Blöderweise folterte mich das Konzept des Meisters, bevorzugt uns beide auf eine Baustelle zu schicken. Immer wenn er ausschließlich mit mir unterwegs war, war er ein Jammerlappen vor dem Herrn, wenn er mich anflehte, die schwierigen Details zu lösen. Kaum in der Meute fiel er über mich her, attackierte mich, in dem er mit Schussapparat Salven auf mich abfeuerte, beleidigte mich wegen meiner grünen Gesinnung, beschimpfte meine Frau und meine Kinder auf das Übelste. Dazu war er auch noch mein Nachbar. Ein Typ, der immer mit quietschenden Reifen anfuhr, zu schnell durch die Siedlungen sauste und bei Rasereien schon manches Auto zerlegt hat. Irgendwann sagte ich auf einem Dach zu ihm: „Sag mal Schoko, kannst Du eigentlich auch mal normal Auto fahren?“
Was war seine Antwort? „Halts Maul, du grüne Sau, wenn i snäxsdemol dei grüne Drecksbrut auf der Stross sieh, überfahr i sie!“
Da ging der Gaul mit mir durch. Obwohl er mir deutlich an Körperkraft überlegen war, raste ich auf ihn zu und verpasste ihm einen Faustschlag, dass er auf das Dach knallte.
Und was machte Schoko?
Er fing an zu heulen!
Was war ich froh, als der Knabe kündigte. Und was sagte die sehr reizende Frau des Meisters dazu?
„Zum Glück sind wir den los!“
Ein Hänfling, das Knöllchen
Die Belegschaft änderte sich, meine Position verbesserte sich, die Verantwortung wuchs, und eines Tages hatten wir einen neuen Lehrling, das Knöllchen. Ein kleiner schmächtiger, aber drahtiger Kerl.
Als die Meute mal wieder über mich herfiel und mir androhte, mich vom Dach zu „schuggen“, outete sich Knöllchen als Sympathisant der Grünen. Ey, plötzlich waren wir zu zweit, und bevorzugt nahm ich fortan Knöllchen mit auf meine Baustellen, als ich nach und nach mehr Befugnisse und Auswahlmöglichkeiten bekam und Baustellen als Vorarbeiter führen konnte.
Den anderen war Knöllchen ohnehin zu schmächtig, nicht geschickt genug, aber bei mir war er gut aufgehoben. Nicht immer war das Leichtgewicht und die fehlende Körperkraft eine große Hilfe. Und so erlebten wir einige lustige Momente: Beim Aufrichten eines Dachstuhls inmitten der Altstadt von Pfullendorf.
Man muss sich vorstellen: Zu eng an der Stadtkirche und zu hoch oben von der Unterstadt ragt dieses Gebäude so wenig zugänglich, dass man keinen Kran hätte bestellen können. Aber mit Kreativität waren diese Probleme zu lösen. Über eine Umlenkrolle und einem gebauten Galgen zogen wir mit einem langen Seil und dem rückwärtsfahrenden LKW das Bauholz hoch. Dann wurde es abgebunden und schließlich über diese Umlenkrolle von Hand hochgezogen und eingebaut.
Ein besonders langes Holz, ein Sparren mit 10 Metern Länge, war aufwendig zu rangieren. Wir waren nur zu zweit, Knöllchen und ich.
Man stelle sich vor: Den Galgen in 5 Meter Höhe über der Balkenlage, ein 80 Zentimeter breites Gerüst und danach 5 Meter tiefer ein Dach eines mehrgeschossigen Hauses, Gesamttiefe bis unten in die Altstadt etwa 18 Meter. Ich musste den Balken ein Stück über den Abgrund schieben und bat das Knöllchen, mal kurz das Seil zu halten. Der hält brav das Seil. Doch als ich den Sparren loslasse, zieht es Knöllchen, da leichter als der Sparren, zu der Umlenkrolle hoch und der Sparren bewegt sich rasch Richtung Abgrund.
„Hartmut, schnell! Hol mich runter!“, schrie Knöllchen entsetzt. Blitzschnell hatte ich das Seil wieder im Griff und zog Knöllchen wieder runter, bevor er die Finger in die Umlenkrolle bekam. „Uff.“
Ich male jetzt mal das Horror-Szenario aus, das hätte eintreten können, wenn mein Manöver schief gelaufen wäre: Knöllchen hätte sich an der Umlenkrolle die Finger eingeklemmt, hätte vielleicht vor Schmerz losgelassen, wäre wie der Sparren abgestürzt, der dann senkrecht das untere Dach sowie vermutlich auch noch die eine oder andere Zwischendecke durchgeschlagen hätte, da auch dieser Bau gerade entkernt wurde. Böser Schaden und verletztes Knöllchen.
