Weißschwarz. Malte Ubben. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: Malte Ubben
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783847629894
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hielt.

      Doch es war, als wäre diese einfach abgeschaltet und da Tom sich mit aller Macht herumriss, strauchelte er und schlug fast der Länge nach auf dem Boden auf.

      Im letzten Moment fing er sich wieder und floh vor der irren Stimme des Wesens, die durch die Gegend tönte.

      „Fehler! Anomalie! Was soll ich tun? Ich muss sie beseitigen, aber ich darf mich nicht einmischen, ich darf nicht, aber wieso bin ich auf einmal ein Teil des Kreises, das ist nicht möglich…“

      Tom rannte und er wusste dass der Ausgang dieses Wettlaufes sein Schicksal bestimmen würde.

      Er spurtete zwischen den Säulen hindurch, immer in eine Richtung, doch als er sich umdrehte, sah er, dass er gar nicht vorwärts kam; die Säulen flogen zwar an Tom vorbei, aber das Wesen blieb an gleicher Stelle schweben, keine fünf Meter weit weg.

      Es schrie immer noch „Was ist das? Ich kann das nicht begreifen!“ hinter ihm, doch dann hörte Tom eine andere Stimme, eine Stimme, die nicht aus der Halle kam, sondern aus seinem Inneren. Sie klang merkwürdig verschwommen,

      als würde sie aus einem alten Radio dringen:

       Flieh, du musst verschwinden, sonst wirst du vergehen. Der Wächter wird sich gleich entschieden haben. Du musst zu mir kommen. Sofort.

      Aber wie?, dachte Tom, erwartete aber nichts. Er vermutete, dass er wohl zu viel abbekommen hatte.

      Doch die Antwort kam so schnell, dass es unheimlich war.

       Du musst es wollen, mit jedem Gedanken. Du hast es schon einmal gemacht, als du in die Halle kamst, als du unbedingt die Augen öffnen wolltest.

      Wie du willst, dachte Tom zurück, dann werde ich kommen.

      Er begann sich zu konzentrieren und wie zum Ansporn hörte er das Wesen hinter sich brüllen, dass es nun kommen würde, um ihn aus der Existenz zu löschen.

      Seine Gedanken begannen zu kreisen und auch die Welt um ihn herum drehte sich, verschwamm und wurde wieder klar.

      Tom blieb stehen und fiel keuchend auf die Knie. Dann sah er sich um. Er befand sich nahezu in der gleichen Umgebung wie noch vor ein paar Momenten, doch einige Sachen hatten sich verändert:

      Seine Kleidung war immer noch weiß, doch nicht mehr die Welt um ihn herum. Sie war schwarz wie die Nacht, vom Boden bis in die Unendlichkeit über ihm. Und dennoch konnte er alles erkennen, weil noch immer ein wenig Licht vorhanden war, doch auch das war düster. Es erinnerte ein wenig an die Abenddämmerung.

      Die Säulen hier waren aus einem dunklen Material gefertigt, glatt und eine Kälte ausstrahlend, die Tom frösteln ließ.

      Er blickte sich suchend um, während er nach der Ursache für die Stimme in seinem Kopf fahndete.

      Tom bemerkte, dass sich Schemen um ihn herum bewegten. Sie hielten Abstand, so als könnten sie nicht zu ihm vordringen. Er wanderte durch das Licht, das durch diese Welt rann, als wäre es nur auf der Durchreise, konnte aber immer noch nichts entdecken, außer den Schatten um ihn herum. Eine namenlose Angst befiel ihn. Was, wenn das hier eine Falle war? Was, wenn hier niemand auf ihn wartete, wenn das alles nur ein verzwickter Plan des Lichtwesens war, ihn auszulöschen? Aber wozu?

      Am Rand seines Sichtfeldes wurden immer wieder Gestalten sichtbar. Zu Toms Furcht gesellte sich nun auch Unruhe. Er sah sich noch einmal suchend um und wollte resigniert aufgeben, als er die Stimme wieder hörte, diesmal kräftiger und klarer.

       Du bist nahe. Ich bin hier, doch du kannst mich noch nicht sehen. Wenn du weiter voranschreitest, wirst du mich bald treffen. Du brauchst keine Angst zu haben. Genau betrachtet bist du das einzige Wesen, das sich hier nicht zu fürchten braucht.

      Tom fühlte neuen Mut in sich aufkeimen und schritt energisch durch den Säulenwald voran.

