Jeschua. O. Nevart. Читать онлайн. Newlib. NEWLIB.NET

Автор: O. Nevart
Издательство: Bookwire
Серия:
Жанр произведения: Языкознание
Год издания: 0
isbn: 9783748588474
Скачать книгу
war gute Arbeit. Ich gratuliere Dir.“ Tiberius lächelte freundlich. „Danke, mein Kaiser. Ich werde Deine Glückwünsche an meine Mitstreiter übermitteln lassen. Sie haben den Erfolg ermöglicht,“ sagte Claudius. Tiberius nickte. „Legen wir uns zu Tisch, Claudius.“

      Der Kaiser blickte in Richtung einer Gruppe mit Liegen und niedrigen Tischen, auf denen Obst und Getränke angerichtet waren. „Ich möchte die Ereignisse aus Deinem Mund hören. Wir haben Zeit.“

      Kapitel 1

      Galiläa, am Anfang des ersten Jahrhunderts.

      Wenn er seine Augen öffnete, sah Jeschua Palmen, Nussbäume, Pinien, Olivenbäumen und wilde Obstbäume, und er lernte die Worte dafür. Seine Ohren folgten dem Gesang der Zikaden und seine Haut spürte einen warmen Wind, im hellen Licht der Sonne.

      Und er verstand die Worte für Gerste, Hirse, Weizen und für die Weinberge. Früh konnte er Nüsse und Olivenkerne zielsicher in Vasen mit engem Hals werfen. Und schon bald darauf konnte er einen mit einer Axt gut geführten Schlag auf Holz, von einem schlechten Schlag unterscheiden, und er erkannte einen gut gebrannten Ziegel von einem schlechten. Wenn er müde wurde, schlief er. Wenn er traurig war, weinte er. Wenn er glücklich war, lachte er. Und seine Mutter, die Maria hieß, freute sich über den Klang seiner Stimme und gleichzeitig ängstigte der Klang sie, ohne dass sie hätte sagen können warum. Er hatte kein Gesicht seines Vaters vor Augen, der Josef genannt wurde, so wie er das Gesicht seiner Mutter, seines Patenonkels oder die Gesichter seiner Geschwister vor seinem inneren Auge sehen konnte, wenn er es wollte. Befragte er seine Mutter oder seinen Patenonkel nach seinem Vater, so sagten sie, er ist im Jenseits. Ein Ort, an dem die Toten einst wiederbelebt und sie wiederaufstehen werden. Eines Tages würden sie selbst und er und seine Geschwister gemeinsam im Jenseits sein. Das verstand er nicht.

      Früh sah er die toten Menschen, ihre zuerst schlaffen, später erstarrten Leiber und die Flecken auf ihrer Haut. Sie wurden in ein Tuch gewickelt, balsamiert und in der Erde begraben. Wenn feste Männerschritte näherkamen, oder Männer zu Pferde, liefen er und sein Bruder schnell vom Hauptweg zu der nächstgelegenen Hausecke und trotz ihrer Angst zählten sie mit verschlossenen Augen die Anzahl der Pferde. Manchmal, wenn er mit sich und seinen Gedanken alleine war, wünschte er sich, er wäre wie diese Männer. Er bewunderte ihre Kraft und ihre stolze Erscheinung, die alles besitzen und verstummen lassen konnten. Früh sah er kranke Menschen. Er spürte ihr Fieber und ihre Schmerzen und sein Herz weinte mit ihnen.

      Früh spürte er die frische Luft des Wassers vom See. Und er freute sich mit dem Bruder seines Patenonkels, wenn das Netz voll mit Fischen war. Seine Augen glänzten beim Gesang seiner Mutter und seiner Schwestern. Das alles und noch viel mehr nahm er in sich auf, Jeschua, der Sohn von Maria. Zum Frühstück aß er Fladenbrot mit etwas Salz und er trank Ziegenmilch. Vormittags ging er seinem Patenonkel bei den Bauarbeiten zur Hand und sein Magen knurrte bisweilen vor Hunger. Doch sie waren nicht wohlhabend, wie die Menschen im fernen Jerusalem von denen sein Patenonkel manchmal berichtete, oder wie die Menschen in Zippori, wo der Patenonkel manche seiner Holzarbeiten verkaufte. Und bald konnte er seinen Hunger beherrschen. Umso mehr freute er sich auf das Abendessen, für das seine Mutter und seine Schwestern Hirsebrei mit Salz und manchmal mit etwas Gemüse zubereiteten. Wenn der Ertrag seines Patenonkels gut war, reichte seine Mutter zum Abendessen auch geröstetes Fleisch vom Geflügel oder vom Schaf und Obst als Nachtisch.

      Am Abend vor dem Sabbat gingen er und sein Bruder mit seinem Patenonkel und mit den Söhnen des Patenonkels in das Haus der Gebete und sie begrüßten den Sabbat als Braut. Seine Mutter zündete die Sabbatlichter an und die Familie versammelte sich um den Tisch. Am Sabbat standen sie später auf als gewöhnlich und die Arbeit ruhte. Sie wuschen sich gründlich und seine Mutter sah ihren ältesten Sohn jeden Sabbat etwas größer und kräftiger geworden. Und manchmal wurde sie bei seinem Anblick auch traurig, denn eines Tages würde er sie verlassen und den Klang seiner Stimme vermisste sie bereits in diesen kurzen Momenten der Traurigkeit. Nach dem gemeinsamen Besuch des Gebetshauses reichte Maria ihnen ein zweites Frühstück und bis zum Mittagsschlaf gingen sie zusammen mit der Familie ihres Bruders in den umliegenden Hügeln und Wäldern spazieren. Nachdem Jeschua seinen vierten Winter erlebt hatte und sein fünfter Frühling begann, bestimmte sein Patenonkel, dass Jeschua von nun an bis zur Mannwerdung über die Schriften und die Sprachen unterrichtet werden müsse.

