„Wie das?“ Wollte Claudius wissen. „Nun,“ sagte Jeschua, „wenn eine ebenso konspirative und glaubhafte Kraft aus den Reihen der Galiläer erscheinen würde, wie es die Anderen sind, die ihnen die Stimmen des Volkes streitig macht, die die Anderen aber für ihre Sache brauchen, dann müssen sie aus Ihrer Geheimwelt heraustreten. Entweder werden sie mit der neuen Kraft verhandeln oder sie werden sie bekämpfen. Denn, Hochmut ist die Ferse des Achilleus von vielen Mächtigen, sie können einfach keinen Zweiten neben sich dulden!“
Claudius wandte sich an Johannes: „Was sagst Du dazu?“ Johannes verblüffte die anderen mit seiner Ruhe, denn er sagte: „Als Rom gegen die Parther kämpfte, war Rom ihnen zu Beginn oft unterlegen, weil die Parther berittene Bogenschützen hatten. Als Rom ihre Taktiken übernahm, konnte Rom den Parthern standhalten.“
„Wie wollen wir diese Gedanken in die Tat umsetzen?“ Fragte Claudius und wieder antwortete Johannes: „Der Mann aus Rom, der die Geheimsprachen versteht, muss die Schriften des Simon für uns übersetzen. Wir müssen sein, wie sie. Wir müssen geheime Zeichen setzen, wie sie.“
„Wie soll das praktisch aussehen?“ Fragte Claudius. Diesmal antwortete Bezalel: „Wir schlüpfen in die Rollen der Menschen dieser neuen Untergrundorganisation und ziehen wie die Anderen umher. Dabei orientieren wir uns an der Karte des Jeschua. Wir tragen die Kleidung der Aramäer, sprechen wie Aramäer, handeln wie Aramäer, leben und arbeiten wie Aramäer. Wir brauchen aber noch eine glaubhafte Botschaft.“
„Ich werde sie Euch sagen,“ sagte Jeschua und, „wir benötigen jedoch die Zustimmung der Weisen aus Nazaret, dass Johannes und ich vorübergehend andere Aufgaben übernehmen, als ursprünglich besprochen.“ Dann sagte Claudius: „Wie es scheint, haben wir einen Gedanken. Jetzt brauchen wir einen Architekten, der den Gedanken abschätzt und ihn auf einen Papyrus bringt. Dann werden wir sehen, wie sich daraus ein Gebäude bauen lässt.“
Sie nickten und alle waren müde. Bezalel ging zu seinem Haus, die anderen schlafen.
Kapitel 9
Am nächsten Morgen nahmen sie ein kleines Frühstück ein und Claudius, Jeschua und Johannes gingen zurück in Claudius Arbeitszimmer. Nur wenig später traf auch Bezalel ein. Claudius sagte: „Viel ist zu tun. Ich denke, wir stimmen Johannes zu. Wir brauchen die Unterstützung des Quintus Annaeus, damit wir die Schriften des Simon besser verstehen können. Eine Botschaft, die Tiberias heute verlässt, benötigt zehn Tage von hier nach Rom, ein Tag wird vergehen, bis Quintus reisebereit ist. Quintus kann also frühestens in drei Wochen hier sein, vorausgesetzt es geschehen keine Zwischenfälle.“
„Kann der Mann seine Arbeit einfach so stehen und liegen lassen?“ Fragte Johannes. „Das ist eine gute Frage.“ Sagte Claudius und „Natürlich nicht, Johannes. Doch erstens haben Quintus und ich bereits sehr gut zusammengearbeitet und ich weiß, dass er über etwas Abwechslung froh sein wird. Und zweitens wird er den Auftrag von Kaiser Tiberius persönlich erhalten, denn ich werde den Boten zum Kaiser entsenden.“
„Macht das nicht zu viel Aufhebens?“ Fragte Johannes. „Dieses Risiko müssen wir eingehen, Johannes.“ Sagte Claudius. „Doch der Kaiser erhält an einem Tag sehr viele Botschaften und er trifft sehr viele Entscheidungen. Unser Anliegen wird in der Geschäftigkeit Roms nicht auffallen. Wir bitten ja nicht um die Entsendung einer Legion. Und, ich nehme an, dass die Arme unserer geheimnisvollen Gegenspieler nicht bis nach Rom reichen.“ „Ja,“ sagte Johannes, dem die Anrede des Claudius und Bezalel mit Vornamen noch immer schwerfiel.
