Sie sah noch im Abwenden seinen enttäuschten Blick und musste lächeln.
Er verhielt sich wirklich manchmal mehr wie ein großer Junge als ein König und jetzt hatte sie ihm regelrecht ansehen können, wie wenig Vergnügen ihm die Aussicht auf das Gespräch mit den älteren Ministern und Würdenträgern des Landes machte.
In einem der angrenzenden Salons ließ sich Katharina kurz in einen Sessel fallen und atmete tief durch, bevor sie sich in einem der unzähligen Spiegel betrachtete und zufrieden feststellte, dass sowohl Frisur als auch der Rest ihrer Aufmachung noch immer perfekt aussahen und überhaupt ihre ganze Erscheinung ausgesprochen adrett und hübsch wirkte. Sie wollte sich schon wieder abwenden, um noch einige Augenblicke die Ruhe zu genießen, doch dann hielt Katharina überrascht inne und betrachtete ihr Spiegelbild erneut. Sie sah glücklich aus! So glücklich, wie sie sich selbst schon sehr lange nicht mehr gesehen hatte. Ihre blauen Augen leuchteten und die Wangen waren von einer frischen, gesunden Röte überzogen, die ihr ganzes Gesicht erstrahlen ließ. Nicht die aufwendige Frisur und das Kleid waren es, die sie so attraktiv machten, sondern vielmehr dieses aus ihrem tiefsten Inneren kommende Leuchten der momentanen Glückseligkeit. Da hatte ihr so vor diesem Abend gegraut und jetzt sprühte sie vor Glück und genoss den Ball in einem Maße, dass es ihr fast selbst unheimlich war. Sie sinnierte einige Minuten darüber, wie merkwürdig doch das Leben war, bevor sie sich schließlich beschwingt und voll guter Laune wieder zurück in den Saal begab, nur um festzustellen, dass Karl noch immer von den Männern in Beschlag genommen wurde. Doch noch bevor Katharina zum Überlegen kam, wohin sie sich als nächstes begeben könnte, wurde sie zu ihrer Überraschung gleich von einer Gruppe um die Baronin von Eckert in ein Gespräch einbezogen. Die Baronin, die sich Katharina gegenüber seit dem gemeinsamen Reitausflug viel zugänglicher als zuvor verhielt, stellte ihr zunächst einige ihrer Freunde vor, welche Katharina vom Sehen durchaus kannte, aber mit denen sie bisher noch nie viele Worte gewechselt hatte. Sie fühlte sich in der Gesellschaft erneut erstaunlich wohl und fragte sich, ob es wirklich nur daran lag, dass sie jetzt die Begleiterin von Karl war und deshalb alle freundlicher zu ihr als sonst oder ob sie früher einfach nur zu voreingenommen war. Dann löste sich die Gruppe für einen neuen Tanz auf und die Baronin nutzte die Gelegenheit und zog sie kurz zur Seite.
„Ich hoffe, unser ungewöhnlicher Gast hat nichts mit Ihrem wagemutigen Ausflug in das Schwedenlager zu tun?“ fragte sie vorsichtig.
Katharina überlegte kurz. Sie war an dem Tag die Einzige gewesen, die ein Fernrohr dabei hatte und es war auf die Entfernung sehr unwahrscheinlich, dass die anderen Damen im Lager Einzelheiten, geschweige denn die Gesichter der Soldaten erkennen konnten. Und dass sich der Schwedenkönig zu diesem Zeitpunkt nicht bei dem Großteil seiner Armee sondern in dem eher kleinen Außenlager aufhielt, damit konnte ohnehin niemand rechnen.
„Nein, überhaupt nicht!“ beruhigte sie deshalb die attraktive, wenn auch zu einer leichten Fülligkeit neigenden Rothaarige. Das Manko ihrer Figur machte die Baronin durch ihre lebenslustige Art wett und ihr Salon war seit ihrer Heirat mit dem Baron von Eckert einer der beliebtesten gesellschaftlichen Treffpunkte in Dresden.
„Es ist natürlich ein sonderbarer Zufall, dass ausgerechnet jetzt der schwedische König am Hof auftaucht und er dann bei dieser Damen-Begleitauswahl auch noch mich ausgewählt hat. Ihr könnt Euch sicher vorstellen, wie sehr ich mich darüber zunächst ebenfalls erschrocken habe. Aber bis jetzt wurde der Ritt von mir in das Lager noch mit keinem Wort erwähnt und es kennt von den Soldaten ja auch niemand meinen Namen, von daher glaube ich, brauchen wir uns keine großen Sorgen zu machen. Hauptsache, das Thema wird von keiner der anderen Damen noch einmal zur Sprache gebracht!“
„Das wird bestimmt nicht der Fall sein! Ich habe zwar auch mit niemanden aus der Gruppe mehr darüber gesprochen...“
Die Baronin zögerte und sah sie schuldbewusst an.
