„Wie der Sommer … wirklich passend ...“ Ich stelle fest, dass Marik mich mit seinen Blicken abscannt. In diesem Augenblick würde ich lieber etwas mehr am Körper haben, als meinen türkisblauen Bikini. Er sieht zwar hübsch aus auf meiner leicht angebräunten Haut, aber ich fühle mich nackt unter den Blicken dieses Marik.
„Was tust du überhaupt hier?“, frage ich, um die unangenehme Situation aufzulösen. „Die Feriensaison fängt erst in zwei Wochen an.“
„Die Frage könnte ich dir auch stellen ...“, antwortet er, und lässt endlich meine Hand los.
„Ich bringe das Ferienhaus meiner Freundin in Ordnung. Sie kommt in zwei Wochen, dann machen wir zusammen Urlaub. Und was ist mit dir? Ich habe weit und breit kein anderes Haus hier gesehen.“
„Ich bin mit meinen Brüdern hier. Wir haben letztes Jahr das Haus hinter dem See gekauft. Die Wälder sind ideal zum Jagen, weil es hier noch nicht viele Touristen gibt.“
„Ja, die Gegend ist ein Geheimtipp ...“, antworte ich und fühle mich leicht unbehaglich. Ich bin also allein mit mehreren Typen hier, die offensichtlich gerne jagen. Ich weiß nicht, ob mir das gefällt.
Marik scheint meine Gedanken zu erraten und lacht. „Keine Angst … wir sind harmlos.“
„Ich mag keine Jäger. Dieses sinnlose Abballern von Tieren ist nicht mein Ding.“
„Oh, wir ballern keine Tiere ab. Unsere Art der Jagd ist viel ursprünglicher.“
Ich schaue ihn an wie ein Auto. Seine Antworten tragen in keinerlei Hinsicht dazu bei, mich zu beruhigen.
„Ich muss jetzt gehen … ich habe noch Einkäufe zu erledigen.“
„Willst du nicht heute Abend zum Essen zu uns kommen? Es kann ziemlich langweilig werden, wenn man hier allein ist.“
„Mir ist nicht langweilig ...“, antworte ich und suche meine Sachen zusammen. Das fehlte noch! Ich lasse mich doch nicht von irgendwelchen Fremden zum Essen einladen! Obwohl ich Marik den Rücken zugewandt habe, kann ich seine Blicke auf mir spüren. Das ist so was von spooky ...
Als ich mich umdrehe, um mich zu verabschieden, hat Marik mein Handy in der Hand.
„Hey, was soll das?“
„Ich habe meine Nummer auf deinem Handy gespeichert. Ruf an, wenn du deine Meinung änderst.“
Ich reiße Marik das Handy aus der Hand, dabei treffen sich kurz unsere Blicke, und ich spüre einen leichten Anflug von Irritation.
„Wie gesagt, ich habe keine Zeit.“ Erst jetzt wird mir klar, wie groß Marik ist - um die einsneunzig, dabei durchtrainiert wie ein Athlet. Außerdem ist da etwas ungewöhnlich an der Art, wie er sich bewegt … alles, was er tut, besitzt eine fließende Geschmeidigkeit. Ich komme mir fast plump vor in seiner Gegenwart.
„Ich muss jetzt gehen ...“, wiederhole ich überflüssigerweise und erwarte fast, dass er sich mir in den Weg stellt.
Das tut er nicht, und als ich etwa zehn Schritte gegangen bin, kann ich dem Drang nicht widerstehen, mich noch einmal umzudrehen – der Steg ist leer.
Ratlos sehe ich mich um. Wie konnte er so schnell verschwinden? Und wohin?
Ich spüre einen kalten Schauer im Nacken. Eines steht auf jeden Fall fest – egal wie gut dieser Marik auch aussieht … ich werde seine Einladung ganz bestimmt nicht annehmen!
Es dauert eine Weile, bis ich die seltsame Begegnung vom Steg abgeschüttelt habe, aber abends bin ich fast wieder die Alte. Ich wechsele ein paar Whatsapp Nachrichten mit Kendra und frage sie nach dem Haus hinter dem See und ob sie weiß, wem es gehört. Ihre Antwort lässt ein paar Minuten auf sich warten.