      Von den Lehrern hörte Jeschua die Worte der Gottheit und die Bücher der Propheten. Bald las er die alten Schriften und seine Lehrer waren voll des Lobes über seine klare Stimme. Seine Augen leuchteten, wenn er die alten Schriften las, so, wie wenn er seiner Mutter beim Gesang zuhörte. Sein Herz bebte, wenn er die alten Schriften las und jedes Wort in ihm erklang in einer anderen Farbe. Früh hörte er den Lehrern bei der Auslegung der Schriften zu, und früh konnte Jeschua vom Allgemeinen auf das Besondere, vom Leichteren auf das Schwerere oder auf eine Sache aus dem Zusammenhang schließen. Und seine Lehrer waren voll des Lobes über die Vollkommenheit seiner Rede. So sehr Jeschua die Unterrichtung von den Lehrern liebte, so sehr freute er sich auch auf die Nachmittage, in denen er dem Patenonkel bei den Bauarbeiten weiterhin zur Hand ging. Allen Menschen bereitete Jeschua Freude, alle Menschen liebten ihn.

      Mit Beginn seines dreizehnten Frühlings wurde Jeschua von der Gemeinde feierlich zum Mann geweiht, zum Mann, der für seine Taten verantwortlich ist. Und die Augen seiner Mutter, die seines Patenonkels, die seines Bruders und seiner Schwestern, die der Söhne und Töchter des Patenonkels glänzten vor Freude. Und seine Lehrer waren voller Stolz auf Jeschua, als er vor der Gemeinde zum ersten Mal aus den Büchern der Propheten vorlas. Die Luft und die Tiere verstummten und seine Stimme berührte alle Herzen und Seelen. Wenn Jeschua mit seiner Hand sein Gesicht berührte, fühlte er die ersten Barthaare über seiner Oberlippe und an den Wangen. Seine Stimme wurde dunkler, behielt aber ihre Klarheit. Die Stoffe über den Busen seiner Schwestern hoben sich zusehends. In den Haaren seiner Mutter und denen seines Patenonkels zeigten sich kleine graue Streifen.

      Und so geschah es, dass seine Lehrer mit den Weisen über Jeschua sprachen. Nachdem die Weisen von den Lehrern das Zeugnis über Jeschua vernommen hatten, wünschten sie, Jeschua solle zu ihnen kommen. Und Jeschua tat, wie von ihm gewünscht und er ging in Begleitung seines Patenonkels zu den Weisen. Und die Weisen sahen und hörten, was Jeschuas Lehrer über ihn berichtet hatten mit ihren Augen und Ohren und sie befanden ihn würdig von ihnen unterrichtet zu werden. Nach der Mannwerdung erhielt Jeschua für seine Arbeit von seinem Patenonkel den ersten Lohn, denn die Weisen wünschten, dass ein künftiger Schriftgelehrter ein Handwerk beherrscht und seinen Lebensunterhalt selbst bestreitet. Von den Weisen lernte er, die Worte wiederzufinden, die schon immer in ihm waren, die Farben in seiner Seele. Er lernte, wie er sie befragen konnte und er fühlte den Sinn darin.

      Und die Weisen nickten wohlgefällig über Jeschuas Worte. So kam es, dass die Menschen der Gemeinde zu ihm kamen, wenn sie Rat brauchten. Eines Tages kam ein Winzer und Jeschua hörte ihm zu. „Schriftgelehrter, in meinem Weingarten steht ein Apfelbaum, der schon meinem Vater und dem Vater meines Vaters gehörte. Sein Stamm ist kräftig, seine Blätter sind saftig. Seit drei Jahren komme ich und sehe, dass der Baum keine Früchte trägt. Wenn ich den Baum fälle, fürchte ich, die Ehre meines Vaters und die seines Vaters zu verletzen. Was soll ich tun?“ (Lukas 13,6-9 EU: angelehnt an das Gleichnis vom Feigenbaum ohne Früchte.)

      Jeschua ließ die Worte des Mannes in sich verklingen und dann sprach er: „Gelobt seist Du, dass Du Deine Väter ehrst. Denn so steht es geschrieben. Und gelobt sei Deine Familie, dass sie den Baum aus dem Paradies über Generationen hinweg vortrefflich gepflegt hat, denn es ist auch Gutes in ihm.“ Die Augen des Mannes leuchteten über die Klarheit von Jeschuas Stimme. „Angenommen, einer Deiner Söhne, käme einer Bitte von Dir drei Mal in Folge nicht ganz zu Deiner Zufriedenheit nach. Was sagt Dein Herz Dir dazu?“ Für einen Moment sah der Mann Jeschua verwundert an, doch dann sagte er: „Nun, ich würde zu ihm gehen und ihn fragen, was ihn bedrückt, dass er meiner Bitte nicht ganz nachkommen könne. Aber leider kann ich den Apfelbaum nicht befragen.“ Jeschua lächelte: „Gelobt seist Du für die Geduld, die Du für Deinen Sohn aufbringen würdest. Könnest Du versuchen Dich in den Apfelbaum hineinzuversetzen, der Deiner Familie so zur Ehre gereicht?“ Der Mann nickte etwas zögernd.