Gina Garcia-Hesse
Used to be a Goddess
Nemesis
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Inhaltsverzeichnis
Kapitel 1
«Wie Hagrid gesagt hatte, was kommen musste, würde kommen ... und wenn es da war, würde er den Kampf aufnehmen müssen», las Nema vor, beendete somit den vierten Teil der Harry Potter-Reihe und klappte das Buch zu. Diese letzten Worte jagten Nema einen kalten Schauer den Rücken hinunter. Sie blickte in die Ferne und versuchte das alarmierende Gefühl, das gerade in ihr aufstieg, zu unterdrücken.
Amelia, ihre elfjährige Tochter, lag entspannt in eine leichte Decke eingekuschelt mit dem Kopf auf ihrem Schoss. Sie beide waren heute morgen an einen sehr kleinen, aus winzigen Kieselsteinen bestehenden Strand in der Nähe der Roger Williams University gefahren und genossen das immer wärmer werdende Frühlingswetter. Nema und Amelia liebten diesen ruhigen Ort und wann immer es sich anbot, kamen sie hier her. Mittlerweile war es quasi zum Ritual geworden, ein Buch einzupacken und einige Seiten daraus vorzulesen.
Von hier aus war es möglich, auf die Weiten des Meeres zu blicken und alles um einen herum für einen Moment zu vergessen. Und zu vergessen gab es leider nun mal allzu viel, besonders, wenn man schon so lange auf dem Planeten war wie jemand mit Nemas Herkunft.
Sie schloss die Augen in Gedanken versunken und erinnerte sich an all den Schmerz, den Verrat, das Blutvergiessen und die Tränen, von denen die Wenigsten es wert gewesen waren, geweint zu werden. Das Loch in ihrer Seele würde sich nie mehr schliessen und ihre aufsteigenden Rachegelüste konnte sie nur mühsam unterdrücken. Es gab so viel zu bereuen, so viel zu betrauern und noch mehr zu rächen. Nema schluckte den in ihrer Kehle aufsteigenden Kloss herunter und reckte ihr Kinn. Sie durfte nicht mehr daran denken, denn nun hatte sie eine neue Lebensaufgabe und diese lag gerade unschuldig wie ein Kätzchen zusammengerollt auf ihrer Lieblingsdecke. Nema schloss ein zweites Mal die Augen und verdrängte all die hässlichen Erinnerungen.
«Komm Schatz, wir gehen nach Hause und ich koche dir ein leckeres Mittagsessen», meinte sie und die Worte hörten sich selbst in ihren Ohren abgehackt an. Amelia sah augenblicklich zu ihrer Mutter auf, setzte sich aufrecht hin und sah ihr in die Augen. Sie verstand.
«Gerne Mom», sagte sie und umarmte sie kurz.
Amelia wusste alles über die Abstammung ihrer Mutter und somit über ihre Eigene. Sie war aufgeklärt worden über all das vor noch nicht allzu langer Zeit. Sie kannte die Hölle, durch die ihre Mutter gegangen war und sie hatte sie genug durchschaut um zu wissen, dass ihre Mutter von Schuldgefühlen der schlimmsten Art geplagt wurde. Natürlich war es für ein Mädchen in Amelias Alter nicht typisch, über so viel Leid auf der Welt Bescheid zu wissen und so viel davon zu verstehen. Doch Amelia war kein typisches elfjähriges Mädchen. Sie gehörte wie ihre Mutter, einem uralten und einzigartigen Stamm an, dessen Volk nach dem 28. Lebensjahr nicht mehr fähig ist zu altern. Ihre Mutter, im alten Griechenland geboren und weit über tausend Jahre alt, sah demnach immer noch aus, als wäre sie knapp dreissig. Dennoch musste Amelia innerlich mit einem Lächeln zugeben, dass ihre Mutter nicht wie jemand aus der heutigen Zeit aussah und manchmal definitiv nicht wie eine Person aus diesem Jahrhundert sprach.
Amelia blickte ihre Mutter an, während sie beide zum Auto liefen. Ihre Mom hatte etwas zeitloses an sich. Mit ihrem leicht ovalen Gesicht, den grossen Augen und den vollen Lippen war sie eine natürliche Schönheit. Sie war schlank gebaut, doch ihre Muskeln und ihr fitter Körper waren unübersehbar, was ihrer selbstbewussten Ausstrahlung zusätzlich eine körperliche Stärke verlieh. Ihre Haut war dunkler als die von Amelia und deutete darauf hin, dass einer von Nemas Elternteilen dunkelhäutig und der Andere von europäischer Herkunft war. Ihre Haare hatten einen hellbraunen, sandfarbenen Ton und schafften einen interessanten Kontrast zu ihrer Haut. Das spezielle an ihrer Mutter waren jedoch nicht ihre Haut oder ihre Haare, sondern ihre Augen. Diese hatten einen goldenen Farbton und waren mit winzigen, gelben Punkten gesprenkelt. Sie verliehen ihr einen furchtlosen und zugleich durchdringenden Blick, mit dem sie gewöhnlich jegliche Autorität in einem Raum an sich zog. Nein, ihre Mutter sah so gar nicht aus wie andere Mütter.
Nema holte den Autoschlüssel aus ihrer Hosentasche und öffnete die Türe. Sie sah mit zusammengezogenen Augenbrauen zum Himmel und realisierte, dass dieser sonnige Frühlingsmorgen wohl im Verlaufe des Tages von einem Sturm bekämpft werden würde. Ihre hellen Haare, die ihr bis zur Mitte ihres Rückens reichten, wurden ihr vom zischenden Wind ins Gesicht geweht und sie beeilte sich, neben ihrer Tochter ins Auto zu steigen. Sie konnte gar nicht schnell genug von dort wegkommen.
«Ein Sturm zieht auf», bemerkte Amelia und ihre Mutter nickte, die Augen starr auf den Verkehr gerichtet. Sie schien noch immer in Gedanken versunken zu sein und nicht bereit, darüber zu reden. Sie verstand das, denn ihre Mom wollte ihr so viel Sorgen wie möglich ersparen.
«Rufst du bitte Aida an und fragst sie, ob sie zum Essen kommt?», unterbrach ihre Mutter die Stille.
Amelia tat wie ihr aufgetragen und am anderen Ende der Leitung ertönte sofort die aufgestellte Stimme einer jungen Frau, die ganz klar ihrer Tante gehörte.
«Selbstverständlich komme ich zum Mahl! Ich habe wirklich Kohldampf und sag deiner Mutter, dass meine Enttäuschung keine Grenzen kenne, wenn sie nicht ihr absolut unglaubliches Risotto kocht. Zu morgens hatte ich bereits nichts zu essen und nun bin ich dem Hungertode nahe», sagte Amelias Tante gespielt dramatisch und brachte ihre Nichte