      Er spazierte schon seit einer geschätzten Viertelstunde, als er

      endlich an seinem Ziel ankam.

      Zwischen vier der gigantischen Säulen schwebte eine Nebelwolke, ebenfalls schwarz wie die Umgebung, doch sie kam ihm bekannt vor. Es war dieselbe dicke Suppe, die vor einiger Zeit Toms Straße geflutet hatte, die Suppe, die Walter

      getötet hatte.

      Die Nebelschwaden erhoben sich, stoben zusammen und

      beugten sich zu Tom vor.

      Gleich darauf erschienen auf seiner Augenhöhe zwei rote, pulsierende Schlitze, die ihn erregt musterten.

      Der Junge rechnete damit, dass der Nebel sich ausbreiten würde wie ein schnell wucherndes Geschwür, dass ein Graukobold oder etwas Schlimmeres erscheinen würde, den er hier, in einer Welt der Finsternis, nicht vernichten konnte. Doch nichts dergleichen geschah.

      Das Wesen schwebte einfach an derselben Stelle vor sich hin. Dann öffnete es seinen Mund und sprach mit einer dröhnenden Stimme.

      „Du bist also gekommen, Tom Becker. Ich hatte gehofft, dass du die Chance ergreifen würdest.“

      Tom wich einen Schritt zurück und hob die Fäuste. Dann sagte er trotzig:

      „Ich werde, wenn es sein muss, bis zum Tode kämpfen. Und welche Chance ich auch ergriffen habe, sollte dir egal sein.“

      Die Kreatur lachte und Tom wich noch weiter zurück, seine Angriffshaltung aufgebend und bereit, die Flucht zu ergreifen. Doch das Wesen rührte sich nicht.

      „Ich erkläre es dir, wenn du gestattest. Aber du musst versuchen, mich zu verstehen.“

      „Dich zu verstehen? Du hast Walter ermordet, auch mich zu töten versucht und wir waren wahrscheinlich nicht die einzigen Opfer.“

      „Du hast diesen Jungen gehasst, du wärst sogar bereit gewesen, ihn zu ermorden“, erwiderte das Wesen.

      „Nein, das wäre ich nicht“, entgegnete Tom bestimmt.

      Das Wesen grinste, sein Mund war genau so rot wie seine Augen.

      „Ich weiß. Ein kleiner Spaß meinerseits. Entschuldige. Aber

      du hast eben genau den Punkt getroffen, den Punkt, wegen dem das alles hier jetzt passiert, warum wir beide hier sind.“

      „Und der wäre?“

      „Ich habe nicht geschafft, dich zu töten.“

      „Und was soll das heißen? Dass du elendig versagt hast?“, zischte Tom.

      „Ja, genau das“, erwiderte die Kreatur.

      „Aber ich hätte dich töten müssen, verstehst du? Das hier hätte nicht passieren dürfen.“

      „Jetzt hörst du dich schon an wie das Wesen von vorhin“, spottete Tom.

      „Ja, das ist richtig, aber ich werde es dir, wie gesagt, erklären. Es war die Bestimmung, dass ich dich töte.“

      „Bestimmung? Was für eine Bestimmung? Du redest wirres Zeug!“

      „Nein. Du musst es dir so vorstellen, Tom Becker. Alles besteht aus einem Kreislauf. Jede Welt hängt mit den anderen Welten zusammen. Und jedes Leben durchläuft denselben Kreis. Geboren werden, leben, sterben, immer und immer wieder von vorn. Deine Seele wohnte schon in vielen Körpern, tausende Male.“

      „Meine Seele, so etwas gibt es? Mein Lehrer sagte mir immer,

      dass es, wissenschaftlich gesehen, keine Seelen gibt. Das sei nur irgendein Firlefanz, mit dem die Kirche Gläubige auf ihre Seite ziehen will“, entgegnete Tom, doch er glaubte nicht wirklich an sein Argument.

      Er hatte auf einen Schlag vergessen, dass das Wesen vor ihm ihn vor einiger Zeit noch töten wollte und auch sonst so ziemlich das schlimmste Geschöpf war, was er je gesehen hatte. Aber er fühlte auch, dass diese Einschätzung nicht mehr stimmte.

      „Wenn ich mir die Geschichte eurer Welt angucke, wird mir ziemlich klar, wie gut es geklappt hat. So viel Leid. Es ist armselig, was deine Rasse