Die Gräfin Reuß war nur ein paar Jahre älter als Katharina und eine ausgesprochen attraktive Erscheinung, die sehr viel Wert auf ihr Äußeres legte und somit eine der typischen Vertreterinnen der Dresdner Hofgesellschaft darstellte. Sie hatte ein schönes, gleichmäßiges Gesicht, allerdings verliehen die scharfe Nase und die kalten Augen ihrem Antlitz hin und wieder etwas Raubtierhaftes. Das schien ihrer Beliebtheit bei der Männerwelt jedoch keinen Abbruch zu tun und trotz ihres einflussreichen Ehemannes, des Grafen von Reuß, wurden ihr mehrere Liebschaften nachgesagt.
Katharina war nicht nur vom Charakter sondern auch äußerlich das glatte Gegenteil der Gräfin. Während diese dunkle Haare hatte, war Katharinas Haar lichtblond und ihre Haut sehr hell. Sie war nicht klassisch schön, doch ihre kleine Nase mit den vereinzelten Sommersprossen sowie vor allem die auffallend großen kornblumenblauen Augen gaben ihrem Gesicht ein sehr hübsches, natürlich-schönes Antlitz. Vor allem wenn sie lachte, waren Männer von ihr hingerissen. Das hatte Katharina bereits selbst bemerkt und diese Erkenntnis führte in der Zwischenzeit dazu, dass sie außer in ihren privaten Gemächern so wenig wie möglich lachte, nur um keine ungewollte Aufmerksamkeit mehr auf sich zu ziehen.
„Baroness, von den Feinden des Vaterlandes so fasziniert?“ fragte die Gräfin nun höhnisch, während die anderen ringsherum in erneutes Gekicher ausbrachen.
Katharina wusste, dass die Gräfin sie einmal mehr reizen wollte und zurückhaltend lächelnd antwortete sie in beiläufigem Ton:
„Gute Reiter beeindrucken mich immer, egal aus welchem Land sie kommen.“
„Ach, und ich dachte schon, Ihr seid so hingerissen, weil Ihr endlich einmal ECHTE Soldaten zu Gesicht bekommt…“
Wieder wurde die Bemerkung der Gräfin von Gelächter begleitet.
„Wie meint Ihr das?“
Katharina war irritiert, vor allem das die Gräfin so viel Wert auf die Betonung der Worte „echte Soldaten“ legte.
„Nun, wie man so hört, scheint sich Euer Bruder dagegen bei der Armee nicht unbedingt durch sonderlich viel Tapferkeit auszuzeichnen und hofft wohl, mit vorgetäuschten Krankheiten den Schlachten mit den Schweden aus dem Weg gehen zu können...“
Katharina wurde blass. Zielsicher hatte die Gräfin einen wunden Punkt bei ihr getroffen.
Schon von Kindesbeinen an war es der größte Traum ihres Bruders gewesen, ein berühmter und erfolgreicher Feldherr zu werden und nie hatte Katharina ihn glücklicher gesehen als an dem Tag, an dem er das erste Mal stolz in der Uniform seines Regiments nach Haus kam.
Doch nun war er vor wenigen Wochen bei Kämpfen gegen die schwedischen Truppen so schwer am Bein verletzt worden, dass er noch immer im Lazarett lag. Es bereitete Katharina im Augenblick viele Sorgen und schlaflose Nächte, denn nach wie vor war es nicht klar, ob das Bein überhaupt gerettet werden konnte und wenn ja, wie es dann mit ihm weitergehen würde. Zudem war die Ehre ihrer Familie eines der wenigen Dinge, die ihr noch wichtig waren und obwohl sie in den Monaten am Hof gelernt hatte, sich nicht auf Provokationen einzulassen und ihr ungestümes Temperament zu zügeln, spürte sie, wie Zorn in ihr aufzusteigen begann.
Mit vor Wut blitzenden Augen antwortete sie impulsiv.
„Das ist eine unglaubliche Beleidigung. Wer behauptet so etwas?“
Die Gräfin antwortete kühl.
