„Du sorgst dich um deine Auszeit?“
„Im Palast sollte uns niemand sehen“, flüsterte Jarick ihr mit einem Augenzwinkern verschwörerisch zu.
Daraufhin ergriff Nela seine linke Hand und verschränkte ihre Finger mit seinen. „Wollen wir?“, lächelte sie ihn erwartungsvoll an.
Ein Glanz lag in seinen Augen, während er seine freie Hand auf den Türgriff legte. Ein Klacken mit einem leichten Beben war zu spüren, als sein biometrischer Schlüssel das Tor entriegelte.
„In den uralten Schriftrollen steht, wenn ein Paar gemeinsam Hand in Hand durch ein Schicksalstor geht, verweben die Nornen die beiden Stränge unwiderruflich miteinander. Möchtest du an mich gebunden sein, Nela?“ Bei den Worten drückte er kurz ihre Hand.
Mit einem Strahlen versicherte sie ihm: „Ja, das möchte ich.“ Fragend sah sie ihm tief in die Augen und erkannte sogleich seine Entschlossenheit. Sodann drückte er die Klinke nach unten. Ihre Hände haltend, durchschritten sie das Tor, augenblicklich verspürte Nela die Fäden, die sich wie ein Netz sanft um ihren Körper legten, um sie sicher nach Asgard zu begleiten. Rasch dehnte sich das Netz ihrem Arm entlang aus, einzelne Schnüre wanden sich um ihren und Jaricks Arm, verknoteten sich fest darum. Verwundert verstanden beide, dass der Aberglaube der Wahrheit entsprach. Soeben erwirkte das Paar bei den Nornen einen verknüpften Pfad, und unweigerlich beschritten Nela und Jarick jetzt einen verschnürten, gemeinsamen Weg.
Dunkelheit umgab sie, kein Windhauch fuhr ihr durch die Haare. Das Donnern des Gewitters war verstummt, zurückgelassen in Midgard, als sie überwältigt auf die andere Seite gelangten. Unfähig irgendeinen Umriss zu erkennen, blickte Nela zu Jarick. Sanft strich ihr Wikinger mit seinen Daumen über ihren. Neben dieser Zärtlichkeit spürte sie fortwährend die Schicksalsschnüre. Fasziniert betrachtete sie seine hellblau glühenden Augen, die sich unheimlich leuchtend von der Finsternis abhoben.
„Du kannst in dieser Dunkelheit sehen?“, flüsterte sie ihm achtungsvoll zu.
„Ja“, antwortete er ihr leise. „Ich sorge für Licht.“ Sogleich brach der vertraute Kontakt ihrer Hände, entsetzt befürchtete Nela ein Reißen der Schnüre, aber zu ihrem Erstaunen hielten sie. Erleichtert spürte sie den imaginären Druck seiner Hand und die festhaltenden Fäden.
Augenblicke danach hörte sie den Klang aufeinandertreffender Feuersteine. Funken sprühten für einen winzigen Moment in der Dunkelheit. Schließlich entzündete sich das Pech. Zuerst blendete Nela das helle Licht der Fackel, aber blinzelnd gewöhnten sich ihre Augen an die neuen Lichtverhältnisse und offenbarten ihr den mit Feldsteinen gepflasterten Boden sowie die aus Buntsandstein gemauerten Wände. Beeindruckt betrachtete sie das Mauerwerk, das an die Klippen Helgolands erinnerte.
„Der Schicksalsraum des Palastes Glitnir“, präsentierte Jarick stolz sein Zuhause, während er die Fackel in alle Richtungen schwang, damit Nela die Schönheit der Rotunde wahrnahm. Zwei hölzerne Türen standen zur Wahl, durch die sie das kreisrunde Foyer verlassen konnten. Diese Türen und das Schicksalstor bildeten die Eckpunkte eines gleichschenkligen Dreiecks, dabei entsprach das Tor der Nornen die Spitze.
„Die Arkadentür zur linken“, deutete Jarick mit der Flamme auf einen aus Lindenholz gefertigten Ausgang, „führt auf den Korridor. Sie ist von außen verriegelt.“ Galant schwang Jarick die Fackel zur rechten Seite, dabei hinterließ das Feuer eine orange-rote Spur in dem allgegenwärtigen Schwarz. „Diese führt in meine geheimen Gemächer, nur ich kann diesen Eingang öffnen.“
„Geheim?“, hakte Nela neugierig nach.
„Ja, meine Gemächer innerhalb meines Palastes. Nur sehr wenige kennen diese Räumlichkeiten oder sind gar berechtigt, sie zu betreten. Natürlich gibt es auch noch die bekannten, die einem Asengott gebührend entsprechen.“
„Zeigst du mir deine Gemächer?“
„Komm“, reichte er ihr seine Hand, nachdem er die Tür geöffnet hatte, und führte sie in den vorderen Bereich. Ein schwerer, dunkelbrauner Vorhang trennte die Wohnstube von den restlichen Räumlichkeiten. Auch die Fenster waren verhangen. Die Lichtquelle steckte er in einen schlichten Eisenhalter nahe der Tür.