„...aber ich glaube, wir waren und sind immer noch alle erschrocken, dass die Gräfin Reuß Euch an dem Tag so niederträchtig behandelt und so leichtsinnig in Gefahr gebracht hat. Ich muss Euch gestehen, ich habe selbst jetzt noch ein schlechtes Gewissen, dass wir dann alle vor Angst einfach davon geritten sind, ohne uns darum zu kümmern, was aus Euch wird. Ihr könnt mir glauben, ich danke Gott jeden Tag dafür, dass Ihr unversehrt zurückgekommen seid, das hätte ich mir mit Sicherheit nie verziehen!“
Katharina war gerührt und wusste kurzzeitig keine Antwort, da sprach die Baronin schon weiter.
„Ihr seid wirklich ein unglaublich mutiger Mensch und ich bewundere Euch dafür sehr! Und ich verspreche, dass ich Euch in Zukunft, sollte es wieder einmal zu einer Konfrontation mit der Gräfin Reuß kommen, besser zu Seite stehen werde, als ich das an diesem unseligen Tag getan habe. Dafür verachte ich mich noch immer!“
Spontan reichte Katharina der Baronin die Hand. Sie sah die junge Frau auf einmal mit ganz anderen Augen und schämte sich nun über sich selbst, dass sie die Baronin vor dem verhängnisvollen Ausritt ebenso wie alles andere am Dresdner Hof verachtet hatte. Die Baronin war weder oberflächlich noch gedankenlos, sondern schien ganz im Gegenteil eine liebevolle, warmherzige Person zu sein, die sich durchaus auch über die Treffen in ihren Salons hinaus Gedanken machte und Fehler zuzugeben bereit war, eine Eigenschaft, die auch ihr selbst nicht immer leicht fiel.
Katharina nahm sich vor, in Zukunft etwas weniger schnell mit ihren Vorurteilen zu sein.
„Vergessen wir doch einfach den Reitausflug! Auch ich habe mich nicht immer sehr freundlich gegenüber dem meisten hier am Hof verhalten und sicher auch nicht dazu beigetragen, dass mir viele Sympathien zuteil wurden. Aber ich möchte mein Verhalten ebenfalls ändern und glaube, der heutige Abend ist dafür ein wirklich guter Anfang!“
Erfreut ergriff die Baronin von Eckert ihre Hand und drückte sie fest.
„Es freut mich sehr, dass Ihr so denkt!! Und ich hoffe, dass wir in Zukunft vielleicht sogar so etwas wie Freundinnen werden könnten!“
In diesem Moment wurde ein neuer Tanz angespielt.
Der Baron von Eckert kam auf die beiden Frauen zu.
„Was ist denn mit dir los, Ihr und nicht tanzend?“ fragte er seine Frau verwundert.
Diese lachte und reichte ihm die Hand.
„Tja, mein Lieber, eine verheiratete Frau wird nicht mehr so oft von anderen Männern zum Tanz aufgefordert. Das werdet Ihr nun wohl oder übel selbst übernehmen müssen...“
Sie zwinkerte Katharina verschwörerisch zu, um dann erschrocken zu fragen
„Ich hoffe, es ist in Ordnung, wenn ich Euch jetzt hier allein stehen lasse...?“
„Natürlich, geht nur! Ich glaube, ich muss mir jetzt erst einmal ein neues Getränk besorgen.“
Lachend deutete Katharina auf ihr leeres Champagnerglas.
„Daran tut Ihr Recht! Dann wünsche ich Euch noch einen schönen Abend...und Ihr müsst mir bei Gelegenheit noch einmal unbedingt mehr von Euren Erlebnissen mit den schwedischen Männern berichten...“
Ihr noch einmal verschwörerisch zuzwinkernd verschwand die Baronin mit ihrem Mann Richtung Tanzfläche. Katharina nahm sich von einem der unzähligen Tabletts, die ständig zwischen den Gästen umher getragen wurden, ein neues Glas Champagner und schüttelt verwundert den Kopf.
Erst das Gespräch mit der Gräfin Cosel und nun die Baronin von Eckert – der Abend hatte bisher all ihre Erwartungen auf die wunderbarste Weise übertroffen und sie war dankbar, ein wenig Ruhe zu haben, um das soeben Erlebte noch einmal zu durchdenken. Selbst wenn die Baronin nicht ihre beste Freundin werden sollte, hatte sie mit ihr doch zumindest eine engere Bekanntschaft gewonnen, die Einfluss am Hof besaß.
Aber das Wichtigste von allem war, dass sie mit einem Mal nicht mehr völlig allein am Hof war.
In nur kürzester Zeit hatte sie an diesem Abend gleich zwei Frauen näher kennen lernen dürfen, mit denen sie sich besser verstand, als sie zuvor je erwartet hatte und die Katharinas Zukunft in Dresden womöglich eine ganz neue, positive Richtung geben konnten.
Völlig