschen aber auch ihre Abfälle von sich in der schönen Erde vergraben? Für manche Angewohnheiten der Menschenrasse hatte Abellus einfach kein Verständnis. Und das war so ein Fall.

      Er grub den Knochen, es war wohl ein Oberschenkelknochen, vorsichtig aus der Wand, denn er wollte nicht riskieren, dass zu viel Erdreich nachrutschte. Wo ein Knochen war, gab es noch mehr davon. Dieser hier war noch nicht sehr alt. Abellus hatte gesehen, dass die Menschen ihre Überreste in Kisten verstauten, die sie dann ins Erdreich verschwinden ließen. Die Kisten waren mal aus dunklem Holz und mal aus hellem Holz. Glänzend und matt. Weiße gab es auch und schwarze. Abellus hätte für sich einen schwarzen genommen. Schwarz mochte er, die Farbe passte zu seiner Haut. Glänzend fand er auch hübsch.

      Die Kisten verschwanden also – auch mit so einem Ritus, den Abellus nicht verstand – im Erdreich und wurden sorgfältig mit Erde bedeckt. Da ließ man sie dann. Sie vermoderten mit den Jahrzehnten und gaben den Inhalt frei. Der war dann auch schon – mit Hilfe von Krabbeltieren – sauber geputzt worden und es blieben nur noch weiße Knochen übrig. Gut, manchmal waren sie auch gelblich oder braun-schwarz. Die Knochen fand Abellus dann bisweilen in seinem Eingangstunnel zu seiner Höhle. Manchmal schienen die Knochen auch in der Erde zu wandern und kamen in seiner Küche oder in seinem Schlafzimmer heraus. Die Erde lebte. Man war nie allein.

      Abellus kroch wieder aus dem Tunnel und schleuderte den großen Knochen in Richtung Gebäude mit dem hohen Turm. Sollten sich doch die Menschen besser um ihre Überreste kümmern! Er war es Leid, ihre