Als ich mich selbstständig machte, blieb Knöllchen an meiner Seite, und wir waren nahezu unzertrennlich in der Zeit der Buntspechte in Pfullendorf.
Murks am Bau, hier auch schon im Barock
Gleiche Baustelle, doch eine andere Episode. 18 Meter über der Unterstadt, wie gehabt.
Das zu sanierende Bauwerk war ein Klostergebäude aus der Renaissance-Zeit. Im Zeitalter des Barock war der Renaissance-Stil nicht mehr schick und man hat „barockisiert“.
Das Fachwerk wurde verdeckt und die Schlaumeier des Barock verpassten dem Haus eine vorgesetzte Mauerschale aus 12 Zentimeter breiten Ziegeln, die dann verputzt wurde. Die Fenster bekamen Steingesimse aus Sandstein, die ebenfalls gerade saniert wurden. Ein eifriger Steinmetz hatte alle Steingesimse entfernt, zurück blieb ein einsturzgefährdetes Mauerwerk, da es kaum Verankerungen gab.
Doch die größte Glanzleistung war, auf diese Vorsatzschale ein wuchtiges, gemauertes, profiliertes Steingesims zu setzen, das eine Auskragung von 40 Zentimetern nach außen hatte.
In Unwissenheit dieser Details sanierten wir das Dach. Ich bat Knöllchen, die alte Dachrinne zu entfernen. Am Schluss fehlte Knöllchen die Kraft, um vom Gerüst aus den Nagel des Befestigungshakens der Dachrinne zu ziehen. Ein Walmdach, es war der letzte Nagel, an der Ecke des Gebäudes.
Knöllchen klettert nach innen und zog mit ganzer Leibeskraft und einem Nageleisen diesen letzten Nagel aus dem gemauerten Gesims. Da macht es einen großen Rums: Optisch stürzte das ganze Haus auf einen Schlag ein. Aber nein, es kippte nur auf der gesamten Hausbreite von 10 Metern Länge das tonnenschwere, labil gewordene Steingesims auf das Gerüst, das sich teilweise aus den Verankerungen riss und sich Richtung Unterstadt bog, um dann glücklicherweise wieder zurückzuschwingen, bevor es in 18 Meter Tiefe kippte. Dieser Rinnennagel war die letzte Verbindung, die dieses gigantische Gesims gehalten hatte.
Hätte es Knöllchen geschafft, diesen letzten Nagel vom Gerüst aus zu ziehen, wäre er von der Tonnenlast schwer verletzt worden. Welch ein Glück, dass die Kraft nicht reichte. Und welch ein Glück, dass das Gerüst noch mal zurückschwang und nicht in die Unterstadt knallte, wobei zahlreiche Menschen hätten erschlagen werden können.
Ich musste daraufhin Überzeugungsarbeit beim Stadtbaumeister leisten, um ihm zu erklären, welcher Murks bei dem Bau des Steingesims verbrochen wurde und wir bestimmt nicht dafür verantwortlich gemacht werden könnten, das dieses nun einstürzte. Ich schlug ihm dann vor, das Ganze aus Holz selbstragend zu konstruieren und knobelte dazu die Details aus. Letztlich wurde dann am ganzen Bau das wuchtige Steingesims abgetragen und mit Holz ersetzt. Ein schöner Auftrag für meinen Meister, und ich habe es gebaut.
Kratzerchen
Folgenschwerer war ein Aussetzer von einer Zehntelsekunde beim Fräsen eines neuen Holzgesimses.
Ein tückisches Sägeblatt, das man nicht sieht, ein „Wackelblatt“, das unterschiedlich hohe Sägezähne hat, mit denen man - schräg darüber geschoben - große Hohlkehlen wie für Treppenkropfstücke oder eben eine Kehle hier für das neue Gesims fräst.
Beeinträchtigtes Wahrnehmungsvermögen durch die Wärme in der Werkstatt und die Aufmerksamkeit, die ich am Abend zuvor als Spieleautor erfuhr, ließen mich einen ganz kurzen Moment zu der blödsinnigen Handlung hinreißen, den Sägespäne-Haufen mit der Hand wegwischen zu wollen und den Lauf des Sägeblattes auszublenden: „Zing!“, ich schaute geschockt meine Hand an und dachte: „Ach ein Kratzerchen“, und