Kendra: Meine Eltern sagen, das Haus steht seit Jahren leer. Eigentlich sind sie davon ausgegangen, dass es bald abgerissen wird.
Ich: Scheinbar nicht. Ich habe heute einen Typen getroffen, der sagte, dass er das Haus gekauft hat – gemeinsam mit seinen Brüdern, um hier auf die Jagd zu gehen.
Kendra: Das hört sich ja unheimlich an …
Ich: Finde ich auch … er hat mich zum Essen eingeladen.
Kendra: Oh, Fuck … gehst du etwa hin?
Ich: Bin ich wahnsinnig?!
Kendra: Vielleicht solltest du dir lieber ein Zimmer in der Stadt nehmen, bis ich komme …
Ich: Nein, ich glaube nicht, dass Marik gefährlich ist.
Kendra: Du kennst seinen Namen?!
Ich: Er hat ihn mir gesagt … und mir seine Nummer im Handy abgespeichert.
Kendra: Du hast ihm dein Handy gegeben????!!!!!
Ich: Er hat es sich einfach genommen.
Kendra: Also, ehrlich, Summer … ich würde mich ins Auto setzen und auf Nummer sicher gehen.
Ich: Ich glaube, es hört sich schlimmer an, als es ist, wirklich …
Kendra: Bist du sicher?
Ich: Ja, kein Problem. Außerdem hat euer Ferienhaus ja eine Alarmanlage.
Kendra: Aber es dauert mindestens eine halbe Stunde, bis jemand von der Security Firma da ist, nachdem der Alarm ausgelöst wurde.
Ich: Es wird nichts passieren, Kendra!
Kendra: hm …
Ich: Ich melde mich nachher noch mal. Habe Essen auf dem Herd.
Kendra: Ok, aber melde dich auf jeden Fall!
Ich: Ok … bis nachher …
Ich bereue, Kendra von Marik erzählt zu haben. Jetzt wird sie sich die ganze Zeit Sorgen machen.
Auf jeden Fall habe ich nicht vor, mich verrückt zu machen. Mit einem Teller Pasta und einem Glas Wein setze ich mich im Wohnzimmer auf die Couch und zappe kurz durch die Fernsehprogramme, bevor ich wieder abschalte und die Fernbedienung zur Seite lege. Ich war noch nie ein großer Fan von Abenden vor der Glotze.
Die Pasta schmeckt himmlisch, und ich beglückwünsche mich selbst dazu, letztes Jahr den italienischen Kochkurs belegt zu haben. Eigentlich hab ich es nur getan, um Luca zu beeindrucken, meinen italienischen Kommilitonen, in den ich verknallt war. Luca habe ich zwar nicht bekommen, aber dafür sind meine Pastagerichte auf dem gesamten Campus legendär. Ich muss aufpassen, dass sich nicht ständig alle selbst bei mir zum Essen einladen.
Ohne es zu wollen, schweifen meine Gedanken weg von Luca hin zu Marik, und ich beginne, in meinem Handy seinen Namen zu googeln. Seine Bedeutung finde ich im Ägyptischen Der Wächter des Pharao. Wer gibt seinem Kind einen solchen Namen? Andererseits … vielleicht ist Marik ja Ägypter? Seine dunklen Haaren und die Augen könnten darauf hindeuten, auch wenn er akzentfreies Deutsch spricht. Meine Eltern haben mir den Namen Summer verpasst … und der ist ja auch eher untypisch.
Ich lege das Handy zur Seite. Warum interessiert mich das überhaupt?! Ich habe nicht vor, Mariks Einladung anzunehmen oder ihn noch einmal zu treffen.
Trotzdem schaue ich den ganzen Abend auf mein Handy, als ob ich eine Whatsapp von Marik erwarten würde. Aber ich erinnere mich – ich habe seine Nummer, er aber nicht meine. Schlimm genug, dass er sich ständig in meine Gedanken schleicht.
Ein Blick auf die Uhr sagt mir, dass es auf Mitternacht zugeht. Ich schicke Kendra noch eine Whatsapp, in der ich ihr sage, dass alles ok ist, und gehe dann Richtung Schlafzimmer.
Aus