Und Claudius fuhr fort: „Ich denke, wir alle stimmen mit Jeschua überein: Er wird spätestens morgen in NaÏn zurückerwartet und mit dem Weisen muss persönlich gesprochen werden. Ich schlage vor: Bezalel und Jeschua, Ihr reitet noch heute nach NaÏn, damit Ihr mit dem Weisen sprecht, der sich jetzt dort aufhält. Wenn Ihr das Einverständnis des Weisen habt, dass Jeschua von seinen jetzigen Verpflichtungen entbunden ist, kehrt Ihr wieder nach Tiberias zurück. Wir haben keine große Eile, lasst Euch die Zeit, die benötigt wird.“
„Sollte ich nicht mit ihnen reiten?“ Fragte Johannes. „Nein, Johannes. Das ist nicht nötig. Bezalel ist zwar ein Mann der Rechte, doch er kann auch ein Schwert führen, obwohl seine Muskeln vielleicht etwas eingerostet sind,“ sagte Claudius und er schmunzelte. „Unsere Sache braucht Dich jetzt hier, Johannes. Wir müssen zu einem Architekten gehen.“ Sie verstanden nicht, was Claudius sagen wollte. „Nun,“ sagte Claudius „es gibt hier in Tiberias einen Mann, der in geheimen Handlungen erfahren ist und dem ich vertraue. Wir beide, Johannes, werden mit ihm über unseren Gedanken sprechen.“
„Claudius,“ sagte Bezalel „Aus welchen Gründen sollte der Weise Jeschua von seinen Pflichten entbinden?“ Statt Claudius antwortete Jeschua auf Bezalels Frage: „Verzeiht. Der Weise ist über die bisherigen Ereignisse informiert und der Weise betrachtet sie mit den gleichen Sorgen wie wir. Er wird verstehen, dass meine Anwesenheit in Tiberias nützlicher sein wird, als wenn ich als Schriftgelehrter in NaÏn bleibe.“
„Haben wir etwas übersehen? Gibt es noch unbeantwortete Fragen?“ Fragte Claudius. Sie schüttelten ihre Köpfe. „Gut. Lasst uns an die Arbeit gehen,“ sagte Claudius und, an Jeschua und Bezalel gewandt „kommt umgehend zu Johannes und mir, wenn Ihr wieder zurück seid.“ Sie nickten und alle verließen Claudius Arbeitsraum.
Claudius ging mit Johannes in Richtung eines weiteren Flures im Fürstenpalast weiter, Jeschua und Bezalel in Richtung Haupteingang. „Wir gehen zu Claudius Haus und Du nimmst Dein Reisegepäck, Jeschua. Dann gehen wir zu meinem Haus und ich packe Meines,“ sagte Bezalel und „wo habt Ihr Eure Pferde?“
„Sie stehen in einem Stall vor dem Stadttor,“ sagte Jeschua.
Die Straßen in Tiberias waren wieder voll von Menschen. Bezalel erläuterte Jeschua die eine oder andere Besonderheit auf ihrem Weg zu Claudius Haus und auch später auf dem Weg zu seinem Haus. Claudius Haus stand in der Nähe des Stadtzentrums, Bezalels Haus näher bei der Stadtmauer. Nachdem auch Bezalel sein Reisegepäck aufgenommen hatte, gingen sie schließlich durch das Stadttor zum Stall, um die Pferde für ihre Abreise vorbereiten zu lassen. Einige wenige Stadien konnten sie sich noch reitend fortbewegen, dann erforderten die Serpentinen hinauf auf die Ebene oberhalb Tiberias, dass sie vor den Pferden zu Fuß gingen.
Wie gestern, bei der Anreise von Jeschua und Johannes, waren viele Reisende in beiden Richtungen unterwegs und so ging es wieder nur sehr langsam voran. Doch nachdem sie auf der Ebene angekommen waren, konnten sie zügig in Richtung Südwesten reiten. Jeschua saß dabei hinter Bezalel, so wie gestern hinter Johannes. Wieder sah Jeschua den Berg Tabor, und es waren keine drei Stunden vergangen, als sie in NaÏn ankamen. Sie wollten mit Elias sprechen, doch er war nicht im Dorf, sondern auf Geschäftsreise. Tobias empfing sie jedoch freudig. Nur wenig später ritten sie zu Simons Weingut. Auf dem Weg dorthin begegneten sie einigen Dorfbewohnern, die Jeschua erfreut grüßten. Auch auf dem Anwesen freuten sich alle Anwesenden sehr, Jeschua wohlbehalten wiederzusehen. Bezalel wurde von denen freudig begrüßt, die ihn bereits kannten. Es waren Esther und Rebecca, und Daniel der Weingärtner. Aaron und Nataneel, die anderen Weingärtner, waren auf Reise, Kunden des Simon mit Wein zu beliefern. Jeschua zählte drei mit Schwertern, Schilden und Spießen ausgerüstete Männer, die sich im Hintergrund hielten. Er nickte ihnen kurz zu. Er stellte Bezalel dem Weisen vor, als dieser vor das Haus trat.