Neugierig betrachtete Nela die gemütliche Wohnstube, die sie auf eine vertraute Art an ihre eigene Stube in ihrer Wohnung erinnerte.
Wandteppiche, die Geschichten aus seinem Leben erzählten, verbargen die kalten Steinwände. Die geschmackvolle, wenn auch altertümliche Einrichtung gefiel Nela. Ein gemütliches Sofa an der Wand, daneben ein Bücherregal, zudem gab es zwei Ledersessel vor einem kleinen Kamin. Ein Spielbrett lag auf dem Tisch. Nela betrachtete es genauer und erkannte das alte Spiel. Die eingebrannten Linien bildeten drei ineinander liegende Quadrate, die mittig mit Linien verbunden waren. Daneben in einem Holzkästchen befanden sich die runden Spielsteine.
Jarick schaute über ihre Schulter. „Es wird schwer, mich zu besiegen.“ Sanft hauchte er ihr einen Kuss in den Nacken.
„Sei nicht zu enttäuscht, wenn du verlierst“, erwiderte Nela siegesgewiss. Schallend lachte Jarick, dabei funkelten seine Augen erwartungsvoll.
„Sch, sonst bemerkt uns jemand“, erinnerte sie ihn, leise zu sein.
„Wollen wir mit der Führung fortfahren?“, erkundigte er sich galant bei ihr. Natürlich wollte sie mehr sehen.
Jarick zog den Vorhang beiseite. Schnell schlüpfte sie durch die Öffnung. Vor ihr breitete sich ein großes Schlafgemach mit riesigen Arkadenfenstern aus. Die offenen Vorhänge ließen das Licht der Abenddämmerung hinein, die den Raum in einen warmen rötlichen Schein tauchte. Gefangen von dem wunderschönen Anblick, verharrte Nela.
Das gigantische Himmelbett mit aufgezogenen Behängen dominierte den Raum. Am Fußende stand eine große Holztruhe. Gegenüber befand sich ein weiterer Kamin, vor dem ein großes Bärenfell lag. Große Kerzenständer sorgten verteilt im Raum des Nachts für ausreichend Helligkeit.
Jarick führte sie zu einer mit Kissen bestückten Sitzbank vor einem Arkadenfenster. In einvernehmlichem Schweigen betrachteten sie den Sonnenuntergang, der die Dächer Asenheims zum Glänzen brachte. Die Zeit des Zwielichts war ein verzauberter Moment, in dem sowohl der Tag als auch die Nacht gleichzeitig verweilten.
„Schön, dass du hier bist.“
Verheißungsvoll sah Nela ihrem Wikinger in die Augen, in denen sich das warme Zwielicht spiegelte. Jedes Mal verlor sie sich in dem Tor zu seiner Seele, nahm sie gefangen, wollte sie nicht mehr gehen lassen. Ist es bei ihm genauso? Verursache auch ich bei ihm diese unbeschreiblichen Gefühle der Zusammengehörigkeit, der Seelenverwandtschaft?
Eine Aura, gesponnen aus unzähligen Schicksalssträngen, erwachsen aus der wahren Liebe zweier Lebewesen, umgab die beiden, nährte sich von der Stärke ihrer innigen Gefühle in dieser magischen Stunde. „Ich liebe dich“, gelobte Nela mit einer Intensität, die sie selbst erschrak. Mit unendlicher Zuneigung betrachtete Jarick sie. „Ich liebe dich, Minamia“, versprach er ihr ebenso gefühlvoll. Mit einem berauschenden Kuss vertieften sie ihren Liebesschwur.
Zum Bett strebend, zogen sie sich stürmisch die Kleider vom Leib, die ihren Weg dorthin säumten. Streichelnd wanderten seine Hände über ihren Körper, erkundeten jeden Zentimeter. Nela genoss die erotischen Sinnesreize, die Jarick bei ihr weckte. Zugleich fuhren ihre Hände über seinen Rücken, erforschten seine Brust und reizten seine erogene Stelle, die Jarick lustvoll aufstöhnen ließ. Von seiner Erregung angetrieben, liebkoste Nela ihren Wikinger hingebungsvoll mit forschen Küssen und frechen Händen.
Doch plötzlich hielt er inne, ergriff rasch ihre Hände, damit sie ihr mitreißendes Liebesspiel unterbrach. Regungslos verharrte er über ihr. Verwundert wanderte Nelas Blick zu seinem Gesicht. Geschlossene Lider, stoßweises Atmen, angespannte Gesichtszüge. Ihr Wikinger kämpfte gegen einen Trieb an, von dem Nela wusste, ihr aber stets fremd bleiben würde, da sie eine Walküre und keine Lysanin war.
„Jarick?“, wisperte sie.
„Nela“, brachte er mit einer gequälten Stimme hervor. Dabei blitzten