„Nun, ich glaube mich zu erinnern, dies sogar von mehreren Seiten gehört zu haben. Allerdings verwundert das wenig, auch Euer Vater soll ja nach allgemeiner Meinung kein begnadeter Kämpfer sein.....“
„Was soll das? Nennt mir Namen, die das behaupten, ansonsten unterlasst bitte diese Unterstellungen. Mein Vater hat jahrelang im Krieg für den Vater des jetzigen König gekämpft, bis er ehrenvoll entlassen wurde und auch mein Bruder befehligt mittlerweile eine eigene Kompanie. Er wurde bei Kämpfen gegen die Schweden schwer verwundet, deshalb befindet er sich im Lazarett und wurde sogar mit der silbernen Tapferkeitsmedaille für seine Verdienste fürs Vaterland ausgezeichnet!!!“
Katharina blickte sie herausfordernd an, doch die Gräfin reagierte unbeeindruckt.
„Was Ihr nicht sagt. Nun, es spricht für Euch, dass Ihr Eure Familie so tapfer mit Worten verteidigt, aber leider beweist das ja noch gar nichts, Medaille hin oder her. Es sei denn...“ sie schaute Katharina lauernd an
„...es sei denn, Ihr würdet uns hier an Ort und Stelle demonstrieren, dass Ihr ebenfalls den Mut besitzt, den euer Vater und Bruder angeblich so auszeichnen. Wenn es der Wahrheit entspricht, dass Tapferkeit eine so herausragende Eigenschaft Eurer Familie darstellt, dann sollte das für Euch überhaupt kein Problem darstellen, ansonsten müssten wir allerdings leider davon ausgehen, dass die gerade eben erwähnten Gerüchte der Wahrheit entsprechen!“
Spätestens jetzt wäre der verschlagene Blick der Gräfin unter normalen Umständen für Katharina Warnung genug gewesen, das Gespräch auf der Stelle zu beenden. Doch sie war noch immer derart erbost über die ungeheuerlichen Behauptungen, dass sie die Signale schlichtweg ignorierte.
„Welchen Beweis wollt Ihr, ich werde ihn erbringen!!“
Katharina bereute ihren spontanen Ausruf sofort, als sie sah, wie sich auf dem Gesicht der Gräfin ein triumphierendes Lächeln breit machte.
„Nun, es gibt da etwas, was Ihr für mich tun könntet...“
Die Gräfin mache eine bedeutungsschwere Pause und winkte genüsslich der neben ihr stehenden Baronin von Eckert zu, welche ihr eine Pergamentrolle reichte. In Richtung des schwedischen Lagers nickend fuhr sie fort.
„Wenn Ihr so mutig seid, wie Ihr behauptet, dann ist es für Euch doch bestimmt kein Problem, diese Nachricht von mir an den Kommandanten da unten zu überbringen! Damit wäret Ihr natürlich über jeden Zweifel erhaben!“
„Was?? Das ist doch nicht Euer Ernst...!“
„Seht Ihr, und schon verlässt Euch der Mut. Sagtet Ihr nicht gerade, egal was, Ihr erbringt mir den Beweis? Da hättet Ihr Eure Meinung aber sehr schnell geändert...welche Rückschlüsse das zulässt, das muss ich Euch ja sicher nicht näher erläutern…“
Die Gräfin Reuß lächelte zufrieden. Die Falle war zugeschnappt und Katharina erfasste augenblicklich das Dilemma, in dem sie sich nun befand. Natürlich konnte sie nicht in das Lager der Schweden reiten und das wussten die Gräfin und ihre Begleiterinnen genau so gut wie sie selbst. Doch ab jetzt jedoch würde sie in Zukunft von der Gräfin nicht nur als Feigling sondern auch noch als großmäulige Schwätzerin dargestellt werden. Und natürlich würde diese künftig keine Gelegenheit auslassen, Katharina am Hofe bloß zu stellen.
Einmal mehr verwünschte Katharina ihr Temperament, welches sie in diese ausweglose Situation gebracht hatte.
„Ist Euch nicht gut, Ihr seht auf einmal so blass aus?“
Die Gräfin Reuß lachte boshaft und das Lager der anderen Frauen stimmte wie auf Kommando mit ein. Katharina spürte, wie erneut die Wut in ihr hochzukochen begann.
Auch wenn es das Unvernünftigste war, das sie bis jetzt in ihrem Leben getan hatte und die Konsequenzen nicht absehbar waren, diesen Triumph wollte sie ihrer Feindin, und das war die Gräfin Reuß ab diesem Tage für sie, nicht überlassen.
„Gebt mir die Rolle!“
Sie sah mit Genugtuung, wie den Damen schlagartig das Lachen verging.
„Ihr wollt doch nicht im Ernst...“.
„Das dürft Ihr nicht...seid